Die Ärztekammer warnt vor einem Medikamentenmangel und kritisiert das neue Preisband für Arzneimittel. Die Sozialversicherung spricht von einer „unangemessenen“ Verunsicherung.
Die Österreichische Ärztekammer (ÖÄK) warnt vor Arzneimittelengpässen im Herbst und erwartet eine „Verschärfung der Lage“ durch das neue Preisband. Unentbehrliche Medikamente wie Schmerzmittel, Antibiotika oder Hustensäfte für Kinder könnten demnach betroffen sein. Zuletzt hatten der Generikaverband und der Präsident der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG), Peter Fasching, bereits vor einem Aus des Medikaments Metformin gewarnt – RELATUS hat berichtet.
„Zum einen ist da das neue Preisband für Arzneimittelspezialitäten, das den Preisdruck auf die Hersteller weiter erhöht. Diese österreichische Eigenheit hat dazu geführt, dass Österreich international als ‘Billigland’ für Medikamente gilt“, sagte ÖÄK-Präsident Johannes Steinhart am Dienstag im Rahmen einer Pressekonferenz. Damit sei auch klar, dass Österreich für die Hersteller von Arzneimittelspezialitäten nicht gerade als attraktiver Absatzmarkt gilt. „Wenn die Kostenschraube nun noch weiter angezogen wird, dann könnten noch mehr Medikamente vom österreichischen Markt verschwinden“, warnte Steinhart. Das Preisband habe einen Sinn, „aber bitte mit Augenmaß“, pflichtete Ernst Agneter, Facharzt für Pharmakologie, Inhaber des Lehrstuhls für Pharmakologie an der Sigmund Freud Privatuniversität und Präsident der Gesellschaft der Ärzte in Wien, bei. Ein Beispiel: Der Preis des Antibiotikums Amoxicillin für Kinder ist laut Agneter in den vergangenen Jahren bereits fünfmal gesenkt worden. Als Konsequenz würden durchschnittlich 20 Generika Arzneimittel pro Monat aktuell den Erstattungskodex in Österreich verlassen, „weil ihre Herstellung trotz Erstattung nicht mehr wirtschaftlich ist“, so Agneter.
Für den Dachverband der Sozialversicherungsträger ist die Warnung eine „unangemessene“ Verunsicherung der Menschen: Die Befürchtung der Ärztekammer, dass das sogenannte „Preisband“ zu einem Medikamentenengpass führen könnte, sei unbegründet. Das Preisband ermögliche es jenen Firmen, deren wirkstoffgleiche Produkte teurer sind als jene des preisgünstigsten Anbieters, trotzdem auf Kosten der Allgemeinheit abgegeben werden zu dürfen. Diese Regelung, die 2017 auf Wunsch der Industrie eingeführt wurde und Preisaufschläge bis zu 20 Prozent gegenüber den günstigeren Produkten ermöglicht, führt laut Dachverband zwar zu Mehrkosten bei der Krankenversicherung, sorgt aber dafür, dass mehrere Anbieterfirmen eines bestimmten Medikaments – und nicht nur der Anbieter des Produkts mit dem niedrigeren Preis – auf dem heimischen Erstattungsmarkt im Geschäft bleiben können.
Das führe in Österreich zu einer größeren Anbietervielfalt als in diversen Ländern, wo grundsätzlich im Rahmen von Ausschreibungen nur der billigste Anbieter für das öffentliche Gesundheitswesen zum Zug kommt („Tendering“). Wirkstoffgleiche Medikamente würden auf dem heimischen Markt von vielen verschiedenen Firmen angeboten und tragen damit zur Versorgungssicherheit bei Ausfall eines Anbieters bei. Österreich ist laut Dachverband für Generika außerdem keineswegs ein „Billigland“, sondern im europäischen Vergleich sogar ein Hochpreisland: Generika seien in Österreich laut Preisindex um 121 Prozent teurer als in Schweden und auch deutlich teurer als in von der Wirtschaftskraft pro Kopf vergleichbaren Ländern wie Deutschland, Frankreich, Niederlande oder Dänemark. Die Medikamentenvielfalt, die heimischen Versicherten auf Kassenkosten zur Verfügung stehe, steige stetig und habe einen neuen Höchststand erreicht: Waren Anfang 2005 noch 5.264 Medikamente gelistet, sind es mit Jänner 2025 bereits 7.759. (kagr/APA)