Was macht eigentlich ein Nephrologe?

Durch die Implementierung der geschätzten Kreatininclearance mittels standar – disierter Algorithmen (z. B. MDRD- [Modi – fication of Diet in Renal Disease] oder CKDEPI- Formel [Chronic Kidney Disease Epidemiology Collaboration]) wurde sowohl den AllgemeinmedizinerInnen als auch den InternistInnen bewusst, dass PatientInnen trotz eines „fast normalen Serum-Kreatinins“ im höheren Alter eine signifikante Einschränkung der Nierenfunktion aufweisen können und daher Hochrisikopatienten nicht nur für kardiovaskuläre Erkrankungen, sondern auch für Medikamenten-assoziierte Komplikationen darstellen. Trotzdem ist das Additivfach „Nephrologie“ und dessen Aufgaben im Bewusstsein unserer KollegInnen fast ausschließlich auf die Dialysetherapie beschränkt. Dies gipfelt zum Beispiel in einer Aussage von einem Kollegen im Rahmen einer Fortbildungsveranstaltung (Internist), der die Frage stellte: „Was macht ein Nephrologe anders als der Internist? – er verschreibt auch nur ACE-Hemmer!“
Nicht nur, dass die Nephrologie in Bewusstsein der Allgemeinbevölkerung als eigenständige Fachdisziplin bei weitem nicht so verankert ist wie z. B. die Kardiologie, fehlt offensichtlich unserer Berufsgruppe auch eine entsprechende „Awareness“ unter den KollegInnen. Wenn man in modernen Nachschlagewerken (Internet, Wikipedia) die Aufgaben eines Nephrologen erforscht, werden neben der konservativen Betreuung von Nierenerkrankungen auch die Behandlung des Bluthochdrucks und von Störungen des Wasserund Elektrolythaushalts bzw. des Säure- Basen-Gleichgewichts als wichtig angesehen. Als wesentliches Therapieziel eines Nephrologen wird aber die Stabilisierung der Nierenfunktion definiert, um die Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie soweit wie möglich hinauszuzögern. Gerade letzter Satz definiert sehr gut das Aufgabengebiet. Erst wenn eine terminale Niereninsuffizienz eingetreten ist, betreut der Nephrologe die notwendige Nierenersatztherapie wie Peritonealdialyse, Hämodialyse oder Nierentransplantation. Im Österreichischen Strukturund Gesundheitsplan (ÖSG) wird das nephrologische Fach dahingehend charakterisiert, dass der entsprechende Spezialist primär für die Früherkennung, die Diagnostik, die Therapie und die nachsorgende Betreuung von PatientInnen mit Nieren- und Hochdruckkrankheiten zuständig ist. Er soll Nierenersatzverfahren sowie die Vor- und Nachsorge zur Nierentransplantation, aber auch extrakorporale Therapieverfahren bei nicht primär nierenkranken PatientInnen (z. B. Apherese) durchführen.

Was macht ein Nephrologe wirklich anders? Hat sich der Nephrologe wirklich schon durchgesetzt und wird schon früh in die Versorgung der PatientInnen mit Niereninsuffizienz einbezogen? Oder ist er nicht viel eher weiterhin nur zuständig für die Durchführung der Nierenersatztherapie?
In einer rezent durchgeführten Untersuchung von Frau Dr. C. Friedl aus unserer Abteilung konnte gezeigt werden, dass im klinischen Bereich die chronische Niereninsuffizienz deutlich unterdiagnostiziert wird. Nach Evaluierung der Entlassungsdiagnosen stellt sich heraus, dass bei mehr als drei Viertel der PatientInnen mit einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) zwischen 30 und 60 ml/min die Diagnose „chronische Niereninsuffizienz“ in der ärztlichen Dokumentation nicht aufschien. Erst ab dem Stadium IV einer chronischen Niereninsuffizienz bessert sich das „Bewusstsein“ der behandelnden ÄrztInnen in Bezug auf diese Krankheitsdiagnose. Diese Einstellung beschränkt sich nicht nur auf unser Bundesland, sondern ist auch durchaus vergleichbar mit den USA oder mit unserem Nachbarn Italien. Wir wissen, dass es ab einer glomerulären Filtrationsrate von weniger als 45 ml/min zu einem dramatischen Anstieg der kardiovaskulären Mortalität und Morbidität kommt. Die Frage, die sich nun zwangsweise stellt: Kann der Nephrologe dies überhaupt beeinflussen?
Im Stadium V, also unmittelbar vor der Dialysepflichtigkeit, konnte gezeigt werden, dass PatientInnen, die bereits früher als 3 Monate vor Dialysebeginn dem Nephrologen vorgestellt wurden, ihr Überleben absolut um 20 % verbessern konnten. Die amerikanischen Leitlinien empfehlen, dass bereits im Stadium III, also bei einer glomerulären Filtrationsrate von unter 60 ml/min, ein Nephrologe konsultiert werden sollte. So konnte u. a. in US-amerikanischen Studien gezeigt werden, dass durch eine Steigerung der nephrologischen Visiten auf 4-mal pro Jahr das Mortalitätsrisiko im Stadium III und IV der chronischen Niereninsuffizienz um 50 % gesenkt wird.
Dies sind dramatisch Zahlen vor dem epidemiologischen Hintergrund, dass immerhin 10 bis 13 % der erwachsenen Bevölkerung eine eingeschränkte Nierenfunktion aufweisen. Durch einfache nephrologische Maßnahmen kann relativ kostengünstig verhindert werden, dass offensichtlich Nierenkranke in das Stadium einer chronischen Niereninsuffizienz eintreten, die per se mit einer hohen Mortalität vergesellschaftet ist, und in weiterer Folge auch wegen einer notwendige Nierenersatztherapie zu einem dramatischen Kostenanstieg in der medizinischen Betreuung führt.

Was muss ein Nephrologe in Zukunft anders machen? Es gibt einige Bundesländer, die sich bereits Gedanken über die nephrologische Grundversorgung der Bevölkerung machen. Es würde ein fachlich gut fundiertes Konzept benötigen, aber auch den politischen Willen, dies entsprechend umzusetzen. Die hohe Prävalenz in Österreich bzgl. Nierenersatztherapie muss in Zusammenhang mit entsprechenden fehlenden Präventionsprogrammen gebracht werden. Da es kaum niedergelassene Nephrologen gibt, würde diese Aufgabe allein wenigen nephrologischen Zentren im Spitalsbereich zufallen. Bei einer geschätzten Anzahl von 300.000 PatientInnen in Österreich mit deutlich eingeschränkter Nierenfunktion (GFR < 60) ist dies ein Unterfangen, welches durch Spitals – ambulanzen alleine nicht abgedeckt werden kann. In Zukunft muss es daher zwei Ziele geben, die die nephrologische Grundversorgung sichern helfen:

  • Erstes Ziel muss eine entsprechende Schulung im niedergelassenen Bereich hinsichtlich dieser PatientInnen, die potenziell gefährdet sind, in eine terminale Niereninsuffizienz zu „rutschen“, sein. Gut strukturierte Schulungsprogramme wurden von der Steirischen Gesundheitsplattform ausgearbeitet, allerdings noch nicht umgesetzt. Präventive Maßnahmen stellen einen ganz wesentlichen Faktor in der Behandlung von PatientInnen mit einer eingeschränkten Nierenfunktion dar. Dies umfasst neben einer adäquaten Blutdruckeinstellung und Therapie renaler Begleiterkrankungen auch einfache Maßnahmen, wie eine vernünftige Lebensstilmodifikation mit Gewichtsabnahme, eine Ernährungsumstellung und sportliche Aktivität.
  • Als zweite Maßnahme muss es zu einer Optimierung der Versorgung von PatientInnen mit einer terminalen Niereninsuffizienz kommen. Neben den Wahlmöglichkeiten zwischen den 3 Nierenersatzverfahren – Hämodialyse, Peritonealdialyse und Nierentransplantation – gilt es die betroffenen PatientInnen optimal aufzu – klären und für sie die bestmögliche Therapieform zu wählen. Die Nierentransplantation als kosteneffiziente Versorgung von PatientInnen mit terminaler Niereninsuffizienz kommt zwar nicht für alle PatientInnen im Endstadium einer Nierenerkrankung in Frage, aber für doch fast ein Viertel der PatientInnen. Aus diesem Grund müssen alle Anstrengungen in diese Richtung getrieben werden, entsprechende Organangebote in unserem Land zu ermöglichen. Es sind daher alle involvierten Fachdisziplinen (Transplantationschi rurgie, Anästhesie, Nephrologie, etc.) aufgefordert, ent – sprechende strukturelle und logistische Verbesserungen zu schaffen.

Eine Zusammenarbeit mit dem niedergelassenen Bereich ist in unseren Augen eine weitere unabdingbare Voraussetzung für eine nephrologische Grundversorgung der Bevölkerung. Der Nephrologe macht viel mehr als nur Dialyse und sollte wie in diesem Artikel geschildert, schon vor dem Einsetzen der Nierenersatztherapie in die Behandlung integriert werden.