Erkältungen aus HNO-ärztlicher Sicht

Der Begriff Erkältung oder auch „Common Cold“ umfasst zumeist milde Erkrankungen der oberen Atemwege, die in erster Linie mit Rhinorrhö, Nasenatmungsbehinderung, Niesreiz, Halsschmerzen und Husten einhergehen. Zugrunde liegen heterogene, vor allem virale Infektionen (unter anderem Rhinoviren [30–50 %], Coronaviren [10–15 %], RS-Viren [5 %], Parainfluenzaviren [5 %], Adenoviren [< 5 %], Enteroviren [< 5 %]). Obwohl Rhinoviren (mit bis zu 100 unterschiedlichen Serotypen) am häufigsten als Ursache von Erkältungen nachgewiesen werden können, werden Erregerspektren der „Common Cold“ auch durch Alter, Geografie, Jahreszeit und Nachweismethoden beeinflusst.1, 2

Kinder doppelt so häufig betroffen

Insgesamt treten Erkältungen circa 6–8-mal jährlich bei Kindern und 2–4-mal jährlich bei Erwachsenen auf. Ebenso ist eine umgekehrte Proportionalität zum Alter beschrieben. Während im ersten Lebensjahr männliche Patienten häufiger betroffen sind, gleicht sich dies über die Lebenszeit wieder aus.3 Die häufigsten Übertragungsmechanismen umfassen Handkontakt, Inspiration von Aerosolen in der Atemluft und Inspiration von Aerosolen direkt von infizierten Patienten.1, 4–6 Aus ungeklärten Ursachen führen nur circa 75 % der viralen Infektionen zu klinischen Symptomen.
Primär kommt es typischerweise zu einer Infektion im Bereich der Schleimhaut der Nase und sekundärer Fortleitung in Richtung Rachen via mukoziliären Transport. Infektionen führen zur Vasodilatation, Erhöhung der epithelialen Permeabilität und cholinergen Stimulation, was zu den Kardinalsymptomen von Erkältungen führt: Nasenatmungsbehinderung, rinnende Nase und Niesreiz.1, 7, 8 Insbesondere die Ausschüttung von den Entzündungsmediatoren IL-6 und IL-9 korrelieren mit der Schwere der Symptome.9 Neben der Nasenschleimhaut ist charakteristischerweise auch die Schleimhaut der Nasennebenhöhlen betroffen.10

Klinische Präsentation bei Rhinovirus-Infektion

Die Inkubationszeit der „Common Cold“ ist stark von den auslösenden Virusinfektionen abhängig und beträgt von 10–12 Stunden (Rhinoviren) bis zu 1–7 Tage (Influenza-Viren).1, 6, 11 Rhinovirus-Infektionen beginnen typischerweise mit Symptomen von trockener Schleimhaut des Rachens, welche schnell mit oben genannten rhinologischen Symptomen und Hustenreiz einhergehen. Während sich die Trockenheit des Rachens schnell zurückbildet, konvergiert die initial wässrige Rhinorrhoe häufig zu trüber oder putrider Sekretbildung (was jedoch nicht obligat mit Veränderungen der nasopharyngealen bakteriellen Flora bzw. bakterieller Superinfektion verbunden ist).1, 12 Fieber ist kein typisches Symptom von Rhinovirus-Infektionen, während andere Symptome wie Heiserkeit, Kopfschmerzen, allgemeines Krankheitsgefühl und Heiserkeit durchaus auftreten können.1

Heterogene Symptomatik

In den meisten Fällen ist die Diagnose der „Common Cold“ einfach und erfolgt anhand oben genannter klinischer Symptome. Herausfordernd kann die Diagnose bei Säuglingen und Kleinkindern sein. Fieber als häufiges, initiales Symptom erschwert die Differenzierung zwischen unkomplizierten viralen Infektionen und bakteriellen Infektionen. Ebenso müssen allergische und vasomotorische Rhinitiden differenzialdiagnostisch in Betracht gezogen werden. Halsschmerzen können sowohl als primäres Symptom bei viralen Infekten der oberen Atemwege als auch bei bakteriellen Infektionen auftreten, während beispielsweise bei durch Streptokokken verursachte Infektionen des Rachens Symptome im Bereich der Nase und Nasennebenhöhlen weitgehend ausbleiben1. Die Heterogenität der Erreger führt ebenso zu unterschiedlichen Symptomen, sogar der positive prädiktive Wert der klinischen Diagnose von Influenzavirus-Infektionen beträgt lediglich 27 bis 79 %.13, 14 Die Typisierung unterschiedlicher Erreger von unkomplizierten Erkältungen kann unter anderem mittels Kulturen, Antigen-Nachweis oder PCR erfolgen, hat jedoch nur einen untergeordneten Stellenwert in der klinischen Routine.

Sorgsamer Umgang mit Antibiotika

Die Behandlung von Erkältungen erfolgt symptomatisch. Obwohl antibiotische Therapien bei viralen Infektionen nicht effektiv sind, werden diese häufig verschrieben. Diese sollten insbesondere in Hinblick auf zunehmende Resistenzbildung im Allgemeinen sorgsam und nur bei bakteriellen (Super )Infektionen indiziert werden.1

Von Patienten werden meist die rinnende Nase und die Nasenatmungsbehinderung als jene Symptome genannt, die am meisten belasten. Diese können leicht mit lokal abschwellenden Präparaten behandelt werden. Ergänzend können Mukolytika, Antihistaminika der ersten Generation (nicht der zweiten Generation) oder systemische Sympathomimetika (Pseudoephedrin) zur Symptommilderung angewendet werden. Die Rhinorrhö kann mittels Ipratropium reduziert werden. Ergänzend kommen NSAR, insbesondere zur Schmerzlinderung und Fiebersenkung, zur Anwendung. Obwohl Antitussiva und mukolytische Medikamente häufig zur Behandlung von Husten verschrieben werden, ist die klinische Wirksamkeit nicht eindeutig nachgewiesen.15 Antivirale Medikamente stehen derzeit nur zur Behandlung von Influenzavirus-Infektionen zur Verfügung. Wenn die Therapie innerhalb von 48 Stunden eingeleitet wird, kommt es zu einer Krankheitsverkürzung von circa 1–2 Tagen.1

CAVE: orbitale Komplikationen

Obwohl unkomplizierte Erkältungen typischerweise selbstlimitierend verlaufen, können diese auch mit bakteriellen (Super-)Infektionen einhergehen. Aus HNO-ärztlicher Sicht spielen dabei in weiterer Folge unter anderem Komplikationen wie akute purulente Mittelohrentzündungen (und darauf folgende Mastoiditis) sowie akute purulente Rhinosinusitiden (und davon weitergeleitete Infektionen) eine wichtige Rolle.1, 10

 

 

Orbitale Komplikationen der Rhinosinusitis sind ein HNO-ärztlicher Notfall und können unbehandelt potenziell lebensbedrohlich verlaufen. Klinisch präsentieren sich Patienten typischerweise neben einer anamnestischen Rhinitis mit geschwollenen beziehungsweise geröteten Augen, einer purulenten Sekretion im Bereich der Drainagewege der Nasennebenhöhlen und gegebenenfalls mit einer Visusminderung beziehungsweise Bulbusmotilitätsstörung und allgemeinem Krankheitsgefühl. (Abb. 1) Besteht der Verdacht auf eine fortgeschrittene orbitale Komplikation, muss neben konservativen Therapiemaßnahmen (systemische Antibiose, analgetisch-antiinflammatorische Therapie und lokal abschwellende Maßnahmen) weiterführend eine Bildgebung (Nasennebenhöhlen-CT mit Kontrastmittel) zur Feststellung des Komplikationsstadiums (Klassifikation nach Chandler, Tab.) und gegebenenfalls eine chirurgische, endoskopische (Functional Endoscopic Sinus Surgery, FESS) mit dem Ziel der Abszess-Eröffnung und der Wiederherstellung der Drainage der Nasennebenhöhlen erfolgen.10 (Abb. 2)

 

 

Ein Blick in die Zukunft

Während in den vergangenen Jahrzehnten antibiotische Therapien das Auftreten von schwerwiegenden Komplikationen von bakteriellen Infektionen reduziert haben, ist die Entwicklung von Therapien für unkomplizierte virale Infektionen aktuell Gegenstand intensiver Forschung.
Impfungen zur Vorbeugung von Influenzavirus-Infektionen haben den klinischen Alltag erreicht, die Entwicklung einer Impfung zum Schutz vor unkomplizierten Erkältungen stellt jedoch, insbesondere aufgrund der hohen Heterogenität der viralen Erreger, eine Herausforderung dar. Einen Einfluss auf zukünftige therapeutische Entwicklungen werden die mit neuen diagnostischen Mitteln nachgewiesenen mikrobiellen Veränderungen in Gesundheit und Krankheit (unter anderem „Microbiomics“) haben.

1.Heikkinen T, Järvinen A, Lancet 2003; 361:51–9

2.Mäkelä MJ et al., J Clin Microbiol 1998; 36:539–42

3.Monto AS, Epidemiol Rev 1994; 16:351–73

4.Dick EC et al., J Infect Dis 1987; 156:442–8

5.Gwaltney JM et al., Ann Intern Med 1978; 88:463–7

6.Monto AS, Cavallaro JJ, Am J Epidemiol 1971; 94:280–9

7.Winther B et al., Arch Otolaryngol Head Neck Surg 2002; 128:131–6

8.Staunton DE et al., Cell 1989; 56:849–53

9.Turner RB et al., Clin Infect Dis 1998; 26:840–6

10.Fokkens W et al., Rhinol Suppl 2007; 20:1–136

11.Vesa S et al., Pediatr Infect Dis J 2001; 20:574–81

12.Igarashi Y et al., J Allergy Clin Immunol 1993; 92:722–31

13.Carrat F et al., Clin Infect Dis 1999; 28:283–90

14.Monto AS et al., Arch Intern Med 2000; 160:3243–7

15.Schroeder K, Fahey T, Cochrane Database Syst Rev 2004; 10:CD001831