Die orale Tumortherapie hat in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen und kann mittlerweile bei vielen Krebsentitäten eingesetzt werden. Die Möglichkeiten reichen von klassischen endokrinen Therapien oder Chemotherapeutika bis hin zu zielgerichteten Medikamenten, die auf tumorspezifische Mutationen abzielen. Die größte Herausforderung stellt dabei die Adhärenz dar, die abhängig von der Krebsart und Substanz (z.B. Einnahmeschemata, Verträglichkeit, Therapiedauer), aber auch von der Persönlichkeit der Patient:innen und der Arzt-Patienten-Beziehung erheblich variiert (vgl. auch Kasten). In einer systematischen Übersichtsarbeit lagen die Adhärenzraten zwischen 46 % und 100 %. Somit hat ein nicht unwesentlicher Anteil an Patient:innen Probleme damit, die Medikation wie verordnet einzunehmen, wodurch eine schlechtere Prognose zu befürchten ist.1
In einer retrospektiven Beobachtungsstudie an über 10.700 Patient:innen aus Frankreich, die Daten einer Krankenversicherung über einen Zeitraum von 18 Monaten ausgewertet hat, lag die Adhärenz im Durchschnitt bei 86%. Hier wurden deutliche Unterschiede zwischen den oralen Medikamentenklassen verzeichnet: Während bei den endokrinen Krebstherapien die Adhärenz mit 91 % am größten war, lag diese unter einer zielgerichteten Therapie bei 79 % und bei den Zytostatika bei 69 %. Die Studienautor:innen sehen das zum Teil durch die unterschiedlichen Nebenwirkungsprofile erklärt, die bei den Zytostatika am ausgeprägtesten sind.2 Patientenschulungen können dazu beitragen, die Krankheit und die Therapie besser zu verstehen, was die Adhärenz und damit auch die Effektivität der Behandlung verbessert.3
Antihormontherapie beim Mammakarzinom. Die endokrine Therapie beim Mammakarzinom wird bei invasiven Tumoren mit positivem Hormonrezeptorstatus (Östrogen ER+ und/oder Progesteron PR+) eingesetzt. Welche Form der antihormonellen Behandlung angewendet wird, hängt maßgeblich davon ab, ob die Patientin prä- oder postmenopausal ist (während der Wechseljahre wird sie i. d. R. als prämenopausal eingestuft) und wie hoch das Rezidivrisiko sowie die Hormonsensitivität der Erkrankung ist. Adjuvante endokrine Therapien reduzieren die Rezidivwahrscheinlichkeit um etwa 40 % sowie die Mortalität um ca. 30 %. Diese Effekte treten aber nur bei ausreichend langer Therapiedauer über mindestens 5 Jahre ein, etwa die Hälfte der Patient:innen bricht die Therapie jedoch vorher ab. Die Nebenwirkungen der endokrinen Therapien können typischen menopausalen Beschwerden ähneln (Hitzewallungen, Schweißausbrüche, Schlafstörungen, Depression etc.).4 Ein Mangel an Adhärenz ist mit einer signifikanten Erhöhung des Mortalitätsrisikos verbunden, weshalb es entscheidend ist, die Patient:innen von der Notwendigkeit der Therapie zu überzeugen. Eine Anpassung der Therapie (Switch von Aromatasehemmer zu Tamoxifen oder zwischen unterschiedlichen Aromatasehemmern) im Fall von starken Nebenwirkungen kann helfen, die Adhärenz zu erhöhen.4
Androgendeprivationstherapie beim Prostatakarzinom. Die Hormonentzugstherapie wird bei lokal fortgeschrittenem und metastasiertem, hormonsensitivem Prostatakrebs eingesetzt. Wie beim Mammakarzinom kann der Entzug der Hormone auf verschiedene Wege erreicht werden. Das Tumorwachstum kann damit in vielen Fällen für viele Monate oder auch Jahre gestoppt werden; eine dauerhafte Heilung ist aber mit dieser Behandlung allein nicht möglich. Oral verfügbare Optionen sind hier zahlreiche Androgenrezeptor-Antagonisten und neuerdings auch ein GnRH-Antagonist. Die Androgendeprivation führt zu einem Verlust physiologischer Hormoneffekte, was Nebenwirkungen wie Fatigue, Libidoverlust, Impotenz, Osteoporose, Depressionen, Verlust der Muskelmasse u.a. hervorrufen kann.5
Tyrosinkinase-Inhibitoren. Rezeptor-Tyrosinkinasen sind membranständige Enzyme, die als Signalvermittler eine zentrale Rolle in zellulären Wachstums- und Überlebensprozessen spielen. Im Rahmen der Tumorentstehung (Kanzerogenese) sind bestimmte Signalproteine häufig mutiert oder überexprimiert und tragen so zur unkontrollierten Proliferation von Krebszellen bei. Zielgerichtete Therapien mit Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKIs) unterbrechen spezifisch die im Rahmen einer Tumorerkrankung dauerhaft aktivierten Signalwege und können so die Progression des Tumors hemmen. TKIs werden in der Regel oral verabreicht und sind fester Bestandteil moderner Krebstherapien. In den letzten zwei Jahrzehnten wurden zahlreiche TKIs entwickelt, die sich gegen verschiedene Rezeptor-Tyrosinkinasen richten – darunter FLT3, RET, EGFR und VEGFR.6 Das Nebenwirkungsprofil ist sehr unterschiedlich und hängt von der gehemmten Tyrosinkinase ab.
CDK4/6-Inhibitoren. Diese Medikamentenklasse wird bei hormonrezeptorpositivem, HER2-negativem Brustkrebs in Kombination mit endokriner Therapie eingesetzt. Ihre Wirkweise beruht auf einer Hemmung der zyklinabhängigen Kinasen 4 und 6, die eine entscheidende Rolle im Zellzyklus beim Übergang der G1- in die S-Phase spielen und so das Wachstum von Krebszellen stoppen oder verlangsamen. Die neue Generation der selektiven CDK4/6-Inhibitoren (Ribociclib, Abemaciclib, Palbociclib) hat zu einer deutlichen Verbesserung der Prognose geführt – mit einem gut verträglichen Sicherheitsprofil.7
PARP-Inhibitoren. Poly-(ADP-Ribose-)Polymerase-(PARP-)Inhibitoren blockieren das Enzym PARP, das an DNA-Reparaturmechanismen beteiligt ist. Dadurch wird die Reparatur von DNA-Schäden in der Krebszelle verhindert, was (besonders bei BRCA-1/2-Mutationen) zum Zelltod führt. Derzeit sind Olaparib, Niraparib, Rucaparib und Talazoparib zugelassen. Sie werden in der Behandlung des Ovarial-, Mamma-, Pankreas- und Prostatakarzinoms eingesetzt.8Zahlreiche weitere orale zielgerichtete Therapien (PI3K-Inhibitoren, AKT-Inhibitoren, SERDs etc.) werden bereits eingesetzt und sind noch in Entwicklung.
Klassische chemotherapeutische Therapien hemmen unspezifisch das Wachstum von sich schnell teilenden Zellen und werden bei verschiedenen Krebsarten eingesetzt. Unterschiedliche Substanzklassen können dabei auch oral eingesetzt werden: Antimetabolite (z. B. Capecitabin) hemmen Enzyme, die für die DNA-Synthese benötigt werden; Alkylanzien (z. B. Melphalan) binden Alkylgruppen an die DNA und hemmen so die DNA-Replikation und damit die Zellteilung; pflanzliche Alkaloide (z. B. Vinorelbin) unterbinden die Ausbildung von Mikrotubuli und Kernspindel, was eine weitere Mitose verhindert. Aufgrund des Verabreichungsweges sind Nebenwirkungen, die den Magen-Darm-Trakt betreffen, unter oralen Zytostatika häufiger als bei intravenöser Formulierung. Aufgrund der Toxizität sind hier besonders die Sicherheitsmaßnahmen (siehe Kasten) im Umgang mit den Tabletten oder Kapseln zu beachten.