Vorsorgekoloskopie bei Intervallkarzinome

Wird es möglich sein, durch ein flächendeckendes Screening Darmkrebs gänzlich zu verhindern? Dieses ambitionierte Ziel gilt als heiliger Gral der Darmkrebsvorsorge – sei es durch einen Test auf okkultes Blut im Stuhl (der bei einem positiven Ergebnis eine Vorsorgekoloskopie nach sich zieht) oder durch primär endoskopisches Screening.
Die Einführung von Qualitätssicherungsprogrammen hat es möglich gemacht, Nutzen und Risiken dieser Screening-Modalitäten in großen epidemiologischen Kohorten zu untersuchen.

Die Ergebnisse zeigen deutlich: Screening-Programme sind sinnvoll, sowohl Inzidenz als auch Mortalität des kolorektalen Karzinoms sind gesunken.

Intervallkarzinom: zwischen Vorsorgekoloskopie und Nachsorge

Trotz hochqualitativer Koloskopien kommt es jedoch zum Auftreten von Intervallkarzinomen; das sind Karzinome, die zwischen einer Vorsorgekoloskopie und der geplanten Nachsorge auftreten. Der Großteil dieser Karzinome entsteht aus übersehenen Läsionen, andere Ursachen sind inkomplett abgetragene Läsionen oder neu aufgetretene Läsionen mit besonders aggressivem Wachstum.

Schlüssel-Qualitätsparameter: Um die Effektivität der (Vorsorge-)Koloskopie weiter zu steigern und damit die Rate an Intervallkarzinomen zu senken, hat die Europäische Gesellschaft für Gastrointestinale Endoskopie sieben Schüssel-Qualitätsparameter definiert: 1) Die Rate der adäquaten Darmvorbereitung (Ziel ≥= 90 %), 2) eine hohe Zökumerreichsrate (Ziel ≥= 90 %) sowie 3) eine hohe Adenomentdeckungsrate (Ziel ≥= 25 %) sollen den Anteil übersehener Läsionen minimieren, 4) die adäquate Abtragungstechnik (≥= 80 %) die inkomplett abgetragenen Läsionen, 5) die Komplikationsrate, 6) die Patientenzufriedenheit und 7) adäquate Nachsorgeintervalle werden als Qualitätskriterium definiert, jedoch ohne konkrete Zielwerte zu nennen. Die dritte Gruppe möglicher Ursachen für Intervallkarzinome, neue, rasch wachsende Läsionen, wurde bisher in großen Vorsorge-Studienkohorten kaum untersucht.

Daten aus Österreich

Durch die beginnende Verfügbarkeit von Langzeitdaten nach qualitätsgesicherten Vorsorgekoloskopien besteht erstmals die Möglichkeit, auch Aussagen über Intervallkarzinome in Österreich zu treffen. Hierfür wurden Vorsorgekoloskopien, die im Rahmen des „Qualitätszertifikat Darmkrebsvorsorge“ durchgeführt wurden, mit den Entlassungsdiagnosen der Krankenhäuser verknüpft. Es wurden knapp 500.000 Vorsorgekoloskopien, die zwischen 2008 und 2015 durchgeführt wurden, analysiert und 114 Intervallkarzinome identifiziert (0,08 %). Dieser Prozentsatz entspricht in etwa dem internationaler Studien. Höheres Alter der Patienten (HR 1,78) und eine Adenomentdeckungsrate < 20 % (HR 0,81) waren, wie bereits in früheren Studien gezeigt, signifikant mit dem Auftreten von Intervallkarzinomen assoziiert. Eine Steigerung der Adenomentdeckungsrate um 1 % reduziert das Risiko für Intervallkarzinome um 2 %.

Unterschätzte Rolle der Tumorbiologie

Um den Einfluss der Läsionen selbst auf die Entstehung von Intervallkarzinomen zu untersuchen, wurden Patienten entsprechend der Nachsorgerichtlinie der Europäischen Gesellschaft für Gastrointestinale Endoskopie in 2 Gruppen unterteilt; der Hoch-Risiko-Gruppe wurden Koloskopien mit folgenden Befunden zugeordnet: Adenome mit villöser Histologie, hochgradiger Dysplasie, ≥= 10 mm, ≥= 3 Adenome oder serratierte Polypen/Adenome ≥= 10 mm oder mit Dysplasie; der Niedrig-Risiko-Gruppe jene mit 1–2 tubulären Adenomen < 10 mm mit niedriggradiger Dysplasie oder serratierte Polypen/Adenome < 10 mm ohne Dysplasie.
Es konnte erstmals gezeigt werden, dass Hoch-Risiko-Läsionen signifikant mit dem Auftreten von Intervallkarzinomen assoziiert sind und darüber hinaus, dass das Vorhandensein einer Hoch-Risiko-Läsion in der Indexkoloskopie das Risiko ein Intervallkarzinom zu entwickeln stärker erhöht als eine niedrige Adenomentdeckungsrate des Endoskopikers (HR 3,3 vs. 0,81). Intervallkarzinome betrafen im Vergleich zu Karzinomen, die im Rahmen der Vorsorgekoloskopie entdeckt wurden, jüngere Patienten (66 vs. 68 Jahre) und seltener Männer (51,8 vs. 64,3 %).
Diese spannenden Ergebnisse bestätigen zum einen die Wichtigkeit der hohen Kompetenz der Endoskopiker, unterstreichen jedoch auch die bisher vielleicht unterschätzte Rolle der Tumorbiologie bereits vorhandener (und abgetragener) kolorektaler Adenome. Handelt sich bei diesen Intervallkarzinomen tatsächlich um neu aufgetretene Tumoren mit besonders aggressivem (bisher unbekannten) Wachstumsmuster, und/oder wären die Tumoren durch adäquatere Nachsorgeintervalle vermeidbar?

Die European Polyp Surveillance Study (EPoS), die derzeit an mehren Zentren Europas läuft, ist die erste große internationale multizentrische randomisiert kontrollierte Studie zu dieser Fragestellung. Die Ergebnisse, insbesondere jene des Studienarms, der serratierte Polypen/Adenome untersucht, werden einen wichtigen Beitrag zu dieser Fragestellung leisten. Die rezenten österreichischen Daten unterstreichen die Wichtigkeit weiterer Studien auf diesem Gebiet, insbesondere in Zusammenhang mit der Präventionsmedizin.