Die Patienten (mehr) reden lassen

Die Arzt-Patienten-Kommunikation wird aufgrund ihres großen Einflusses auf den Erfolg der medizinischen Behandlung (verbesserte Compliance etc.) in letzter Zeit vermehrt in den Fokus gerückt. Dabei wird auch immer wieder über das frühzeitige „Unterbrechen“ der Patienten durch die Ärzte berichtet. „Wobei der Begriff ‚unterbrechen‘ es nicht wirklich trifft“, erläutert Univ.-Prof. Dr. Wolf Langewitz, Leitender Arzt für Psychosomatik und Innere Medizin, Universitätsspital Basel. Denn die Ärzte, so der Experte weiter, fallen den Patienten dabei nicht ins Wort – zumindest nicht im deutschsprachigen Kulturkreis; in Italien ist Unterbrechen im Gespräch üblicher als in Österreich, Deutschland oder in der Schweiz –, sondern die Ärzte nutzen die erste Gelegenheit, um das Gespräch in die Hand zu nehmen. „D.h. die Patienten haben zu Beginn der Arztkonsultation nur eine sehr kurze spontane Gesprächszeit zur Verfügung. So zeigen Untersuchungen aus den USA, dass seit Anfang 2001/2002 nach ca. 23–28 Sekunden der Arzt die Gesprächsführung übernimmt, davor geschah dies bereits nach 18 Sekunden“, so Langewitz. Statistisch gesehen bekommen die Patienten zu Beginn des Arztgesprächs also heute mehr Zeit als früher – praktisch ist dieser Zeitgewinn jedoch kaum spürbar.

Verlust an Informationen

„Das frühzeitige Eingreifen der Ärzte in das Gespräch macht den Patienten oft wenig aus, da sie es nicht anders kennen. Doch aus wissenschaftlichen Untersuchungen wissen wir, dass es uns alle stören sollte, da es potenziell negative Konsequenzen hat“, betont Langewitz. Natürlich sei es wichtig, so Langewitz, dass die Ärzte aktiv nachfragen, doch müsse man zuerst übers Zuhören möglichst vollständig die relevanten Informationen sammeln. „Der entscheidende Punkt ist, an welche Informationen man kommt, wenn man Fragen stellt (Präzisierungen etc.), und an welche Informationen man kommt, wenn man zuhört! Dabei darf man eines nicht vergessen: Fragen sind immer nur so gut, wie die Überlegungen, aus denen sie entstehen“, fasst Langewitz zusammen.

Nicht zu früh nachfragen!

Der richtige Augenblick für Nachfragen durch den Arzt ist dann gegeben, wenn er weiß, worum es dem Patienten geht und zu der Überzeugung gekommen ist, durch weiteres Zuhören erhalte er keine Informationen mehr, die er für die Diagnose und Therapie benötige. „Es wäre gefährlich“, warnt Langewitz, „zu früh mit Nachfragen einzuhaken, bevor man weiß, welche Aspekte dem Patienten wichtig sind. Genau durch dieses zu frühe Intervenieren der Ärzte passieren Diagnose- und Behandlungsfehler.“

Zuhören kann auch Zeit sparen

„Greift der Arzt zu früh ins Gespräch ein, kann es sein, dass der Patient noch gar nicht ausgeführt hat, worum es ihm konkret geht. Der Arzt folgt also eventuell einer ‚falschen Spur‘, dies muss der Patient dann richtig stellen, bevor beide dann den eigentlichen Punkt besprechen können. So geht Zeit verloren“, erläutert Langewitz.

Keine 10 Minuten erforderlich

Ziel sei nicht, so Langewitz, die Patienten zu Beginn der Arzt-Gesprächs zehn Minuten reden zu lassen. Doch es lohnt sich, zunächst einmal abzuwarten, bis der Patient seine „Problemliste“ dargestellt hat. Dies dauert Studien zufolge rund 90 Sekunden – Zeit, die gut investiert wäre: „Gibt man dem Patienten zu Beginn des Gesprächs Zeit für seine Darstellung, kann der Arzt daraus sinnvolle Hypothesen ableiten und diese in der Folge durch Fragen überprüfen bzw. seine eigenen Themen (z.B. den letzten Blutbefund etc.) ins Gespräch einbringen. D.h. der Arzt erhält ein umfassenderes Bild, wenn er nicht zu früh die Gesprächsleitung übernimmt und kann dann daraus die notwendigen Behandlungsschritte ableiten und mit dem Patienten besprechen“, fasst Langewitz abschließend zusammen.