„Neurorehabilitation wird immer wichtiger“

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Thomas Platz, Kongresspräsident der Deutschen Gesellschaft für Neurorehabilitation (DGNR), über Highlights der gemeinsamen Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizer Fachgesellschaften. 

„Unter einem D-A-CH: Evidenz, Praxis und Innovation“ ist das diesjährige Motto der gemeinsamen Jahrestagung von DGNR, OeGNR und SGNR vom 4.-6. Dezember in Freiburg. Was ist aktuell in der Diskussion? Wichtige Ansatzpunkte für eine spannende Diskussion liegen in der Vielfalt von aktuellen Forschungsergebnissen. Da gibt es einerseits das Wissen aus der aktuellen klinischen Forschung, das betrifft auch Rehabilitationstechnologie, ferner Informationen aus der Versorgungsforschung. Das Wissen allein aber reicht nicht, es bedarf der Umsetzung. Und auch das wird diskutiert: Wie schaffen wir es, Wissen in die Praxis zu bringen, wie kann Implementierung gelingen? 

Wie ist die Neurorehabilitation im Vergleich in der Versorgung aufgestellt? Sicherlich haben wir in Deutschland – und das trifft auch für Österreich und die Schweiz zu – im weltweiten Vergleich eine sehr gute Aufstellung in der medizinischen Versorgung. In Deutschland zum Beispiel haben wir die neurologische Frührehabilitation inklusive Beatmungsentwöhnungzentren, die neurologische Anschlussrehabilitation und auch eine ambulante Versorgung. In all diesen Bereichen gibt es aber auch ständige Veränderungen der Rahmenbedingungen und immer wieder die berechtigte Sorge: Wie kann die Neurorehabilitation zukunftssicher in das Versorgungssystem integriert werden? Ich denke etwa an die Krankenhausreform und ihre Auswirkungen, an die Rehabilitation außerhalb des Krankenhaussektors. Ich denke an die ambulante Versorgung, wo eine multiprofessionelle, Team-basierte Therapie im Großen und Ganzen leider noch nicht umgesetzt ist.  

Was sind Herausforderungen für die Neurorehabilitation in den nächsten Jahren? Neurologische Erkrankungen sind führende Ursachen für Alltagsbehinderungen weltweit und so auch bei uns. Mit den demographischen Veränderungen wird die Anzahl der Personen, die von neurologisch bedingter Behinderung betroffen sind, deutlich zunehmen. Neurorehabilitation ist die Form der Medizin, die erreichen kann, dass trotz einer neurologischen Erkrankung Alltagsbewältigung weiterhin selbstständig gelingt und Pflegebedarf vermieden werden kann. Sie wird also immer wichtiger. Die große Herausforderung wird sein: Wie können wir diese Form der medizinischen Behandlung zukunfts- und demografiesicher machen? Hierfür bedarf es der Gewinnung von Fachkräften und deren Ausbildung, des Einsatzes von Technologie, aber auch der politischen Rahmenbedingungen, um das Versorgungssystem entsprechend weiterzuentwickeln.   

Welche Bedeutung hat Künstlicher Intelligenz (KI) für die Neurorehabilitation? Die Möglichkeiten von KI entwickeln sich rasant und werden innerhalb weniger Jahre alle gesellschaftlichen Bereiche massiv beeinflussen. Auf dem Kongress wird zum Beispiel künstliche Intelligenz beim Einsatz in der Sprachtherapie thematisiert. Ein anderer Vortrag wird über moderne Forschung berichten, wie durch Hirnaktivität und künstliche Intelligenz Exoskelette gesteuert werden können. Insgesamt kann man aber sagen, dass künstliche Intelligenz noch nicht sehr im klinischen Alltag in der Neurorehabilitation angekommen ist, was sich aber in den nächsten Jahren massiv ändern wird.  

Gibt es weitere Kongress-Highlights, auf die Sie sich besonders freuen? Wir haben zum ersten Mal zwei partizipative Symposien geplant, in denen wir mit einer „Zukunftswerkstatt Neurorehabilitation“ multiprofessionell und über die Landesgrenzen hinweg für den D-A-CH-Raum überlegen, wie ist die aktuelle Situation in der Neurorehabilitation? Wo sehen wir Entwicklungsbedarf für die nächsten Jahre und welche Aktivitäten werden uns helfen, diese Ziele zu erreichen? Ich freue mich auch, dass Themen, die den üblichen Rahmen wissenschaftlicher Betrachtung erweitern, in den Kongress integriert werden konnten. So etwa die Frage der Relevanz von Spiritualität für Neurorehabilitation. (red)