10 Punkte für die Zukunft der Allgemeinmedizin – Punkt 5: Frauen in der Medizin

Die Medizin wird zunehmend weiblich. Waren es 1995 nur 33% an Frauen, ist der Frauenanteil an der Ärzteschaft im Jahr 2015 bereits bei 46% gelegen. Mehr als die Hälfte aller Spitalsärzte und ein Drittel aller niedergelassenen Ärzte sind Frauen. Den höchsten Frauenanteil weist Wien mit 50% auf, gefolgt von Niederösterreich und der Steiermark (47 bzw. 46%). Und: Es spricht alles dafür, dass der Anteil weiblicher Jungmediziner weiter steigt. Der Anteil weiblicher Medizinabsolventen liegt seit Jahren zwischen 56 und 61%. Gleichzeitig entscheiden sich aber immer weniger junge Männer für den Arztberuf. Die Ärztegeneration, die in wenigen Jahren in Pension gehen wird, ist vorwiegend männlich. Zum Schließen dieser Lücken werden künftig mehrheitlich Ärztinnen zur Verfügung stehen. Daher sind frauen- und familienfreundliche Arbeitsbedingungen auch in der Medizin dringend umzusetzen.
Mag. Ingrid Reischl, Obfrau der WGKK, beschreibt die Situation in Wien: „In Wien sind über 50 Prozent der Ärzte weiblich, Tendenz steigend. Gerade für Ärztinnen, die Familie mit Kindern haben, sind eine ausgeglichene Work-Life-Balance und flexible Arbeitszeiten wichtig. Das steht jedoch im Widerspruch zu den Bedürfnissen unserer Patientinnen und Patienten, die ihren Hausarzt auch gerne zu Tagesrandzeiten nach der Arbeit aufsuchen möchten. Viele Menschen können nicht so ohne weiteres von der Arbeit weg zu ihrer Ärztin oder ihrem Arzt gehen. Für uns von der WGKK stehen die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten im Mittelpunkt. Gleichzeitig ist es uns aber auch ein Anliegen, unseren Vertragspartnerinnen und -partnern gute Arbeitsbedingungen zu ermöglichen. Beides ist mit dem derzeitigen Gesamtvertrag nicht immer gut umsetzbar. Wir arbeiten schon lange an dieser Thematik. So bieten wir zum Beispiel auch ein Jobsharing-Modell an – Ärztinnen und Ärzte können ihren Vertrag teilen, um sich der Kindererziehung zu widmen, jemanden Schwererkrankten zu betreuen oder im Fall einer eigenen Erkrankung.“ Gruppenpraxen und vor allem die neuen Primärversorgungszentren (PHC) sind für Reischl eine gute Möglichkeit, um Beruf und Familie zu vereinbaren. „Mit den PHC-Zentren, in denen mehrere Ärztinnen und Ärzte für Allgemeinmedizin auch mit anderen Berufsgruppen zusammenarbeiten, lassen sich sowohl die Arbeitsbedingungen als auch die Verfügbarkeit für Patientinnen und Patienten deutlich verbessern. Im PHC Mariahilf zum Beispiel arbeiten derzeit zwei Ärzte und eine Ärztin, in Kürze kommt noch ein vierter Arzt dazu.“
Das PHC Mariahilf hat 50 Stunden pro Woche offen, täglich von 8–19 Uhr mit einer Stunde Mittagspause, die durchschnittliche Wartezeit beträgt 20 Minuten; die Patienten können sich den Arzt bzw. die Ärztin aussuchen. Das Zentrum hat keine Schließtage (ausgenommen am Wochenende und den gesetzlichen Feiertagen), geboten wird eine interdisziplinäre Versorgung (dzt. drei Ärzte, Ordinationsassistenten, diplomiertes Pflegepersonal, Psychotherapeutin, Sozialabeiterin). „Für die Patienten ist das ideal, das hat auch unsere Umfrage zum PHC Mariahilf gezeigt: 93% der Patienten waren mit ihrem Besuch sehr zufrieden, 94% der Patienten sind mit den langen Öffnungszeiten sehr zufrieden und 13% der Patienten hätten – gäbe es das Zentrum nicht – eine Spitalsambulanz aufgesucht. Und auch die Ärzte haben große Freude an ihrer Tätigkeit, denn die neue Primärversorgung ermöglicht familienorientierte, flexible Arbeitszeitmodelle durch größere Teams, mehr Zeit für die Patienten und eine ausgewogene Work-Life-Balance“, meint Reischl.

Schwierige Gruppenpraxisgründung?

ÖGAM-Präsident Dr. Christoph Dachs verweist auf die mitunter schwierige Gründung von Gruppenpraxen, nicht zuletzt wegen der Abschläge und finanziellen Einbußen. Reischl dazu: „Wir haben in Wien keine Abschläge für Gruppenpraxen. Das war ein Punkt, wo wir lange verhandelt haben.“ Reischl würde sich mehr Gruppenpraxen wünschen, vor allem im allgemeinmedizinischen Bereich. „In Wien gibt es derzeit insgesamt 89 Gruppenpraxen, elf davon für Allgemeinmedizin.“ Der Drang, in eine Gruppenpraxis zu gehen, dürfte sich allerdings in Grenzen halten, wird jedoch in Zukunft sicher steigen.
„Es ist nicht leicht, mit fremden Personen das wirtschaftliche Risiko einer gemeinsamen Ordination einzugehen. Das haben wir auch bei der Primärversorgung SMZ Ost gesehen, das mehrfach ausgeschrieben werden musste. Bislang wissen wir nicht sicher, ob sich bei der aktuellen Ausschreibung ein Bewerberteam findet, da die Ausschreibungsfrist noch bis Ende Februar läuft – ich bin aber optimistisch. Gleichzeitig verstehe ich diesbezüglich die Unsicherheit der Ärzte: Es ist ein Pilotversuch für fünf Jahre, und es gibt keine gesetzliche Grundlage. Wir brauchen dringend ein eigenes Primärversorgungsgesetz, um flexiblere und familienfreundlichere Arbeitsbedingungen zu schaffen und den Ärztinnen und Ärzten in den PHC ausreichende wirtschaftliche Sicherheit zu bieten – und allem voran die medizinische Versorgung für Patientinnen und Patienten in ganz Österreich zu verbessern.“
Dachs kritisiert, dass bezüglich Gruppenpraxen in anderen Bundesländern keine Mehrkosten vorgesehen sind. „Wenn die Politik will, dass wir 52 Wochen im Jahr von Montag bis Freitag am Nachmittag offen haben, dann muss das mehr kosten, weil ich brauche einen zusätzlichen Arzt und eine Assistentenstelle mehr.“ Er selbst hat Praxissharing mit zwei Kollegen.
Auch Mag. Bernhard Wurzer, Verbandsmanager im Hauptverband befürwortet in diesem Zusammenhang Netzwerke und Zusammenschlüsse. „Ich frage mich auch, ob wirklich alle Ärzte, die im niedergelassenen Bereich tätig sind, selbständig und freiberuflich sein wollen oder ob nicht manche eine 20-Stunden-Anstellung in einer Ordination bevorzugen würden. Das könnte speziell auch für Ärztinnen interessant sein, die eine Familie gründen wollen und sich gerade nicht mit dem ganzen Papierkram, Finanzamt etc. abquälen wollen und vielleicht erst später selber eine Ordination führen wollen. Diese Möglichkeiten sollten geschaffen werden.“
Dachs fordert auch eine vernünftige Regelung der Bereitschaftsdienste – nicht zuletzt, um die Belastung für Ärztinnen zuverringern.

Ärztinnen-Zahlen
Mehr als die Hälfte (53%) der Spitalsmediziner ist weiblich. Wien (57%) und Niederösterreich (56%) liegen über dem Schnitt. Von den Turnusärzten sind 60% weiblich, den höchsten Frauenanteil hat hier das Burgenland (64%). Hingegen befinden sich nur 14% der Primariate in weiblicher Hand. Der „Großstadtfaktor“ zeigt sich in diesem Bereich sehr deutlich: In der Bundeshauptstadt sind 23% aller Primarärzte weiblich.
Frauen führen 34% der Arztpraxen, den größten Anteil gibt es auch hier in Wien mit 39%. Bemerkenswert ist, dass Frauen im Österreichschnitt zwar vier von zehn allgemeinmedizinischen Praxen innehaben (42%), aber weniger als ein Drittel aller Facharztordinationen (29%). Hier liegt sogar die Bundeshauptstadt mit 33% nur knapp über dem Österreichschnitt.

 

Quelle: Presseaussendung der ÖÄK, 2014