Brennende Themen in der Herz-Kreislauf-Medizin

Symptom vs. Prognose – Nutzen vs. Risiko

Was steckt hinter dem Motto der Jahrestagung? „Wir sind in der Kardiologie mit immer komplexeren Therapieformen konfrontiert“, meint Prim. Univ.-Prof. Dr. Franz Weidinger, Leiter der 2. Medizinischen Abteilung mit Kardiologie und internistischer Intensivmedizin an der Krankenanstalt Rudolfstiftung in Wien und Past-President der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft. „Es wird mit zunehmendem Alter unserer Patienten immer wichtiger, Indikationen zu unterscheiden, in denen es tatsächlich um die Prognose geht oder aber um symptomatische Therapieentscheidungen mit Schmerzlinderung und Verbesserung der Lebensqualität.“ Ein Beispiel wäre die schwere Herzinsuffizienz alter Menschen, bei der man immer wieder vor der Entscheidung steht: Soll man die Lebensqualität in den letzten Jahren verbessern oder belastende, nicht zuletzt natürlich auch kostenintensive Gerätetherapien einsetzen? „Das Thema ist heikel“, sagt Weidinger „und wir stellen uns dieser Herausforderung im Rahmen einer gemeinsamen Sitzung mit der europäischen Gesellschaft für Kardiologie“.
Ein Fokus neuer therapeutischer Möglichkeiten konzentriert sich aktuell auf die kathetergestützte Intervention bei Herzklappenerkrankungen wie die Aortenklappenstenose (TAVI) anstelle der „Operation am offenem Herzen“. In den ESC-Leitlinien aus dem Jahr 2012 ist TAVI als Therapieoption bei chirurgischen Hochrisikopatienten mit symptomatischer Aortenstenose akzeptiert, wenn eine Verbesserung der Lebensqualität wahrscheinlich ist und die Lebenserwartung länger als ein Jahr beträgt. Die brennende Frage gilt aber der Indikationserweiterung beispielsweise auf jüngere Patienten oder solche mit weniger hohem OP-Risiko und wird im engen Austausch mit der Chirurgie diskutiert. So wurde am Kongress selbst ein gemeinsames österreichisches Register zur Dokumentation von Herzklappenoperationen und -interventionen beschlossen, um die Langzeitergebnisse beider Methoden vergleichen zu können. Für Weidinger „ein ganz wichtiger Schritt, der nicht in vielen Ländern gegangen wird“. Vorreiter wäre beispielsweise Deutschland.
Erst vor wenigen Monaten ist im New England Journal of Medicine eine Studie publiziert worden, die eine Zunahme der weltweiten Sterblichkeit an Herz-Kreislauf-Erkrankungen feststellt: zwischen den Jahren 1990 und 2013 immerhin um 41%. Der Befund ist laut Weidinger deswegen überraschend, „weil wir wissen, dass die altersspezifische Mortalität vor allem in Zentral- und Westeuropa deutlich zurückgegangen ist.“ Letzteres wäre insbesondere der besseren Beherrschung von Risikofaktoren zu verdanken und sollte vor allem dazu motivieren, Maßnahmen wie das Rauchverbot und Interventionen wie die Cholesterinsenkung mit allen Kräften zu unterstützen.

LDL-Cholesterin – Je niedriger, desto besser

Aktuelle Studien führen zur Schlussfolgerung, dass es weniger die pleiotropen Effekte der Statine sind – also etwa ihre entzündungshemmende Wirkung –, die den Benefit der Substanzklasse begründen, sondern doch in erster Linie die LDL-Senkung. Dabei gilt: je tiefer, desto besser. „Diese Hypothese kann heute als gesichert gelten und die Cholesterinlüge damit abgehakt werden“, meinte Univ.-Prof. Dr. Gerald Maurer, Leiter der Klinischen Abteilung für Kardiologie an der MedUni Wien. Die neue Substanzklasse der PCSK9-Inhibitoren scheint bisherige Möglichkeiten bei weitem zu toppen. Nachdem bereits Inegy® (Ezetimib + Simvastatin) in der IMPROVE-IT-Studie bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom das LDL-Cholesterin auf median 53,2 mg/dl senken konnte (Ausgangswerte: 50–125 mg/dl) und damit gegenüber Simvastatin eine zusätzliche Reduktion des Infarkt- und Schlaganfallrisikos erreichte, zeichnet sich eine massive LDL-Senkung mit PCSK9-Inhibitoren auch ohne Statin-Zugabe ab (vgl. Abb. „PCSK9-Inhibitoren – Neu am Horizont“). Die neue Gruppe der monoklonalen Antikörper wird vermutlich noch vor Ende dieses Jahres auch in Österreich verfügbar sein „und die Therapie von Fettstoffwechselstörungen möglicherweise dramatisch verändern“, meinte Maurer. „In den Studien wurden sogar LDL-Werte unter 25 mg/dl erreicht. Befürchtungen, dass derart tiefe Werte schädlich sein könnten, haben sich bisher nicht bewahrheitet, im Gegenteil.“ Die definitiven Indikationen müssen sich noch herauskristallisieren. Als Kandidaten wurden Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie genannt oder Patienten, die Statine nicht vertragen (z.B. Myopathie) bzw. Hochrisikopatienten, die trotz maximaler Statin- oder Statin-Kombinationstherapie die LDL-Zielwerte (von 70 mg/dl und weniger) nicht erreichen. Maurer: „Es wird in den nächsten Jahren höchstwahrscheinlich zu einer weiteren Senkung der empfohlenen LDL-Zielwerte kommen – bei Hochrisikopatienten möglicherweise auf 50 mg/dl oder darunter. Solche Werte wird man mit Statinen und Ezetimib in vielen Fällen nicht erreichen können, mit der neuen Substanzklasse hingegen schon.“

Kardiologen warnen vor Fachärztemangel

Ein anderes Kapitel mit originärem Interesse für die ÖKG ist die Ausbildungsreform vor dem Hintergrund des neuen Arbeitszeitgesetzes. Weidinger: „Mit der Ausbildungsreform wird der Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie in nunmehr sechs Jahren erwerbbar sein, gegenüber früher sechs bis acht Jahren, womit die Kardiologie EU-konform wird und international zugleich als eigenständige Disziplin und nicht mehr nur als Additivfach anerkannt ist.“ Vor dem Hintergrund eines prognostizierten Fachärztemangels wäre es natürlich auch wesentlich, dass Österreich bei Ausbildung und Arbeitsbedingungen attraktiv bleibt.
Die ÖKG hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, wie viele Kardiologen es derzeit in Österreich gibt, wie viele in den nächsten Jahren ausscheiden werden und welcher Bedarf sich daraus für die Zukunft errechnet – unter der Grundannahme, dass das Versorgungsniveau jedenfalls nicht sinken soll. In Hinblick auf die Ausbildungsreform galt die Frage den derzeit vorhandenen und in Zukunft benötigten Ausbildungsstätten. Gemeinsam mit den Ärztekammern wurden aktuelle Zahlen erhoben und von Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Michael Franz, Vorstand der Universitätsklinik für Innere Medizin III, Kardiologie und Angiologie in Innsbruck, präsentiert. Laut diesen Zahlen (Stand Jänner 2015) sind in Österreich 609 Kardiologen tätig. Der Hauptteil befindet sich im mittleren Alter von 50–55 Jahren, einige sind sogar mit über 70 Jahren noch tätig. Franz: „Unter der Annahme, dass Kardiologen im Alter von 65 Jahren pensionsbedingt ausscheiden und nicht bis 70 Jahre oder länger arbeiten, wird es bis zum Jahr 2020 notwendig sein, rund ein Viertel der österreichischen Kardiologen nachzubesetzen, bis zum Jahr 2030 etwa 60%.“
Dazu kommt ein Mehrbedarf durch Zusatzeffekte wie etwa das neue Arbeitszeitgesetz (mit einem Verlust der Arbeitskapazität von ca. 20% durch Stundenreduktion), ganz abgesehen von einer beständig steigenden Zahl an Untersuchungen und Behandlungen. Laut Franz wäre es aber völlig unklar, wo diese Kardiologen herkommen sollen. „Denn aktuell gibt es nur rund 150 Ausbildungsplätze an österreichischen Kliniken.“ Mit anderen Worten: Ärztemangel ist in der Kardiologie keine theoretische Überlegung mehr, sondern zeichnet sich bereits für die nahe Zukunft ab, wenn nicht mit der Schaffung von Ausbildungskapazitäten gegengesteuert wird. In Tirol etwa gab es eine 30%ige Steigerung akuter Herzinfarkte in den letzten zwei Jahren durch das Eintreten der Babyboom-Generation ins „Herzinfarktalter“. Parallel mit dem neuen Krankenhausarbeitszeitgesetz wäre das neue Herzzentrum an der Innsbrucker Universitätsklinik, in das bereits im Sommer übersiedelt werden soll, mit dem bisherigen Mitarbeiterstand nicht zu führen. Der angeforderte Umsetzungsplan, wie und von wem die Aufgaben im neuen Herzzentrum bewältigt werden sollen, fehlt.

Interventionelle Kardiologie –TAVI-Entscheidung im „Heart Team“

„Innovationen in der nichtmedikamentösen Therapie von Herzerkrankungen sind zwar sehr oft von Chirurgen ausgegangen. Allerdings haben Kardiologen rasch nachgezogen und immer mehr Indikationen immer weniger invasiv behandelt“, meinte Prim. Univ.-Doz. Dr. Franz Xaver Roithinger, ÖKG-Präsident. Seit der Akzeptanz der Transkatheter-Aortenklappenimplantation (TAVI) in den ESC-Leitlinien im Jahr 2012 haben sich die Ergebnisse mit TAVI durch technische Weiterentwicklungen und zunehmende interventionelle Erfahrung wesentlich verbessert, was zur Folge hat, dass die Indikation selbst bei kritischer Evaluierung in Heart Teams z.T. jetzt schon großzügiger gestellt wird.
Zur Frage der Haltbarkeit der Klappen zeigt die am längsten laufende PARTNER-Studie (Edwards SAPIEN-Klappe) eine anhaltende Stabilität über zumindest fünf Jahre. Interessant an der amerikanischen CoreValve-Studie (Medtronic) beispielsweise ist die Feststellung, dass mehr Patienten nach chirurgischer Operation eine Rehabilitation benötigen, während im Anschluss an die TAVI-Intervention mehr Patienten unmittelbar nach Hause können. Von chirurgischer Seite wird gerne betont, dass die mitunter saloppe Bezeichnung „Aortenklappenersatz“ für TAVI irreführend wäre, da die dysfunktionalen Klappen zur Seite gedrängt werden und damit auch Verkalkungen im Gewebe verbleiben und möglicherweise Langzeitfolgen verursachen können.
Roithinger: „Der klassische Aortenklappenersatz mit Abtrennung der dysfunktionalen Klappe vom Klappenring ist bei jüngeren Patienten sicher noch die bevorzugte Domäne der Chirurgie mit Langzeitdaten zur Haltbarkeit mechanischer Klappen von 20–30 Jahren. Allerdings wird sich der Prozentsatz kathetergestützter Eingriffe weiter erhöhen, nicht zuletzt auch aufgrund der zunehmend älter werdenden Bevölkerung. Nicht zu übersehen ist auch die Tatsache, dass weniger invasive Eingriffe anstelle der Operation am offenen Herzen oft vom Patienten selbst gefordert werden.“ Das Thema des österreichischen Kardiologenkongresses im nächsten Jahr soll daher lauten „Gemeinsam in die Zukunft“ und wird von Roithinger erstmals gemeinsam mit Herzchirurgen ausgerichtet werden, um dem „Heart Team“-Gedanken verstärkt Rechnungzu tragen.

 

PCSK9-Inhibitoren – Neue LDL-Senker am Horizont

Angriffspunkt der PCSK9-Inhibitoren ist die Serinprotease PCSK9, die LDL-Rezeptoren an der Zellmembran von Leberzellen abbaut. Ist weniger PCSK9 vorhanden, bleiben mehr LDL-Rezeptoren an der Zelloberfläche und können LDL-Cholesterin aus der Zirkulation aufnehmen.
Bei Menschen, bei denen aufgrund einer genetischen Mutation weniger PCSK9-Enzyme vorhanden sind, bleiben die LDL-Cholesterinspiegel ein Leben lang sehr niedrig. Es gibt für diese Menschen nicht nur keine Nachteile durch den Enzymmangel, vielmehr haben sie ein extrem geringes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen.
Daraus ergab sich die Schlussfolgerung, dass die PCSK9-Hemmung sicher ist.
Derzeit sind mehrere Inhibitoren in klinischer Entwicklung. Evolocumab (Amgen, PROFICIO-Studienprogramm) und Alirocumab (Sanofi, ODYSSEE-Studienprogramm) stehen nach absolvierten Phase-III-Studien bereits vor der Zulassung. Bococizumab (Pfizer, SPIRE-Studienprogramm) ist ein weiterer Kandidat, dem noch etliche andere folgen sollen.

Wirkmechanismus von PCSK9: Das Enzym reguliert die Anzahl der vorhandenen LDL-Rezeptoren an der Oberfläche von Leberzellen und beeinflusst damit die Konzentration von LDL-Cholesterin im Blut. PCSK9-Inhibitoren gelten heute als die potentesten LDL-Cholesterin-Senker.

modifiziert nach Lambert G et al., The PCSK9 decade. J Lipid Res 2012; 53:2515–2524