Leider nur noch Mittelmaß

Eine traurige Geschichte, die in den vergangenen Jahren ziemlich unbeachtet blieb: Österreichs Gesundheitswesen ist im Grunde genommen für die Patienten immer schlechter geworden. Seit 2006 erstellt das Beratungsunternehmen „Health Consumer Powerhouse“ jährlich eine Bewertung, wie gut oder wie schlecht die Versorgung in den analysierten Ländern ist.
Kurze Wartezeiten, direkter Zugang zu Ärzten und gute Behandlungsergebnisse – eine am Montag in Brüssel präsentierte Studie stellt dem heimischen Gesundheitswesen ein gutes Zeugnis aus. Demnach hat Österreich trotz mangelnder Patienteninformationen das konsumentenfreundlichste Gesundheitssystem Europas und schneidet auch besser ab als Länder, die deutlich mehr Geld ausgeben, wie Luxemburg oder die Schweiz. – Das war die Diagnose im Jahr 2007. Die Gesundheitspolitik reagierte hoch erfreut.
Doch was sagt sie jetzt? „2015 liegt Österreich in einem eigenen Quartett mit Dänemark, Frankeich und Schweden – mehr als 30 Punkte hinter den Spitzenländern, die sich vom Rest des Feldes absetzten“, schrieben die Fachleute vor Kurzem in ihrem Report. Österreich ist nunmehr an zwölfter Stelle unter 35 begutachteten Staaten.
Die Sache hat mittlerweile eine unrühmliche Geschichte: Die Beurteilung beruht auf den Informationen aus öffentlichen Datenbanken zur Güte des Gesundheitswesens und auf Befragungen von Patienten bzw. Patientenvertretern. Das erfolgt in sechs Kategorien (Patientenrechte/Information/E-Health – max. 150 Punkte; Zugang/Wartezeiten – max. 225 Punkte; Behandlungsresultate – max. 250 Punkte; Umfassende Versorgung – 150 Punkte; Prävention – 125 Punkte; Medikamente – max. 100 Punkte) mit fast 50 Unterkategorien. Das macht insgesamt 1.000 mögliche Punkte aus.
Das Problem für Österreich: 2007 war die Alpenrepublik vor Frankreich an erster Stelle in dem Ranking, im Jahr darauf mit einem geringen Anstieg im Vergleich zu Frankreich an zweitem Rang, ein weiteres Jahr später hinter Frankreich und der Schweiz auf dem dritten Platz. Gemeinsam mit Deutschland ging es dann bis 2012 rasant bergab. Während es in Deutschland seither wieder steil bergauf ging, erholte sich Österreich deutlich weniger. Zeitlich könnte jedenfalls ein Konnex mit der 2012/2013 ausgerufenen Gesundheitsreform gegeben sein. Man muss ein System nur verunsichern, dann läuft es schon anders …
Und übrigens, so die Autoren: „Das erste CEE-Land liegt nur um 14 Punkte hinter Österreich.“

„Bismarck“ gegen den Rest

Insgesamt dominieren bei den vorderen Rängen eindeutig jene Staaten, welche auf das „Bismarck“-System mit Krankenkassen – und vor allem einem Wettbewerb zwischen ihnen – setzen. Das staatliche Gesundheitswesen, zum Beispiel in Großbritannien und in Italien, zeigt zumeist schlechtere Werte. Dieses nach dem britischen Liberalen William Beveridge benannte System „scheint in der Realität nur in Ländern mit kleinen Einwohnerzahlen wie Island, Dänemark und Norwegen zu funktionieren“, schrieben die Fachleute in dem neuen Bericht. Es scheint sich also ein System mit verschiedenen Finanzierungsströmen besser zu bewähren.
Wo Österreich schlecht liegt: Bei der Offenlegung von Qualitätsstandards, bei der Ermöglichung von Schwangerschaftsabbrüchen in öffentlichen Spitälern, bei den Durchimpfungsraten (acht Krankheiten) bei Kindern, beim Rauchen und beim Alkohol – ebenso schlecht bei der Wartefrist, bis neue Medikamente erstattet werden.
Gut liegt die Alpenrepublik hingegen bei wichtigen Daten wie der Möglichkeit des Starts einer Krebstherapie binnen drei Wochen, bei den Krebs-Überlebensraten und beim Rückgang der Todesraten infolge eines Schlaganfalles. Mittelmaß ist Österreich dafür bei den Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bei den durch Krankheit „verlorenen“ Lebensjahren oder bei den Erstattungsraten bezüglich Arzneimittel.

Lange Wartelisten bringen nichts

Auch die reichsten und an sich am besten organisierten Staaten Europas haben ein Problem: Wartezeiten für die Patienten bei notwendigen Arztbesuchen, Untersuchungen (CT-Scans etc.) und Therapien – zum Beispiel bei Krebserkrankungen oder elektiven Eingriffen. Ein Beispiel ist Schweden, das in der aktuellen Rangliste auf dem zehnten Platz – und damit noch vor Österreich – aufscheint.
„Der notorisch schwierige Zugang für Patienten in Schweden scheint ebenfalls nur sehr schwierig ins Lot zu bringen zu sein, obwohl sich der Staat bemüht, durch die ‚Wartelisten‘-Milliarde eine Dezentralisierung des Gesundheitswesens und eine Verkürzung der Wartelisten zu erreichen. (…) In unserer Studie zeichnen die schwedischen und irischen Patienten das negativste Bild unter allen europäischen Staaten.“ Die Wartezeiten bis zum Anlaufen einer Krebstherapie in Schweden seien schlicht und einfach inhuman.
Das Problem liegt laut den Autoren offenbar weniger bei den Ressourcen als in den Köpfen der Verantwortlichen. Man könne doch wohl nicht wirklich glauben, dass Kinderpsychiater – zum Beispiel in Schweden – ihren Patienten gerne sagen würden, dass ein Termin erst in 18 Monaten möglich wäre.

Gesundheitssystem – ein Prozess!

Auch im Lichte der Wartezeiten in Österreich gibt es ein Argument, das der neue Report ganz klar bringt: „Warum gibt es keine Korrelation zwischen dem Zugang zu Einrichtungen des Gesundheitswesens und dem Geld? Anwort: Weil es inherent billiger ist, ein Gesundheitswesen ohne Wartelisten zu betreiben als eines mit Wartelisten.“
Konträr zum populären Glauben, zumindest bei Gesundheitspolitikern, kosten Wartelisten Geld, sie sparen nichts. Der Grund, so die Experten: „Das Gesundheitswesen ist quasi eine ‚Prozess-Industrie‘. Und jeder professionelle Manager einer solchen Industrie würde wissen, dass reibungslose Abläufe mit minimalen Verzögerungen oder Stopps die Kosten niedrig halten.
Die Frage ist, ob die österreichische Öffentlichkeit ähnlich differenziert hinter die Kulissen der Gesundheitspolitik blickt wie die EHCI-Autoren. Immerhin meinten 70% in der vor wenigen Tagen vorgestellten Gesundheitsbarometer-Umfrage 2015, dass „Primärversorgungseinheiten“ die Versorgung verbessern oder eher verbessern würden. Und während 63% meinen, dass ELGA die Gesundheitsversorgung verbessern könnte, haben 62% bei den Kritikern Angst vor dem Gläsernen Menschen. Es gibt aber also noch jede Menge Informationsbedarf im und über das Gesundheitswesen in Österreich …