Über die Arbeits(un)zufriedenheit von Ärztinnen – Quo vadis, doctora?

Seit den 1970er-Jahren nimmt in den Industrieländern der Frauenanteil in der für die Patientenversorgung verantwortlichen Ärzteschaft stetig zu. Ungeachtet dieser von manchen AutorInnen als „Feminisierung der Medizin“ bezeichneten Entwicklung ignorierten Politik, Krankenanstalten und Dienstgeber lange Zeit die in einer Vielzahl von Studien dokumentierte häufige Mehrfachbelastung von Ärztinnen durch Beruf, Partnerschaft und Familie und die im Laufe der letzten Jahre abnehmende Zufriedenheit mit der Arbeitssituation (im Folgenden kurz „Arbeitszufriedenheit“ analog „job satisfaction“ im angloamerikanischen Sprachraum).

Studien zur Arbeits­zufriedenheit von Ärztinnen­

Ärztinnenstudie OÖ: Im Folgenden wird ein kurzer, nicht zuletzt aus Platzgründen unvollständiger Auszug von relevanten Studien zur Arbeitszufriedenheit von Ärztinnen gegeben. Im Rahmen der 2008 von der Autorin initiierten Ärztinnenstudie OÖ sollte der Ist-Zustand der Lebens- und Arbeitsverhältnisse von in OÖ ­gemeldeten Ärztinnen erfasst werden. 849 der 1.967 angeschriebenen Ärztinnen re­tournierten die Fragebögen (Rücklaufquote 43,2 %).
4 von 5 Ärztinnen gaben an, mit ihrer Arbeitssituation „sehr zufrieden“ oder „eher zufrieden“ zu sein, während knapp 20 % der Ärztinnen weniger oder gar nicht zufrieden waren. In der multivariablen logistischen Regressionsanalyse wurden folgende Variablen als unabhängige Prädiktoren einer höheren Arbeitszufriedenheit identifiziert: Arbeit teils oder zur Gänze im niedergelassenen Bereich, Vorliegen guter Aufstiegsmöglichkeiten, gute Integration im ärztlichen Team, Einbindung in die Klinik und Zusammenarbeit mit Vorgesetzten; signifikante negative Prädiktoren der Arbeitszufriedenheit waren eine hohe Intensität psychischer oder physischer Belastung am Arbeitsplatz und – als einziger privater Faktor – die Mutterschaft von einem Kind unter 3 Jahren. 22 % der Ärztinnen gaben an, sie würden sich kein zweites Mal für den Arztberuf entscheiden. Mehr als jede Dritte dieser Teilgruppe träfe eine andere Berufswahl, weil sie sich im Arztberuf als Frau diskriminiert fühlt.
Von 478 Ärztinnen ≤ 40 Jahren waren lediglich 29,5 % Mütter. Zum Zeitpunkt der Erhebung war jede zweite Ärztin bei einem mittleren Alter von 39 Jahren kinderlos, wobei unter den kinderlosen Ärztinnen 3 von 5 Frauen noch eine Mutterschaft wünschten. Jede zehnte Ärztin und Mutter gab an, bei der Kinderbetreuung auf sich allein gestellt zu sein. Die Schaffung besserer Kinderbetreuungsmöglichkeiten durch den Dienstgeber wurde von 42,5 % der befragten Ärztinnen als „sehr wichtig“ angekreuzt.
Ein Beschäftigungsausmaß von 100 % wurde von 70 % der Ärztinnen praktiziert, aber nur von 35 % gewünscht. „Flexible Arbeitszeiten“ war der mit Abstand dringendste Wunsch an den Dienstgeber: 62 % kreuzten hier „sehr wichtig“ an. Nur 36,2 % der Ärztinnen sahen ihre berufliche Zukunft im Krankenhaus.

In der Umfrage des Instituts für Empirische Sozialforschung (IFES) aus dem Jahr 2010 gaben 49 % von 2.003 befragten ÄrztInnen an, sich durch den hohen Zeitaufwand für Verwaltungsaufgaben und Dokumentationstätigkeit stark belastet zu fühlen. Als weitere wesentliche Belastungsfaktoren wurden genannt: der zunehmende Zeitdruck (37 %), Nachtdienste (36 %) und überlange Dienstzeiten bzw. Überstunden (34 %). 27 % der ÄrztInnen gaben an, länger als 60 Wochenstunden zu arbeiten. Die laut Krankenanstalten-Arbeitszeitengesetz in einzelnen Wochen maximal zulässige Arbeitszeit von 72 Stunden wurde von 37 % der Befragten überschritten. 48 % der befragten ÄrztInnen gaben an, dass die Arbeit in den letzten fünf Jahren unangenehmer geworden sei, vor allem bedingt durch Personalknappheit, bürokratischen Aufwand und wachsende Zahl der Patientenaufnahmen. Eine Anfang 2012 wiederholte IFES-Umfrage unter 500 ÄrztInnen bestätigte, dass Österreichs SpitalsärztInnen mit ihren Arbeitsbedingungen wenig zufrieden sind. Kritikpunkte waren vor allem Arbeitszeit, berufliche Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten, eine spürbare Verschlechterung des Arbeitsklimas und Mängel in der Kommunikations- und Informationspolitik der Dienstgeber. Selbst PrimarärztInnen gaben geringes Mitspracherecht bei wichtigen Entscheidungen und eine geringe Identifikation mit dem Dienstgeber bzw. dem Krankenanstaltenverbund an. 64 % der Befragten waren mit den Rahmenbedingungen wie Arbeitszeit, Infrastruktur und Organisation nicht oder gar nicht zufrieden.

Ein systematisches Review zur Arbeitszufriedenheit von Ärztinnen in den USA (Mai 2012) umfasste 30 Studien – Arbeitszufriedenheit wurde von Ärztinnen (73,4 %, range 56,4 % bis 90 %) und Ärzten (73,2 %, range 59 % bis 90 %) gleich häufig berichtet. Im Vergleich zu Ärzten waren Ärztinnen jedoch seltener zufrieden mit ihren Erfahrungen mit Mentoren, den Karrieremöglichkeiten, der Wertschätzung ihrer Arbeit und der Gehaltssituation. Zudem berichteten Ärztinnen häufiger über Mangel an Zeit für Patienten, Kollegen und Familie.
Mehrere Studien der letzten Jahre ergaben, dass Rollenkonflikte bezüglich Arbeit/Familie bei Ärztinnen deutlich häufiger zu finden sind als bei Ärzten. Als wahrscheinliche Ursache für diese Ungleichheit sind am ehesten die Anforderungen der gender-spezifischen Sozialisation anzunehmen. Vor allem bei kleinen Kindern kommt es meist noch immer zu einer traditionellen Rollenaufteilung, wodurch Unterschiede bei der Gewichtung der Berufsrolle resultieren. Ärztinnen erhalten dabei vergleichsweise wenig zeitliche Unterstützung durch ihre Partner, während Ärzte sich ungeachtet der eigenen Rollenkonfiguration und derjenigen der Partnerin auf die Berufsrolle konzentrieren. Dies führt zu unterschiedlichen Arbeitsbedingungen von Ärzten und Ärztinnen. Die Arbeitsbedingungen der Ärztinnen nähern sich mit zunehmendem Alter der Kinder und abnehmender Rollenvielfalt denjenigen der Ärzte an. Trotz dieser Ungleichheiten fanden sich hinsichtlich der Arbeitszufriedenheit in den meisten Studien keine signifikanten Unterschiede zwischen Ärztinnen und Ärzten.
Trotz der zunehmenden „Feminisierung der Medizin“ sind Frauen vor allem in der Facharztausbildung, in bestimmten Spezialisierungen und unter den Primarärzten immer noch unterrepräsentiert. Verschiedene Studien belegen als Gründe der eingeschränkten Aufstiegsmöglichkeiten von Ärztinnen familiäre Verpflichtungen, psychologische Barrieren, rigide Karrieremodellvorstellungen und Diskriminierung durch Vorgesetzte und Arbeitgeber.

Maßnahmen zur Verbesserung

Die Vereinbarkeit des Arztberufes mit Partnerschaft und Familie ist eine Voraussetzung dafür, Ärztinnen in den Spitälern zu halten. Hauptwünsche an den Arbeitgeber in der Ärztinnenstudie OÖ waren familienfreundlichere Arbeitszeiten und flexiblere Dienstzeitmodelle sowie auf die Bedürfnisse von Ärztinnen angepasste Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Überlange Dienstzeiten sind nicht länger vertretbar, die Einhaltung einer maximalen Arbeitszeit von 25 Stunden pro Dienst als absolute Obergrenze ist zu fordern. Modelle der Teilzeitbeschäftigung und Maßnahmen zur Kultivierung der Akzeptanz von Teilzeitbeschäftigten sind konsequent umzusetzen. Vorteile der Teilzeitbeschäftigung sind eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, mehr Lebensqualität und ein geringeres Burnout-Risiko. Teilzeitbeschäftigung und adäquate Kinderbetreuungsmöglichkeiten erleichtern zudem den Wiedereinstieg nach der Karenz. Leider sind die Öffnungszeiten der meisten Krippen und Kindergärten mit den Spitalszeiten und Ordinationszeiten nur unzureichend kompatibel. Viele Studien der letzten Jahre zeigten erhebliche Unzufriedenheit von ÄrztInnen mit der finanziellen Situation, eine deutliche Gehaltsanhebung ist dringend notwendig. Die konsequente Entlastung von bürokratischen Tätigkeiten beispielsweise durch StationsassistentInnen und die Delegierung einfacher, jedoch zeitaufwändiger Handlungen wie Blutabnahmen und Anhängen von Infusionen an andere Berufsgruppen schafft dringend notwendige Zeit für die Arbeit am Patienten. Die proaktive Förderung von Aufstiegsmöglichkeiten motivierter Ärztinnen durch Vorgesetzte ist zu verbessern. Die Kommunikations- und Informationspolitik der Dienstgeber muss transparenter werden, die Einbindung von ÄrztInnen als gleichwertige Partner auf allen Entscheidungsebenen ist zu fordern. Die vielerorts notwendige Verbesserung von Arbeitsklima und Identifikation mit dem Dienstgeber ist sehr ernst zu nehmen.
Politik und Krankenanstalten/Dienstgeber sind gefordert, ihrer gesundheitspolitischen Verantwortung nachzukommen und durch adäquate Maßnahmenpakete eine spürbare Verbesserung der Arbeitssituation zu erreichen. Alibi-Aktionen werden dabei nicht ausreichen, zumal in einer Zeit des zunehmenden europaweiten Ärztemangels ein Verkäufermarkt entstanden ist, der es den im internationalen Vergleich hochqualifizierten österreichischen Ärztinnen und Ärzten mehr und mehr erlauben wird, sich den attraktivsten Arbeitsplatz auszusuchen. „Quo vadis, doctora“ ist somit eine brisante gesellschafts- und gesundheitspolitische Frage, deren Beantwortung durch die Politik nicht so lange ausbleiben sollte, bis sie in der Vergangenheitsform formuliert werden muss.

FAZIT: Gesundheitspolitische Diskussionen in Bezug auf die medizinische Versorgung der Bevölkerung folgten zu lange einem mechanistischen Konzept. Viele so genannte wirtschaftliche Entscheidungen sind rein kennzahlenorientiert, während die wesentlichste Variable der Patientenversorgung, der „Faktor Ärztin/Arzt“ noch immer weitgehend vernachlässigt wird. Die Arbeitszufriedenheit von ÄrztInnen hat Einfluss auf deren Gesundheit und somit indirekt auch auf die Qualität der Patientenversorgung. Viele negative Einflussgrößen auf die Arbeitszufriedenheit sind extrinsischer Natur und somit prinzipiell modifizierbar.