Häufig vorhanden, oft übersehen

Ein Patient Mitte 20 berichtet seit der frühen Schulzeit über ausgeprägte Konzentrationsschwierigkeiten und Ablenkbarkeit, die sich nun auch in seinem Beruf als Elektriker deutlich bemerkbar machen. Immer wieder unterlaufen ihm Flüchtigkeitsfehler, und er erledigt Aufgaben häufig nicht so, wie sie vorgegeben wurden. Das führt zu Kritik von Vorgesetzten. Er fühlt sich innerlich ständig unruhig und angetrieben, kommt kaum zur Ruhe und beschreibt einen hohen Leidensdruck durch seine mangelnde Fokussierbarkeit. Im Alltag gerät er immer wieder wegen Impulsivität in Konflikte, etwa wenn er Kolleg:innen ins Wort fällt oder nicht wohlüberlegte Entscheidungen trifft, ohne Rücksprache zu halten. So oder so ähnlich sehen häufig die Patientengeschichten von Betroffenen mit ADHS aus.

Ursachen

ADHS wird als neurobiologische Entwicklungsstörung verstanden, bei der bestimmte Funktionen der Reizverarbeitung im Gehirn verändert sind und in ihrer Reifung verzögert verlaufen. Sie ist stark genetisch mitbedingt, die Erblichkeit liegt bei etwa 70–80 %. Im Sinne eines biopsychosozialen Modells können auch Umweltfaktoren wie familiäre Belastungen, Stress oder frühe Entwicklungseinflüsse eine ursächliche Rolle spielen.

Symptomatik

ADHS ist gekennzeichnet durch drei zentrale Symptombereiche: Aufmerksamkeitsdefizit, Hyperaktivität und Impulsivität. Die Beschwerden bestehen seit der Kindheit und in den verschiedensten Lebensbereichen. Menschen mit ADHS haben Schwierigkeiten, ihre Konzentration über längere Zeit auf eine Aufgabe zu richten. Sie sind leicht ablenkbar – sei es durch äußere Reize oder eigene Gedanken – und wirken auf andere häufig abwesend oder verträumt. Aufgaben werden oft aufgeschoben und erst im letzten Moment erledigt, was zu häufigen Flüchtigkeitsfehlern und Leistungseinbußen führen kann. Viele Betroffene haben Schwierigkeiten mit Organisation und Zeitgefühl: Sie sind unordentlich, vergessen Abmachungen oder erscheinen zu spät zu Terminen. Unterstützung durch Familie oder Freund:innen ist oft notwendig, um Alltagsaufgaben zu bewältigen. Diese wiederkehrenden Probleme werden von der Umwelt meist negativ wahrgenommen. Rückmeldungen wie Kritik oder Ablehnung tragen häufig zur Entwicklung eines negativen Selbstbildes bei.

Die Hyperaktivität wird durch ein hoch energetisches Verhalten beschrieben, dem Bedürfnis bzw. dem Zwang, sich viel zu bewegen, und Zappeligkeit. Menschen mit ADHS reden oftmals mehr und sind mitunter lauter als andere. Des Weiteren leiden sie oft an Ruhelosigkeit und dem Gefühl, von einem Motor angetrieben zu sein. Betroffene können sich geistig und körperlich kaum entspannen, worunter sie oftmals sehr leiden. Impulsivität bei ADHS zeigt sich darin, dass Betroffene Schwierigkeiten haben, abzuwarten, bis sie an der Reihe sind, und häufig in Gespräche hineinplatzen oder andere unterbrechen. Zudem sind sie leicht frustrierbar und können mitunter an Wutattacken und Stimmungsschwankungen leiden. Sie neigen dazu, Entscheidungen vorschnell und ohne ausreichende Reflexion zu treffen, was im Alltag immer wieder zu Problemen führen kann.

ADHS ist unterdiagnostiziert

ADHS wird in der Gesellschaft und auch von Fachpersonen häufig übersehen, da es noch immer stark mit kindlicher Hyperaktivität assoziiert wird. Weniger auffällige Formen, etwa bei Mädchen und Frauen oder Erwachsenen, bleiben oft unerkannt. Zudem können andere psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angstzustände die ADHS-Symptomatik in den Hintergrund drängen und somit übersehbar machen. Viele Betroffene entwickeln kompensatorische Strategien, welche die Diagnose zusätzlich erschweren. Häufig wird ADHS zudem nicht als krankheitswertig anerkannt oder nicht ernst genommen, was zu einer unzureichenden Behandlung führen kann.

Auswirkungen auf verschiedene Lebensbereiche

Menschen mit ADHS sind im Alltag somit häufig in ihrer Selbstorganisation, sozialen Interaktion und beruflichen Stabilität beeinträchtigt. Daraus folgt eine erhöhte Zahl an Jobwechseln, Partnerschaftskonflikten und Problemen bei der Alltagsbewältigung. Für Betroffene ist das Risiko, auch an weiteren psychischen Störungen wie Depression, Angst- oder Suchterkrankungen zu leiden, signifikant erhöht. Studien belegen eine signifikant geringere Wahrscheinlichkeit für höhere Bildungsabschlüsse, ein im Durchschnitt niedrigeres Einkommen, erhöhte Raten ungewollter Schwangerschaften sowie ein überdurchschnittliches Risiko für Trennungen und Scheidungen. Untersuchungen zeigen auch, dass Patient:innen mit ADHS erhöhte Sterblichkeitsraten und Suizidraten aufweisen und öfter mit dem Gesetz in Konflikt kommen. Diese vielfältigen Belastungen und Einschränkungen führen bei Betroffenen häufig zu einem erheblichen psychischen Leidensdruck, einem verminderten Selbstwertgefühl und dem Gefühl, dauerhaft hinter den eigenen Möglichkeiten zurückzubleiben.

Behandlung

Bei der Behandlung von ADHS empfehlen Fachpersonen oft Psychotherapie oder Medikamente oder auch eine Kombination aus beiden. Medikamente aus der Gruppe der Stimulanzien (Methylphenidat, Amphetamin) sowie auch Nichtstimulanzien (Atomoxetin) sind hoch wirksam und erzeugen großteils wenig Nebenwirkungen, die in der Regel gut behandelbar sind. Die Medikamente stimulieren dopaminerge und noradrenerge Nervenverbindungen im Gehirn. Dadurch kommt es zu einer deutlich besseren Informationsübertragung zwischen Nervenzellen und Netzwerken, wodurch Betroffene sich besser konzentrieren können und ruhiger werden. Es kann mitunter nötig sein, verschiedene Präparate auszuprobieren, denn diese können bei Betroffenen unterschiedlich wirken und werden nicht von allen gleich gut vertragen. Im Rahmen dieser Programme lernen Patient:innen, mit ADHS umzugehen und erhalten konkrete Strategien zur Linderung ihrer Symptome. Eine kognitive Verhaltenstherapie kann darüber hinaus dabei unterstützen, eigene Denkmuster zu reflektieren und gegebenenfalls zu verändern.