Eine therapeutische Herausforderung

Im Allgemeinen ist Schmerz ein Lebensbegleiter vieler Menschen und ein zu erwartendes Symptom von vielen Krankheiten und Verletzungen.
Schmerzen werden in mehrere Kategorien eingeteilt, unter anderem neuropathische Schmerzen. Der neuropathische Schmerz wird laut der International Association for the Study of Pain folgendermaßen definiert: „Schmerz, der durch eine Läsion oder Erkrankung des somatosensorischen Nervensystems verursacht wird.“ Laut aktuellen Studien wird geschätzt, dass neuropathische Schmerzen bis zu 10 % der erwachsenen Bevölkerung betreffen. Dabei ist der neuropathische Schmerz keine eigenständige Diagnose, sondern eine klinische Beschreibung pathologischer Veränderungen sowohl des zentralen als auch des peripheren Nervensystems. Demzufolge spricht man von peripheren oder zentralen neuropathischen Schmerzen, die verschiedene Ursachen haben können (Tab.).

Ursächlich für die neuropathischen Schmerzen sind komplexe Zusammenhänge. Durch die Läsion entstehen Veränderungen im peripheren und zentralen Nervensystem mit einem Ungleichgewicht zwischen den stimulierenden und hemmenden Mechanismen. Die neuropathischen Schmerzen werden in unwahrscheinliche, mögliche, wahrscheinliche und sichere eingestuft. Die Einordnung erfolgt aufgrund der Anamnese, klinischen Untersuchung und apparativen Diagnostik.

Anamnese

Die Anamnese dient hauptsächlich der Charakterisierung des Schmerzsyndroms, Abklärung der Ursache und der Unterscheidung von anderen Schmerzformen. Neuropathische Schmerzen werden als brennend, stechend, elektrisierend, manchmal aber auch als dumpf beschrieben. Sie können sowohl spontan auftreten als auch durch Berührung der Haut, Temperaturschwankungen oder Druck auf die betroffenen Nerven ausgelöst werden. Wichtig ist, dass nach möglichen Ursachen gefragt wird, wie zum Beispiel Traumata, Operationen, Begleiterkrankungen oder anderen Noxen wie Alkohol. Dies ist besonders wichtig, da neben der symptomatischen Schmerzbehandlung auch eine ursächliche Therapie der Grunderkrankung erforderlich ist.

Zur Quantifizierung der Schmerzstärke haben sich sogenannte Analogskalen bewährt. Die Patient:innen berichten anhand einer Skala über die Stärke der empfundenen Schmerzen. Verbreitet und bekannt ist die numerische Rating-Skala. Hierbei ordnen die Patient:innen die Schmerzen auf einer Skala von 0 (kein Schmerz) bis 10 (maximal vorstellbarer Schmerz) ein.

Klinische Untersuchung

Bei der klinischen Untersuchung wird auf mehrere Aspekte geachtet: Farbe und Temperatur der Haut (häufig sind die Extremitäten kühl und blass oder livide verfärbt). Die Schweißsekretion ist vermindert, in den betroffenen Arealen können Ulzera und Pilzbefall entstehen. Als nächster Schritt werden Schmerzempfinden, Oberflächensensibilität und Vibrationsempfinden untersucht. Bei Überprüfung der Motorik achtet man auf Muskeltonus, Muskelatrophien, Kraftminderung und Störungen der Feinmotorik. Eine Kipptischuntersuchung kann für die Beurteilung des autonomen Nervensystems herangezogen werden. Apparative Untersuchungen wie die Magnetresonanztomografie werden ergänzend zur Anamnese und klinischen Untersuchung angewandt, insbesondere zur Beurteilung des zentralen Nervensystems. Für die Erfassung der Pathologien des peripheren Nervensystems werden die Elektroneuro- und -myografie oder die somatosensorisch evozierte Potenziale durchgeführt. Ergänzend kann eine standardisierte quantitative sensorische Testung oder die Hautbiopsie bei Verdacht auf Small-Fiber-Polyneuropathie empfohlen werden.

Therapie

Grundsätzlich ist der neuropathische Schmerz eine therapeutische Herausforderung. Trotz adäquater medikamentöser Therapie kann keine Schmerzfreiheit erreicht werden. Klare realistische Therapieziele sollen definiert werden:

  • 30%ige bis 50%ige Schmerzreduktion
  • Verbesserung der Lebens- und Schlafqualität
  • Erhaltung der Arbeitsfähigkeit
  • Verbesserung der Funktionalität
  • Erhaltung der sozialen Aktivität

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Aufklärung der Betroffenen über potenzielle Nebenwirkungen und darüber, dass die Wirkung bei vielen Medikamenten erst nach Eindosierung und Erreichen einer wirksamen Dosis mit zeitlicher Verzögerung einsetzt.

Therapie der ersten Wahl sind ausgewählte Antidepressiva oder Antikonvulsiva mit Wirkung auf neuronale Kalziumkanäle. Die Antidepressiva weisen unterschiedliche Wirkmechanismen auf. So können sie beispielsweise die Funktion schmerzhemmender Bahnen verstärken und die Natriumkanäle blockieren und dadurch die Bildung ektopischer Aktionspotenziale hemmen. Sie können sowohl bei peripheren als auch bei zentralen neuropathischen Schmerzsyndromen verschrieben werden. Als typische Medikamente werden Amitriptylin, Duloxetin oder Venlafaxin verschrieben. Die Antikonvulsiva mit Wirkung auf neuronale Kalziumkanäle sind Gabapentin (für die Behandlung von peripheren Schmerzen zugelassen) und Pregabalin (sowohl für periphere als auch zentrale Schmerzen zugelassen).

Opioide können als Therapie der 2. und 3. Wahl angeboten werden, wobei es für manche von diesen Substanzen keine ausreichenden Beweise für die Wirksamkeit bei neuropathischen Schmerzen gibt. Bei Patient:innen mit Suchtpotenzial ist Vorsicht geboten. Sehr umstritten wird die Gabe von Cannabinoiden bei neuropathischen Schmerzen diskutiert. Die DGN/ÖGN-Leitlinie empfiehlt die Verwendung von Cannabinoiden nur nach Versagen anderer Schmerztherapien, und zwar Off-Label. Die europäische Schmerzgesellschaft empfiehlt die Gabe von Cannabinoiden als Zusatztherapie, wenn die anderen Präparate keinen erwünschten Effekt gezeigt haben.

Bei lokalisierten Schmerzen wie bei Post-Zoster-Neuralgie werden topische Therapien wie Lidocain oder Capsaicin angeboten. Die Vorteile der lokalen Therapie sind niedrige zentrale Nebenwirkungen, dadurch können ältere Patient:innen profitieren. Ebenfalls als Therapie bei lokal begrenzten Schmerzen kann Botulinumtoxin erwogen werden.

Neben medikamentösen Maßnahmen werden nichtmedikamentöse Maßnahmen wie multimodale Schmerztherapie mit Physiotherapie, Ergotherapie und psychologischer Mitbetreuung empfohlen.