Multifaktorielle Intervention ist essenziell für die Prognoseverbesserung

Sehr geehrte Frau Kollegin, sehr geehrter Herr Kollege!

Die Auswahl der Themen und Autoren dieser Ausgabe von DIABETES FORUM haben der Präsident und der Sekretär der Österreichischen Diabetes Gesellschaft, Prof. Dr. Heinz Drexel und Doz. Dr. Christoph Säly, übernommen, denen ich dafür meinen herzlichen Dank aussprechen möchte.
In den Beiträgen wird systematisch abgehandelt, welche Interventionen nötig sind, um die Prognose von Patienten mit Diabetes mellitus zu verbessern. Wir können in dieser Hinsicht auf äußerst erfolgreiche Jahre zurückblicken: In den USA ist die kardiovaskuläre Mortalität bei Diabetikern seit den 1970er-Jahren um 70 % zurückgegangen (Preis et al., Circulation 119:1728, 2009), nach aktuellen Daten allein zwischen 1997 und 2006 um 40 % (Gregg et al., Diabetes Care 35:1252, 2012). In Dänemark hat die Mortalität bei Diabetespatienten innerhalb weniger Jahre um 40 % abgenommen (Carstensen et al., Diabetologia 51:2187, 2008), in Großbritannien um 26–47 % (Charlton et al., Diabetes Care 31:1761, 2008) – in beiden Fällen übrigens stärker bei Männern als bei Frauen. Auch die Zahl der Spitalsaufnahmen wegen kardiovaskulärer Ereignisse oder Koronarinterventionen ist deutlich gesunken (Vamos et al., Diabetes Care 35:265, 2012).
Dennoch ist das Potenzial für weitere Prognoseverbesserungen nicht ausgeschöpft, weil viele Patienten die Zielwerte für Blutdruck und LDL-Cholesterin nicht einhalten können (Kotseva et al., Lancet 373:929, 2009). In der Lipidtherapie setzt sich zunehmend die Meinung durch, dass bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und vielfach auch bei jenen mit Typ- 1-Diabetes strengere LDL-Zielwerte von weniger als 70 mg/dl angestrebt werden sollten. Dass das so segensreiche Prinzip der Lipidsenkung mit Statinen aber auch seine Schattenseiten hat, zeigen die Berichte über vermehrte Fälle von Typ-2-Diabetes unter Statintherapie. Passend dazu berichten Sato et al. (Diabetes Care 2012 Jul 24 [Epub ahead of print]) über eine um ca. 20 % reduzierte Insulinsensitivität bei nichtdiabetischen Patienten, die im Vorfeld eines herzchirugischen Eingriffs mit lipophilen Statinen behandelt wurden.
Das trotz guter Blutdruck- und LDL-Senkung hohe Restrisiko bei Typ-2-Diabetes dürfte wesentlich auf das erniedrigte HDL-Cholesterin zurückzuführen sein. Leider waren die Versuche, durch pharmakologische HDL-Anhebung kardiovaskuläre Ereignisse zu verhindern, bislang wenig erfolgreich. Entscheidend dürfte aber sein, auf welche Weise die Intervention erfolgt, nachdem epidemiologische Daten darauf hindeuten, dass die günstigen kardiovaskulären Effekte von körperlicher Aktivität, aber auch von moderatem Alkoholkonsum zumindest teilweise über die Anhebung des HDL-Cholesterins wirksam werden.
In der Blutdrucktherapie hat sich, ebenso wie in der Diabetestherapie, die Einsicht durchgesetzt, dass allzu strenge Zielwerte vermieden werden sollten. Als generelle Richtwerte gelten derzeit ein HbA1c von unter 7 % und ein Blutdruck von 130/80 mmHg – niedrigere Werte dürften, insbesondere bei vorbestehender Gefäßerkrankung, keinen Benefit bringen bzw. das Risiko eher erhöhen.
Die Ergebnisse der ORIGIN-Studie (ORIGIN Trial Investigators, N Engl J Med 367:319, 2012) sind zur Beantwortung dieser Fragestellung nicht geeignet, weil die Intervention hier nicht auf die Absenkung hoher HbA1c-Werte zielte, sondern darauf, bei Personen mit Prädiabetes oder sehr frühem, mildem Typ-2-Diabetes die HbA1c-Werte im normnahen Bereich (6,3–6,5 %) zu halten. Insofern relativiert sich auch die Enttäuschung darüber, dass eine moderne Insulintherapie gegenüber Metformin oder Sulfonylharnstoffen (beide seit über 50 Jahren verfügbar) keine Vorteile erbrachte.
Epidemiologische Studien zeigen eindeutig, dass sich die kardiovaskuläre Prognose mit steigendendem HbA1c verschlechtert. In Interventionsstudien lässt sich dieser Zusammenhang bekanntlich nicht ohne weiteres nachvollziehen, was vielleicht auch daran liegt, dass die Intervention zu spät begonnen oder durch unerwünschte Therapieeffekte konterkariert wurde. Interessanterweise zeigen die Phase-III-Programme der zugelassenen DPP-4-Hemmer und GLP-1-Agonisten im Vergleich zu den Kontrollgruppen eine tendenzielle Überlegenheit bezüglich des kardiovaskulären Risikos. Ob dies auf die Benefits der neuen Substanzen oder auf die Nachteile der Komparatoren (vielfach Sulfonylharnstoffe) zurückzuführen ist, bleibt offen, ist aber letztlich unerheblich. Auch mit den jetzt verfügbaren Therapien werden die Grenzen des Möglichen mit Sicherheit nicht erreicht, sodass wir von neuen Medikamenten weiterhin Verbesserungen erwarten können, die sich langfristig auf die Prognose der Patienten günstig auswirken werden.