SO 05|2019
Publikationsdatum: 2019-09-25
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Vor dem Hintergrund der zunehmenden Zahl an effektiven Kombinationsschemen in der Erstlinie sowie im Rezidiv stellt die Auswahl der Salvage-Therapie beim rezidivierten und refraktären multiplen Myelom (rrMM) eine Herausforderung dar. „Noch nie war die Sequenzierung so wichtig“, betonte Dr. Kwee Yong, University College London, UK. Im Rezidivsetting hängt die Therapieentscheidung von einer Reihe an Faktoren ab. Vonseiten des Patienten sind u. a. Alter, Gebrechlichkeit, Komorbiditäten und Organfunktion zu bedenken, auf der Ebene der Krankheit selbst spielen Remissionsdauer, Biologie und Genetik eine Rolle. Schließlich müssen Aspekte wie Toxizitäten der vorangegangenen Therapien, Verfügbarkeit klinischer Studien und sozioökonomische Faktoren Berücksichtigung finden.
Eine zentrale Fragestellung im aktuellen rrMM-Management bezieht sich auf die Salvage-Optionen bei Patienten, die unter Lenalidomid ein Rezidiv entwickelt haben. Yong diskutierte die Ergebnisse der großen Phase-III-Untersuchungen unter dem Gesichtspunkt der Lenalidomid- und Bortezomib-Vortherapie. In der TOURMALINE-MM1-Studie, die Ixazomib + Lenalidomid/Dexamethason (Rd) mit Rd alleine verglich, zeigten die Patienten unabhängig von einer Vortherapie mit Immunmodulatoren oder Proteasominhibitoren einen Vorteil in Bezug auf das progressionsfreie Überleben (PFS), wenngleich die meisten Lenalidomid-naiv waren1. Ebenso profitierte die Population der ASPIRE-Studie (Carfilzomib + Rd vs. Rd) auch nach Bortezomib oder Lenalidomid, wobei der Benefit bei den Lenalidomid-Vorbehandelten vergleichsweise geringer ausfiel als bei den Lenalidomidnaiven2. POLLUX (Daratumumab + Rd vs. Rd) erbrachte signifikante PFS-Vorteile der Tripelkombination nach Lenalidomid-Exposition sowie bei Bortezomib-refraktären Patienten3. Eine Verlängerung des PFS wurde auch im Zusammenhang mit der CASTOR-Studie (Daratumumab + Bortezomib/Dexamethason [Vd] vs. Vd) bei den Patienten beobachtet, die zuvor Lenalidomid oder Bortezomib erhalten hatten4. Als erste Studie lieferte OPTIMISMM (Pomalidomid + Vd vs. Vd) Daten zur Therapie bei Lenalidomid-Refraktärität nach der Erstlinie. Alle Teilnehmer waren Lenalidomid-vorbehandelt und 70 % Lenalidomid-refraktär5. Yong: „Refraktäre und nicht refraktäre Patienten zeigten in der Zweitlinie einen vergleichbaren PFS-Benefit.“
Diverse Kombinationen befinden sich derzeit in der Zweitliniensituation in Erforschung. Dazu zählen Isatuximab + Carfilzomib und Dexamethason (Isa-Kd) sowie Daratumumab, Carfilzomib und Dexamethason (DKd) und Pomalidomid-Triplets. Beispielsweise prüft die CANDOR-Studie DKd im Vergleich zu Carfilzomib/Dexamethason nach 1–3 Therapielinien. In IKEMA wird Isa-Kd vs. Kd unter denselben Voraussetzungen getestet.
Yong präsentierte eine grobe Orientierungshilfe für die Therapiesequenz nach Erstlinien-Bortezomib und -Lenalidomid (Tab.)6–8. Im ersten Rezidiv kommt insbesondere die Biologie zum Tragen, im Setting des zweiten Rezidivs muss zusätzlich die Fitness des Patienten miteinbezogen werden. „Ein Mangel an Optionen findet sich nach wie vor bei unfitten Patienten mit aggressiver Erkrankung, denen bis dato nur unterstützende Maßnahmen und Symptomkontrolle angeboten werden können“, berichtete Yong. Wie sich die für das multiple Myelom charakteristische klonale Evolution wirksam bekämpfen lässt, ist derzeit noch unbekannt. Ein rationaler Ansatz resultiert aus der Anwendung unterschiedlicher Substanzklassen mit verschiedenen Wirkmechanismen, um den einzelnen Subklonen entgegenzuwirken. Schemen aus mehreren Substanzen bergen allerdings das Risiko kreuzreaktiver Toxizitäten. „Antikörperkombinationen eröffnen hier neue therapeutische Möglichkeiten“, so Yong. „Sie werden im Allgemeinen gut toleriert und weisen keine kreuzreaktiven Toxizitäten auf.“ Darüber hinaus kann von Synergien mit zugelassenen Agenzien ausgegangen werden. Substanzen mit neuen Wirkmechanismen, die derzeit in Phase-I- bis -III-Studien in Erforschung stehen, umfassen u. a. Selinexor, Melflufen, Venetoclax, bb2121, GSK2857916 und AMG 420.
Die Bedeutung rationaler Kombinationsstrategien vor dem Hintergrund der sich verändernden Therapielandschaft betonte auch Dr. Paul G. Richardson, Dana- Farber/Harvard Cancer Center, Boston, USA. „Lenalidomid wird im Frontline-Setting breiter und über längere Zeiträume eingesetzt als früher.“ Zum Rezidivzeitpunkt muss in Bezug auf die Resistenzsituation bereits nach einer Therapielinie mit einer hohen Komplexität gerechnet werden. „Diese entspricht dem, was man vor einigen Jahren erst nach mehreren Linien sah.“
Bei Lenalidomid-refraktären Patienten stellt der Immunmodulator Pomalidomid in Kombination mit Dexamethason (Pd) eine effektive Option dar. Die Zulassungsstudie MM-003 erbrachte unter Pd im Vergleich zu hochdosiertem Dexamethason beeindruckende Ergebnisse im Hinblick auf PFS, Gesamtüberleben (OS) und Gesamtansprechraten (ORR)9. Ebenso zeigte das in der OPTIMISMM-Studie evaluierte Tripelschema PVd in einer zum Großteil Lenalidomid-refraktären Population Aktivität5. Richardson: „Gegenüber Vd resultierten signifikante und klinisch relevante PFS- sowie ORR-Benefits.“
Aber auch abseits dieser zugelassenen Pomalidomid-Regime lässt sich eine hohe Aktivität von Pd im Zusammenspiel mit Alkylanzien, Proteasominhibitoren oder Antikörpern beobachten. So ergab etwa die PERSPECTIVE-Studie gute Ansprechraten und Überlebens-Outcomes unter Cyclophosphamid + Pd10. Der SLAMF7-Antikörper Elotuzumab bewährte sich in ELOQUENT-3 gemeinsam mit Pd gegenüber Pd alleine bei massiv vorbehandelten Patienten11.
Gegenstand der einarmigen Phase-Ib-Studie MMY1001 war die Effektivität des CD38-Antikörpers Daratumumab in Kombination mit Pd. Auch hier wurden mit einer ORR von 60 % und einem PFS von 8,8 Monaten vielversprechende Ergebnisse erzielt12. Ein innovativer, noch nicht zugelassener Antikörper ist Isatuximab, das an einem spezifischen Epitop von CD38 ansetzt. Richardson nahm Bezug auf die Phase-III-Studie ICARIA-MM, die Isa-Pd bei rrMM und ≥ 2 vorangegangenen Therapielinien mit Pd verglich. „90 % der Patienten waren Lenalidomid-refraktär.“ Die am ASCO-Kongress präsentierte Analyse belegte einen signifikanten PFS-Vorteil der Tripelkombination gegenüber Pd (11,53 vs. 6,47 Monate; HR = 0,596; p = 0,001, Abb.)13. „Angesichts der ungünstigen Ausgangslage ist das ein sehr erfreuliches Ergebnis“, so Richardson. PFS-Benefits traten in allen Subgruppen unabhängig von Nierenfunktion, zytogenetischem Risiko oder Refraktärität zutage. Die ORR verdoppelte sich von 35,3 % auf 60,4 % (p < 0,0001), und für das OS wurde ein Trend verzeichnet. Isa-Pd wies ein beherrschbares Sicherheitsprofil auf; die Lebensqualitätsanalyse demonstrierte gleichbleibende Verhältnisse in beiden Armen über den gesamten Studienverlauf hinweg.
Künftige Entwicklungen im Bereich der monoklonalen Antikörper (z. B. BiTE) und der Immuntherapien (z. B. zelluläre Therapien, Impfstoffe) werden das Spektrum an Wirkmechanismen erweitern. Richardson: „Bei rrMM ist es überaus wichtig, dass wir für unsere Patienten so viele Optionen wie möglich zur Verfügung haben.“