Die Lieferprobleme bleiben


„Wir stecken mitten in einer Coronawelle.
Das nationale Abwassermonitoring zeigt das ganz klar“, sagt Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne). Auch Influenza, grippale Infekte und andere Atemwegserkrankungen nehmen Fahrt auf. Anfang Dezember waren laut Zahlen der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) bereits mehr als 100.000 Menschen im Krankenstand, über 29.000 davon wegen einer COVID-19-Erkrankung, mehr als 400 wegen Influenza und über 84.000 Personen aufgrund von grippalen Infekten. Laut ÖGK-Chefarzt Dr. Andreas Krauter mit steigender Tendenz.

Debatte über Maskenpflicht

Krauter, Rauch, aber auch bis Redaktionsschluss die Ärztekammern in Wien und der Steiermark raten deshalb wieder zum Tragen von FFP2-Masken und Hygienemaßnahmen. Eine Verpflichtung soll es aber nicht geben. Die Zahlen aus den Spitälern würden aber auch deutlich machen: „Eine Überlastung ist derzeit nicht zu befürchten“, erklärt Rauch. Ganz anders sehen das Ärzt:innen: Ein aktuelles Stimmungsbild, das die Ärzte Krone und der Newskanal RELATUS MED online bei den Leser:innen eingeholt haben, zeigt, dass 77 % der Ärzt:innen (n = 110) die Wiedereinführung der Maskenpflicht in Ordinationen und Spitälern fordern.

Impfstoffe fehlen

Der Gesundheitsminister appelliert hingegen, die kostenlose Coronaimpfung in Anspruch zu nehmen. Sie sei der beste Schutz vor einem schweren Verlauf. Auch COVID-19-Medikamente würden ausreichend zur Verfügung stehen. Doch genau hier liegt eines der aktuellen Probleme: Bei der laufenden Influenza-Impfaktion, die erstmals in ganz Österreich kostengünstigen Zugang zu dieser sinnvollen Präventionsmaßnahme bietet, treten immer mehr Versorgungslücken mit den nötigen Impfstoffen auf, kritisiert Dr. Edgar Wutscher, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte. Bei einzelnen Impfstoffen sei das Kontingent bereits österreichweit ausgeschöpft, darunter der spezielle Impfstoff für Senioren ab 65 Jahren. Es seien auch keine Nachbestellungen mehr möglich. „Dieser Missstand muss schnellstmöglich behoben werden“, sagt Wutscher. Er habe die Menge der bestellten Impfstoffe von Beginn an als deutlich zu niedrig kritisiert. „Rund eine Million Impfdosen sind einfach zu wenig für dieses attraktive Angebot und reichen auch nicht für eine erstrebenswerte Durchimpfungsrate aus“, so der ÖÄK-Vizepräsident. Doch nicht nur Impfstoff ist offenbar knapp, sondern auch Antibiotika und Erkältungsmedikamente, berichten immer mehr Apotheker:innen.

Verhandlungen über Paxlovid

Auch bei Paxlovid zur Verhinderung schwerer COVID-Krankheitsverläufe, vor allem bei Risikopersonen, gibt es Probleme. Laut Ärztekammer sind die Lagerbestände in Österreich völlig erschöpft, auch die Apotheken würden nur noch über Restbestände verfügen. „Im vergangenen Jahr haben wir es dank der Impfung, Hygienemaßnahmen, durch wichtige Medikamente wie Paxlovid und dank des unermüdlichen Einsatzes der Ärzt:innen geschafft, gut durch die Coronawelle zu kommen. Damit konnten vulnerable Gruppen geschützt und die Überlastung der Intensivstationen verhindert werden. Der aktuelle Engpass bei Paxlovid, das Versagen bei der Logistik der Grippeimpfung und die Tatsache, dass es noch immer nicht absehbar ist, ob es bis zum Ende der Erkältungssaison auch genügend Antibiotika und Medikamente für Kinder geben wird, bereiten uns große Sorgen“, sagt Dr.in Naghme Kamaleyan-Schmied, Vizepräsidentin und Kurienobfrau der niedergelassenen Ärzt:innen der Ärztekammer für Wien: „Es war klar und lange vorhersehbar, dass die Coronazahlen wieder steigen werden und es ausreichend Kontingente und Reserven von wichtigen Medikamenten und Impfstoffen braucht. Der Gesundheitsminister hat versagt und offenbar aus den Fehlern der vergangenen Jahre überhaupt nichts gelernt.“

Transparenz gefordert

Der Präsident der Ärztekammer für NÖ, Dr. Harald Schlögel, schlägt vor: „Wir empfehlen der Apothekerkammer die Veröffentlichung einer laufend aktualisierten Liste, auf der sämtliche Apotheken nach Bezirken sortiert ihren Bestand an Paxlovid bekanntgeben. Nur so können Erkrankte selbst nachschauen, wo sie das Medikament am schnellsten erhalten, und die Wege für kranke Menschen könnten so kurz wie möglich gehalten werden.“ Der Bund habe 180.000 Packungen Paxlovid beschafft und über den Großhandel an öffentliche Apotheken, Hausapotheken und Spitalsapotheken ausgeliefert, reagierte Rauch im Kurznachrichtendienst X (vormals Twitter). „Davon wurden insgesamt 121.000 Packungen Paxlovid an die öffentlichen Apotheken ausgeliefert. Bis Ende Oktober 2023 wurden in den Apotheken rund 95.000 Packungen an die Kund:innen abgegeben“, erläuterte die Apothekerkammer in einer Stellungnahme. „Wir arbeiten gemeinsam mit der Apothekerkammer an einer Neuverteilung bestehender Vorräte auf jene Apotheken, in denen derzeit kein Paxlovid vorrätig ist. Parallel prüfen wir die Beschaffung zusätzlicher Mengen, um die Versorgung jederzeit durchgehend sicherzustellen“, twitterte Rauch.

Kassen sind zuständig

Tatsächlich laufen nach Informationen der Ärzte Krone aktuell Preis- und Beschaffungsverhandlungen des Dachverbandes der Sozialversicherungen mit dem Hersteller Pfizer. „Im Zuge der Pandemie hat der Bund COVID-19-Medikamente zentral beschafft. Mit Ende der Coronamaßnahmen wurde dieser Prozess in den Regelbetrieb des österreichischen Gesundheitssystems überführt und liegt – wie bei allen Medikamenten – nun in der Kompetenz der Bundesländer“, teilt das Ministerium der Ärzte Krone mit. Seitens des Bundes werde die Abgabe von Paxlovid bis Ende Jänner 2024 durchgeführt. „Seitens des Herstellers wurde jedoch ein Antrag zur Aufnahme von Paxlovid in den Erstattungskodex bei der Sozialversicherung gestellt, womit das Medikament in naher Zukunft als Kassenleistung verfügbar wäre.“

Gesetzliche Regelungen

Die Bundesregierung setze zudem weitere Schritte zur Absicherung der Medikamentenversorgung. Nach der Einigung auf die Einlagerung kritischer Wirkstoffe wie Antibiotika zur magistralen Zubereitung in Apotheken, der Erleichterung von Medikamentenimporten sowie der Verlängerung der Verkaufsfristen von Arzneimitteln wird auch die gesetzliche Grundlage zur Erhöhung der Medikamentenvorräte geschaffen. Künftig soll ein Bedarf an kritischen Arzneimitteln von 4 Monaten bevorratet werden, um Engpässen weiter entgegenzuwirken. Dies wurde durch einen Initiativantrag Anfang Dezember im Nationalrat eingebracht. Auch der Infrastruktursicherungsbeitrag zur Lieferkettenstärkung für besonders günstige Medikamente wird gesetzlich verankert. Dadurch werde die „Versorgung mit besonders günstigen Medikamenten, die häufig verschrieben werden, für diesen Winter gesichert“, ist Rauch überzeugt. Dafür stellt der Bund dem Pharma-großhandel einen Teil jener Mehrkosten zur Verfügung, die in den vergangenen Jahren entstanden sind. Die Hürde: Das Gesetz tritt am 1. Jänner 2024 in Kraft und gilt rückwirkend ab 1. September 2023.

Kritik am Minister

Die Pharmaindustrie ist allerdings skeptisch: Die vom Gesundheitsministerium verlautbarten Maßnahmen seien wichtige Signale, schöpfen aber nicht das volle Potenzial aus, teilt der Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs (Pharmig) mit. „Das betrifft das Thema Bevorratung, bei dem auch die Europäische Kommission darauf hinweist, dass nationale Lager die Situation verschärfen könnten. Ein weiteres Thema mit lokalem Bezug ist das Preisniveau am österreichischen Medikamentensektor.“ Hier habe auch der Arzneimittel-Großhandel mehrmals auf die schwierige Situation hingewiesen, dass aufgrund der niedrigen Preise ein wirtschaftlicher Vertrieb oftmals nicht möglich ist.