Therapieabbruch und Folgeerkrankungen drohen, wenn Medikamente zu Übergewicht führen. Deutsche Apotheker:innen empfehlen, Patient:innen entsprechend zu beraten.
Nach einer Bevölkerungsumfrage des deutschen Robert Koch-Instituts haben etwa 53 Prozent der Deutschen Übergewicht oder sind sogar adipös. Übergewicht kann zu zahlreichen Beschwerden führen und chronische Erkrankungen fördern. Meist wissen die Betroffenen, warum sie zunehmen, doch in manchen Fällen können auch Medikamente die unerwartete Ursache sein, erklärt der Präsident der Landesapothekerkammer Hessen Christian Ude: „Bestimmte Wirkstoffe können den Appetit anregen, den Stoffwechsel und das Hormonsystem beeinflussen, körperliche Trägheit begünstigen oder Flüssigkeitseinlagerungen verursachen.“ Die möglichen Auswirkungen auf das Körpergewicht sollten am besten schon bei der Verschreibung bedacht und je nach Patientensituation Wirkstoffalternativen geprüft werden. Keinesfalls dürfen Patient:innen, die Medikamente als Ursache einer Gewichtszunahme vermuten, die Therapie im Alleingang abbrechen und so ihre Gesundheit zusätzlich gefährden.
Verschiedene Arten von Psychopharmaka, die bestimmte Prozesse im Gehirn beeinflussen, können das Gewicht der Patient:innen teilweise deutlich erhöhen. Betroffene nehmen anfangs schnell und dann weiterhin stetig zu. Die Ursachen sind komplex und umfassen unter anderem den Einfluss der Medikamente auf das Hunger- und Sättigungszentrum sowie das Belohnungssystem. Hinzu kommt die sedierende Wirkung vieler Wirkstoffe. Diese Nebenwirkungen gelten nicht für alle Antipsychotika, heißt es in einem Bericht des deutschen Gesundheitsportal DGP. Antidepressiva können ebenfalls mit einer Gewichtssteigerung verbunden sein. Zu beachten ist, dass ein zunehmender Appetit auch Zeichen einer erfolgreichen Therapie sein kann: Die Patient:innen haben wieder mehr Freude am Leben und Essen. Weitere Medikamente, die auf das zentrale Nervensystem einwirken und zu Gewichtszunahme führen können, sind Antiepileptika.
Angesichts sogenannter „Abnehmspritzen“ denken viele Menschen bei Medikamenten gegen Diabetes vor allem an eine Gewichtsabnahme. Einige ältere Sulfonylharnstoffe können das Gewicht jedoch stark steigern. Auch Insulin fördert den Aufbau von körpereigenem Gewebe und kann den Appetit anregen. Betablocker, die gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen eingesetzt werden, können den Stoffwechsel verlangsamen. Der Grundumsatz sinkt, der Körper verbraucht weniger Energie und speichert die überschüssigen Kalorien stattdessen als Fett. Zudem können die Medikamente müde machen. Diese Gefahr einer Gewichtszunahme gilt nicht im selben Maß für alle Betablocker. Die unerwünschte Wirkung mancher Antidiabetika und Betablocker ist umso problematischer, als viele Patient:innen bereits an Übergewicht leiden.
Cortison, das beispielsweise zur Behandlung rheumatischer Erkrankungen eingesetzt wird, kann bei längerer Anwendung das äußere Erscheinungsbild verändern, indem es den Appetit steigert, Proteinabbau sowie Fettumverteilung bewirkt und zu Flüssigkeitseinlagerungen führt. Ebenso kann eine Hormontherapie bei Prostatakrebs das Gewicht der männlichen Patienten erhöhen und die Muskelmasse reduzieren. Auch eine antiretrovirale HIV-Therapie kann, so wie das Virus selbst, das Fettgewebe verändern.
Die möglichen Folgen sind ernsthaft: Beispielsweise erkranken Übergewichtige häufiger an Bluthochdruck, Gicht oder Diabetes Typ 2 und haben ein höheres Risiko für Unfälle und Operationen. Außerdem kann das Selbstwertgefühl der Betroffenen leiden, sodass sie sich sozial zurückziehen. Wer Medikamente als Ursache der zusätzlichen Kilos vermutet, nimmt seine Arzneimittel vielleicht seltener ein oder bricht die notwendige Therapie ganz ab, ohne dies mit dem Arzt zu besprechen. Eine Gewichtszunahme durch Medikamente zu minimieren, sei daher kein kosmetisches Problem, sondern entscheidend für den Behandlungserfolg. Eine regelmäßige Kontrolle und pharmazeutische Beratung können Betroffene unterstützen, medikamentenbedingtes Mehrgewicht frühzeitig zu erkennen und entgegenzuwirken. (red)