War es früher noch üblich, nach – wenn auch langen und von wenig Konsens geprägten – Gesprächsrunden zwischen den Stakeholdern der Gesundheitspolitik doch noch „auf ein Bier“ zu gehen oder gar ein ganzes Wochenende miteinander klausurartig zu verbringen, ist das Gesprächsklima mittlerweile vergiftet.
Franz Bittner, jahrelanger Kenner der gesundheitspolitischen Szene, vormals Obmann der Wiener Gebietskrankenkasse und jetziger Patientenombudsmann der Wiener Ärztekammer: „Zumindest kannte man sich persönlich und konnte den anderen anrufen und ein Problem besprechen. Es gab einfach eine andere Gesprächsebene. Das ist heute offensichtlich nicht mehr so. Die Fronten sind verhärtet, und man richtet sich gegenseitig nur mehr über die Medien aus, was man voneinander hält – oder nicht hält. Beschlüsse finden hinter verborgenen Türen statt, es gibt immer mehr persönliche Verwundungen, Beleidigungen etc. Es wird nur über Machtfragen diskutiert und gestritten. So verliert man aber die Sozialpartnerschaft. Ärzte fühlen sich nicht nur durch diverse Maßnahmen der Politik bedroht, sondern auch nicht wertgeschätzt. Es braucht ein Maß des gegenseitigen Vertrauens, um am nächsten Tag miteinander weitersprechen zu können. Vor allem seit die finanziellen Mittel knapper geworden sind, gibt es nur mehr Blockadehaltungen. Wir haben die Wertschätzung verloren, den Respekt und auch die gute Kinderstube. Ich vermisse den Konsens im Dissens als österreichischen Weg: hart in der thematischen Diskussion, kooperativ in der menschlichen, der emotionalen Ebene. Man sollte sich wieder in die Geschichte des Verhandlungspartners, seine Wurzeln und seine Interessenslage versetzen und versuchen, diese womöglich mit den eigenen in Einklang zu bringen.“
Dr. Michael Peintinger, Anästhesist und Intensivmediziner, Lektor für Medizinethik an der Medizinischen Universität Wien, sieht eine der Ursachen für das schlechte Klima in der „gesellschaftlichen Werterelativierung“. Wenn Macht im Spiel ist, entsteht eine Asymmetrie, und in der Asymmetrie kann es keinen Konsens geben. Es gibt kein Bestreben, die Symmetrie zum Zwecke einer gemeinsamen Vereinbarung herzustellen, sondern einer will gewinnen. Es wird auch zu viel nur über die Medien ausgerichtet und zu wenig persönlich gesprochen. Es gibt persönliche Verwundungen und die Akteure betreiben häufig Besitzstandsabgrenzung.
Bezeichnend für den verheerenden Umgang zwischen den System-“partnern“ Arzt und Krankenkassen sind u.a. Mystery Shopping und die berühmten „amikalen Gespräche“, die so freundschaftlich gar nicht sind.
Dr. Daniela Degen, Allgemeinmedizinerin und Dermatologin: „Es muss prinzipiell schon auch bei Freien Berufen eine Kon-trollfunktion durch die finanzierende Stelle geben, aber nur sehr eingeschränkt und auch nur bei Verdacht auf Unregelmäßigkeiten.“ Auch Bittner meint zum Mystery Shopping: „Ein Arzt mit Kassenvertrag muss logischerweise kontrolliert werden, weil er öffentliche Gelder bekommt – und damit muss er auch zur Kenntnis nehmen, dass er kontrolliert werden kann. Die Kontrolle muss allerdings in einem Ausmaß sein, dass das Maß des Notwendigen nicht überschreitet.“
Dr. Monika Ploier, Rechtsanwältin, Partnerin bei CMS und Expertin im Medizinrecht, sieht in ihrer täglichen Praxis, dass „Mystery Shopping in der Form, wie es derzeit betrieben wird, das Vertrauen der Ärzteschaft gegenüber der Gebietskrankenkasse zerstört. Das Vorspielen falscher Symptome, um Ärzte „zu legen“ – ein solches Recht hat nicht einmal die Exekutive. Die Exekutive darf das nicht, was die Gebietskrankenkasse ihren Mystery Shoppern vorgibt. Viele Mandanten kommunizieren mir, dass sie jetzt bei jedem Patienten Angst haben, dass er von der GKK geschickt wird. Wir wissen aus diversen Verfahren, dass Patienten vor einem Gericht und einem unabhängigen Richter oftmals ganz andere Aussagen tätigen, als sie vermeintlich bei der GKK getätigt haben. Meine Erfahrung ist, dass Ärzte manchmal unter Druck gesetzt werden, dass bei einem sog. amikalen Gespräch Drohungen u.a. mit Strafanzeigen gemacht werden, wenn Ärzte keine Vergleiche unterschreiben und vermeintliche Fehlabrechnungen bezahlen. Nicht wirklich erwünscht ist natürlich, dass die Ärztekammer und die anwaltliche Vertretung dabei sind, was aber das Recht der Ärzte ist. Wenn eine Kontrolle so weit geht, dass man einer im Rahmen der Gewaltentrennung nicht vorgesehenen Stelle wie der Krankenkasse fast so viel Macht einräumt, wie normal die Exekutive durch Befragungen oder die Staatsanwaltschaft hat, dann geht das eindeutig zu weit“.
Sie berichtet auch von Fällen, bei denen die Zeugen bei Verhandlungen plötzlich fast kein Wort Deutsch sprechen bzw. einen Dolmetscher brauchen, aber über ihre Aussage bei der WGKK ein deutschsprachiges Protokoll vorliegt über vermeintliche Fehltritte der Ärzte. Ein amikales Gespräch sei an sich eine gute Sache – nach dem Motto „Lieber Herr oder liebe Frau Dr., uns ist bei Ihnen was aufgefallen, bitte erklären Sie uns, wie es dazu gekommen ist“. So laufe es derzeit aber nicht (immer) ab. Und die sogenannten schwarzen Schafe? „Es gibt tatsächlich Fehlabrechnungen, die aber nicht unbedingt in jedem Fall vorsätzlich oder aus betrügerischer Absicht erfolgt sind, sondern aus Unwissenheit heraus, oder es gab strittige Punkte bezüglich Honorare/Tarife, bei denen die Ärztekammer eine Meinung vertritt und die GKK eine andere. Ausgetragen wird das am Rücken der Ärzte, der Arzt kriegt eine Vertragskündigung, eine Strafanzeige usw. Das ist der Punkt, warum diese Kontrollfunktion viel zu weit führt. Da geht es um Existenzen.“
Besser wäre ein erster zwingender Schritt, bei dem die Ärztekammer gemeinsam mit einer Abteilung der GKK den Sachverhalt eruiert und ein tatsächlich amikales Gespräch mit dem Arzt geführt wird, ohne Drohungen, sondern mit der Bitte um Offenlegung – wie kam es dazu?
Auch Degen fühlt sich „durch Mystery Shopping verraten. Wenn ich einen neuen Patienten sehe, habe ich schon Bedenken. Habe ich in der Vergangenheit einen Fehler gemacht, dass die Krankenkasse jetzt glaubt, ich betrüge sie? In den Qualitätszirkeln unseres Bezirks berichten Kollegen, dass sie bei amikalen Gesprächen fast vorgeführt worden sind, wie vor einen Richter kurz vor der Hinrichtung. So schafft man kein Vertrauen“.
Für Peintinger ist die Frage „in welche Bereiche und mit welcher moralischen Dignität eingegriffen wird. Das Mystery Shopping verursacht ein defensiv-medizinisches Handeln des Arztes, was in Summe durch mehr apparative Absicherungsmedizin längerfristig mehr Kosten verursacht – der Arzt möchte juristisch keine Probleme haben. Mystery Shopping kann für die vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung ungeahnte Folgen haben“.
Bittner hofft in diesem Zusammenhang, dass der Verfassungsgerichtshof die Möglichkeit des Mystery Shoppings aufhebt. „Man kann zwischen den Vertragspartnern auch eine andere Vorgehensweise wählen.“ Außerdem löse Mystery Shopping das Krankenstandsproblem nicht. Aber wie könnte dann eine Kontrolle der Ärzte erfolgen? Degen: „Es gibt so eine Art Benchmarks. Ich bekomme monatlich eine Aufstellung darüber, welche Kosten ich durch Medikamentverschreibungen verursacht habe, und ein Vergleich, fachgruppenbezogen zu Kollegen, wird erstellt. Und es gibt einmal im Quartal eine Aufstellung, wie viele MRT und CT ich verschrieben habe, in Relation zu meiner Fachgruppe. Das ist eine offenere und eine ehrlichere Form der Kontrolle und der Kommunikation auf eine nettere Weise – nicht strafen, nicht anprangern.“
Schluss mit Ausgrenzung und Sanktionen „von oben“