Ein Modell für die Kindermedizin

Wenn es um Kinder und ihre medizinische Versorgung geht, wird die Öffentlichkeit emotional. Zuletzt wurde das beim Fall langer Ambulanzwartezeiten im Wiener Donauspital offenbar – ausgerechnet zum Anlaufen der Influenza-Welle. Da wurde sofort der Ruf nach PHC-Zentren und einem entsprechenden Gesetz samt beabsichtigter Einzelverträge laut. Es geht auch anders, und das schon seit 2011, wie ein Pilotprojekt im Bezirk Kirchdorf mit rund 55.700 Einwohnern zeigt.
„Die Ärzte an der Kinderabteilung im Krankenhaus betreiben eine Gruppenpraxis, welche die kassenärztliche extramurale Versorgung der Kirchdorfer Patienten übernommen hat“, schilderte der Präsident der Ärztekammer für Oberösterreich, Dr. Peter Niedermoser, den Kern des Projekts. „Alle Beteiligten sind bisher sehr zufrieden. Es waren komplexe Verhandlungen zwischen uns, dem Land und der der OÖ Gebietskrankenkasse. Aber es hat sich ausgezahlt“, ergänzte Dr. Thomas Fiedler, Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte in Oberösterreich im Gespräch mit der Ärzte Krone.
Insgesamt hat man ab Sommer 2011 flexibel, pragmatisch und zukunftsorientiert gehandelt. Die Voraussetzungen waren ursprünglich schwierig. „Vor den 1980er-Jahren gab es eine Kassenordination im Krankenhaus. Dann hatte der Primarius unserer Abteilung eine Kasseneinzelpraxis außerhalb. Dann kam die oberösterreichische Spitalsreform, und der Primarius ging in Pension. Die Schließung unserer Abteilung stand irgendwie im Raum“, schilderte Prim. Dr. Gerhard Pöppl, der auch federführend in der Gruppenpraxis aktiv ist, die lange Geschichte. Das Landeskrankenhaus Kirchdorf deckte jahrzehntelang die stationäre pädiatrische Versorgung ab. „Das Einzugsgebiet ist groß.“ Gleichzeitig gab es erhebliche Ambulanzfrequenzen.
Der frühere Primar legte schließlich den Kassenvertrag zurück, weil er in Pension ging. „Nun hätte man die Kassenstelle neu ausschreiben und durch einen Arzt von außerhalb bestellen können“, sagte Fiedler. Doch alle Beteiligten wollten keine historisch gewachsenen Doppelstrukturen mit hohen Ambulanzfrequenzen und hohem Personalbedarf im Krankenhaus auf der einen Seite und die klassische Einzelordination „draußen“ auf der anderen Seite. Laut Pöppl gab es auch Überlegungen, die Kassenordination als Gruppenpraxis wieder ins Krankenhaus zurückzuholen. Doch das erwies sich zunächst als nicht realisierbar. So beschritt man einen anderen Weg.
Nach intensiven Verhandlungen einigten sich Ärztekammer, Land und Gebietskrankenkasse auf folgendes Modell – auf Vertragsbasis:

  • Aufrechterhaltung der stationären Versorgung pädiatrischer Patienten im Krankenhaus Kirchdorf bei Reduktion des ärztlichen Personals um 20% auf drei Fachärzte und einen Assistenzarzt.
  • Gründung einer Gruppenpraxis durch die im Krankenhaus tätigen Kinderärzte. Die Zahl der Gesellschafter ist auf vier begrenzt.
  • „Auslagerung“ der normalen Ambulanztätigkeit (nicht Notfälle und Spezialfälle) an die Gruppenpraxis mit einer Öffnungszeit von 27 Stunden (auch Samstagvormittag). Es besteht für die Patienten freie Arztwahl.
  • Rufbereitschaft für die Pädiater des Krankenhauses in der Nacht.

Es sind natürlich auch von Seiten der Finanziers entsprechende Vorgaben vorhanden. Man erwartete eine deutliche Erhöhung der Frequenzen in der Kinderfacharzt-Gruppenpraxis im Vergleich zu der Einzelpraxis. Der mögliche Gesamtumsatz wurde deshalb mit dem Durchschnittswert der oberösterreichischen Pädiater in der niedergelassenen Kassenpraxis gedeckelt. Ein zusätzliches Argument für die Einrichtung einer solchen Pädiater-Gruppenpraxis schilderte Pöppl so: „Es war natürlich auch ein Anliegen, die Facharzt-Ausdünnung in unserer Region zu verhindern. Wir haben mit der Gruppenpraxis einen weiteren Anreiz für Kinderärzte geschaffen.“

Bewährtes Modell

Offenbar hat sich das Modell bisher sehr bewährt. Im vergangenen Jahr lief dazu nämlich eine Evaluation durch das Ärztliche Qualitätszentrum in Oberösterreich. Befragt wurden dabei die in der Gruppenpraxis tätigen Ärzte selbst, Angehörige der betreuten Kinder sowie niedergelassene zuweisende Ärzte aus der Umgebung sowie Verantwortliche im Bereich der OÖ Krankenhaus-Trägergesellschaft gespag und der OÖ Gebietskrankenkasse.
„Alle Gesprächspartner sind sich darüber einig, dass es im ambulanten Bereich durch die neue Gruppenpraxis zu einer Qualitätssteigerung für die Patienten gekommen ist“, betonte Fiedler. Die beteiligten Fachärzte würden insbesondere den fachlichen Austausch und die Verschränkung zwischen Spital und niedergelassener Praxis schätzen. Immerhin sei über die Gruppenpraxis der größte Teil jener Kinder bereits bekannt, die eventuell stationär aufgenommen werden müssten. Kritisch wurde geäußert, dass in der Spitalsambulanz jetzt zu einem hohen Anteil die akuten Erstbeobachtungsfälle ausfielen, die für die Ausbildung der Assistenzärzte fehlten.
Bei den Wartezeiten zeigte sich, dass Akutpatienten noch am selben Tag, solche mit einem dringenden Bedarf am selben oder am nächsten Tage untersucht und behandelt werden. Bei Routineterminen beträgt die Wartezeit vier bis fünf Wochen. Die Scores bei der Befragung der Patienten bzw. deren Angehörigen waren offenbar durchwegs gut.
Sehr gut haben sich auch die Frequenzen entwickelt. 2011 (Start mit 1. Juli) waren es rund 3.300 Fälle, 2014 dann 5.400. Im Vergleich zu 2009 (Einzelpraxis) kam es zu einer Steigerung des Honorarvolumens um 65%. Die Intensivierung der Versorgung in der niedergelassenen Gruppenpraxis samt Verschränkung mit dem Krankenhaus Kirchdorf bringt jedenfalls deutliche Vorteile: Die Zahl der stationären Patienten ging von 6,5% pro hundert Fälle auf 1,5% zurück. Die Ambulanzfrequenzen sanken von etwa 2.400 im Jahr 2009 auf etwa 880 im Jahr 2014, was einen Rückgang um etwas mehr als 60% bedeutet. Für die OÖ Gebietskrankenkasse wichtig: Die Folgekosten bei den Heilmitteln und bei den Überweisungen sind via Gruppenpraxis deutlich geringer als im OÖ Fachgruppendurchschnitt.
„Wir haben um 15% weniger Spitalsaufnahmen. Die Ambulanzfrequenzen sind rückläufig“, berichtete Pöppl.
In der OÖ Ärztekammer ist man jedenfalls hochzufrieden und verweist auch auf die gesamtpolitische Bedeutung des Modells. „Wir haben wieder einmal den Beweis erbracht, dass man neue und sinnvolle Kooperationen durchaus auf der Basis der geltenden Rechtslage realisieren kann“, meinten Niedermoser und Fiedler unisono. Hervorgehoben wurde auch die gute Zusammenarbeit mit der oberösterreichischen Gesundheits- und Spitals-trägergesellschaft gespag.

 

Ihre Meinung an: politik(at)medmedia.at