Das Schlusswort: Wo bleibt die Solidarität?

Österreich ist bekannt dafür, dass in vielen Bereichen der Wirtschaft eine gewisse ethisch-politische Grundhaltung herrscht: die Verbundenheit und Unterstützung von Ideen, ­Aktivitäten und Ziele der anderen – kurz: Solidarität. Dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit, die Tugend der Kameradschaft, das freiwillige „Aufeinander-Schauen“ ist besonders in Krisenzeiten ein wertvolles und oft unausgesprochenes Tool, um anstehende Herausforderungen einfacher zu meistern. Der Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas bringt das Wesentliche des Begriffes in einem Satz auf den Punkt: „Wer sich solidarisch verhält, nimmt im Vertrauen darauf, dass sich der andere in ähnlichen Situationen ebenso verhalten wird, im langfristigen Eigeninteresse Nachteile in Kauf.“Auch wir als Interessensvertretung der Medizinprodukte-­Unternehmen kennen diese Solidarität – im Gesundheitswesen im Allgemeinen und in der Zusammenarbeit mit Kranken­kassen und Sozialversicherungsträgern im Speziellen.

Das österreichische Gesundheitswesen ist geprägt durch die föderalistische Struktur des Landes, die Delegation von Kompetenzen an die Selbstverwaltung und durch Akteure-übergreifende Institutionen. Eine effiziente und effektive Zusammenarbeit wäre ohne diesen solidarischen Grundgedanken in der Praxis gar nicht möglich. Und auch ohne Krise ist es erforderlich, dass wir uns auf andere Player und Partner im Gesundheitssystem verlassen können. Unternehmen, die in volatilen Zeiten ohnehin schon sehr flexibel geworden sind, benötigen ein grundlegendes Maß an Planbarkeit, um am Markt agieren zu können.

In den letzten Monaten haben wir beobachtet, dass es einen Trend hin zur Entsolidarisierung von den Kassen zu ihren Vertragspartnern gibt. Sehr kurzfristig wurden Verträge verändert, das hat zur Folge, dass für die Medizinprodukte-Unternehmen planbare Regelungen in nicht-planbare Regelungen verändert wurden. Noch vor dem Jahreswechsel konnten Unternehmen an ihre Konzernzentralen Meldungen über die Entwicklungen und Vereinbarungen mit den Kassen melden, die aber aktuell – nur wenigen Wochen danach – völlig anders sind.

In diesem Zusammenhang darf ich mit Fug und Recht behaupten, dass wir uns als Interessensvertretung Sorgen machen, dass sich hier eine neue Art der Verhandlungsführung zeigt, die einseitig zum Nachteil vieler Unternehmen der Medizinprodukte-Branche ausgeht.

Wir alle wünschen uns einen Wandel im Gesundheitswesen zu mehr Effizienz und Effektivität. Dieser Wandel muss nachhaltig sein und auf diesem solidarischen Miteinander der Player aufbauen. Wir können nicht akzeptieren, dass hier, nur um Veränderung der Veränderung willen voranzutreiben, ohne Ziel und Plan agiert wird. Das Gesundheitssystem ist aufgrund der vielfältigen Verflechtungen sehr komplex und es braucht einen großen, umfassenden und vor allem akkordierten Plan, um Veränderungen auf einen wirkungsvollen Weg zu bringen. Es kann nicht sein, dass zulasten einiger Partner im System kurzfristige Erfolge erzielt werden, die keine nachhaltige Wirkung haben. Mit den Gesundheitszielen hat sich Österreich bereits dazu verschrieben, die Lebensqualität aller hierzulande verbessern zu wollen. Dazu arbeiten Vertreter unterschiedlicher Organisationen und Politikbereiche eng zusammen und identifizieren Rahmenbedingungen und Voraussetzungen und setzen gemeinsam Maßnahmen um, die dieses Ziel Wirklichkeit werden lassen. Die Medizinprodukte-Branche akzeptiert diese Gesundheitsziele und trägt sie vollinhaltlich mit. Das funktioniert aber nur, wenn alle in einem Boot sitzen und in die gleiche Richtung rudern. Das erfordert dringend, dass die involvierten Player miteinander reden und nicht einfach im Alleingang entscheiden, in welche Richtung es künftig gehen soll! n

Ihr

Gerald Gschlössl