© Dimitris Vetsikas - Pixabay Verhandler:innen von EU-Rat und Europäischem Parlament haben sich Ende der Woche auf eine umfassende Reform der europäischen Arzneimittelgesetze geeinigt. Die Industrie übt Kritik.
Das vorläufig beschlossene EU-Pharma-Paket soll die Vorschriften modernisieren, den Zugang für Patient:innen zu Medikamenten beschleunigen und die Wettbewerbsfähigkeit der Branche stärken, wie der Rat am Donnerstag mitteilte. Die Einigung sieht vor, dass Unternehmen für neue Medikamente acht Jahre Schutz für ihre Studiendaten und ein Jahr Marktexklusivität erhalten. Für besonders innovative Produkte kann dieser Schutz um ein weiteres Jahr verlängert werden. Die dänische Gesundheitsministerin Sophie Løhdesprach von einem Rahmen, der Anreize für Innovationen mit Maßnahmen für einen verlässlichen Patientenzugang ausbalanciere.
Um die Versorgungssicherheit zu erhöhen, sieht das Paket vor, dass die EU-Staaten die Hersteller zur Bereitstellung ausreichender Mengen verpflichten können. Zudem wird eine Ausnahmeregelung für Hersteller von Generika und Biosimilars präzisiert. Diese erlaubt es ihnen, Studien und Zulassungsanträge bereits vor Ablauf der Patente abzuschließen, um einen sofortigen Markteintritt zu gewährleisten.
Zur Förderung der Entwicklung dringend benötigter Antibiotika wurde zudem ein übertragbares Exklusivitätszertifikat beschlossen. Dieses gewährt Entwicklern ein zusätzliches Jahr Marktschutz für ein Produkt ihrer Wahl. Ausgeschlossen ist die Nutzung jedoch für Arzneien, die in den vier Jahren zuvor in der EU Bruttoumsätze von über 490 Millionen Euro erzielt haben. Rat und Parlament müssen das Paket nun noch formell bestätigen, bevor es nach Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft tritt.
„Wie bereits in den vergangenen Jahren sind wir auch in diesem Winter mit Medikamentenengpässen konfrontiert“, betont Johannes Steinhart, Präsident der Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien. Alles, was diesem chronischen Notstand entgegenwirken kann, sei gut und notwendig. Die konkrete Umsetzung in den einzelnen Mitgliedstaaten, einschließlich Österreich, sei jedoch noch offen. „Es ist die Aufgabe der heimischen Politik, die nationale Implementierung kritisch zu begleiten, besonders im Hinblick auf Versorgungssicherheit und ärztliche Entscheidungsfreiheit.“ Die Engpässe entstehen vor allem, weil es nur wenige Hersteller gibt, ein Großteil der Medikamente außerhalb der EU produziert wird und das System in Krisen oder bei hoher Nachfrage nicht stabil genug ist.
Der Branchenverband European Confederation of Pharmaceutical Entrepreneurs (ECPE) warnte, insbesondere die verkürzte Basismarktexklusivität schwäche die EU im globalen Wettbewerb um Investitionen. Die Reform wird auch von der chemisch-pharmazeutischen Industrie in Österreich mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Zwar enthalte das Paket wichtige Kompromisse, doch zentrale Hebel zur Stärkung der europäischen Pharmaforschung und Produktion bleiben ungenutzt, da die bisherigen Vorgaben zu Patent- und Unterlagenschutz nach jahrelangen Verhandlungen im Wesentlichen kaum verändert werden. „Es ist ein Fortschritt, aber kein Durchbruch“, sagt Ulrich Wieltsch, Obmann des Fachverbands der Chemischen Industrie Österreichs in der Wirtschaftskammer. „Europa braucht eine Arzneimittelstrategie, die Versorgungssicherheit, Innovation und industrielle Wertschöpfung stärkt. Dieses Paket bleibt deutlich hinter diesem Anspruch zurück.“
Besonders sensibel ist die Ausgestaltung der Bolar-Ausnahme. Obwohl die Reform ursprünglich Klarheit schaffen sollte, bleiben wesentliche Rechts- und Auslegungsfragen offen. Das betrifft sowohl Unternehmen, die innovative Arzneimittel entwickeln, als auch Generika- und Biosimilarhersteller. „Wir brauchen einen stabilen und klaren Rechtsrahmen, der Wettbewerb ermöglicht und dennoch Investitionen schützt. Unklare Regeln helfen niemandem“, erklärt Wieltsch. Auch die vorgesehenen Vermarktungspflichten werden kritisch gesehen. Anreize zur Verbesserung der Versorgung sind sinnvoll, verpflichtende Vorgaben würden aber Investitionsentscheidungen erschweren und die europäische Pharmaindustrie im internationalen Wettbewerb benachteiligen. Gerade in einem wirtschaftlich herausfordernden Umfeld brauche die Industrie Planungssicherheit, um Produktions- und Lieferketten langfristig abzusichern und nicht neuen Regeln mit erwartbaren negativen Auswirkungen.
Positiv wird bewertet, dass das Zulassungssystem künftig effizienter werden soll – durch kürzere Bewertungsfristen, digitale Prozesse und modernisierte Verfahren. Das könnte dazu beitragen, dass Patient:innen schneller Zugang zu neuen Therapien erhalten. Doch ohne kluge wirtschaftliche Rahmenbedingungen und verlässliche Investitionsbedingungen bleibt offen, ob die Reform tatsächlich zu mehr Produktion in Europa führt. „Beschleunigte Verfahren sind wichtig“, betont Wieltsch, „aber sie ersetzen keine Standortpolitik.“
„Die EU sendet ambivalente Signale aus. Einerseits will sie gerade mit diesem Gesetzespaket die Wettbewerbsfähigkeit Europas und die Medikamentenversorgung stärken. Andererseits bewirken viele der Regeln, auf die man sich nun geeinigt hat, das Gegenteil davon. Wären die jüngsten, geopolitischen Entwicklungen stärker ins Auge gefasst worden, könnte man mit einem entsprechenden Paket den Standort nachhaltiger stärken, anstatt da und dort erst recht wieder Hürden für Unternehmen zu schaffen“, sagt Alexander Herzog, Generalsekretär des Pharma-Verbandes Pharmig. (red/APA)