„Es braucht mehr Mittel für die Schmerzmedizin“

Ärzte Krone: Der 26. Kongress der Österreichischen Schmerzgesellschaft hat Ende Mai unter dem Motto „Schmerzmedizin trifft Alternsmedizin“ stattgefunden. Wie sieht die Versorgung von Schmerzpatienten in Österreich aus, und wo sehen Sie die Aufgaben der ÖSG?

Gabriele Grögl: An erster Stelle steht für mich eine Verbesserung der schmerzmedizinischen Versorgungssituation in Österreich. Von den bis zu 1,8 Millionen Menschen in Österreich mit chronischen oder chronisch wiederkehrenden Schmerzen sind 350.000 bis 400.000 von der Schmerzkrankheit betroffen, bei ihnen hat sich der Schmerz als eigenständiges Krankheitsbild verselbstständigt. Der Akutschmerz, der chronische Schmerz und die Schmerzkrankheit brauchen multimodale und interdisziplinäre Behandlungsstrategien, und da hinkt Österreich noch immer hinterher. Wir benötigen andere Strukturen in den Schmerzambulanzen, im niedergelassenen Bereich, und wir brauchen Schmerzzentren. 2030 werden rund eine Million Menschen in Österreich über 75 Jahre alt sein. Mit zunehmendem Alter kommt es oftmals zum Auftreten von Erkrankungen, die Schmerzen zur Folge haben. Werden diese Schmerzen nicht effektiv behandelt, führen sie zu einer Abnahme der Funktionalität der Betroffenen, verbunden mit wachsender Isolation, Verlust von sozialen Kontakten, Verschlechterung der Stimmungslage bis zur Depression und damit in Summe zu einer deutlichen Verschlechterung der Lebensqualität. Der Schmerzmedizin wird also eine zunehmend wichtige Rolle zukommen. Das österreichische Gesundheitssystem muss sich auf diese Entwicklung einstellen und die schmerzmedizinische Versorgung deutlich aufwerten.

Wo orten Sie konkret Mängel in der aktuellen Versorgung?

Der Status quo ist auf allen schmerzmedizinischen Versorgungsebenen mangelhaft. Vielen Ärzten in der Primärversorgung ist es aus Zeitgründen nicht möglich, schmerzmedizinische Zusatzausbildungen zu absolvieren, eine schmerzmedizinische universitäre Basisausbildung gibt es bisher nicht. Es fehlt an Netzwerken und Kooperationsmöglichkeiten zwischen Allgemeinmedizinern, Fachärzten und nichtärztlichen Berufsgruppen mit der Konsequenz von oft wochenlangen Wartezeiten für die Patienten nach Überweisung zu Spezialisten. Schmerzmedizinische Leistungen sind für den praktischen Arzt zudem kaum abrechenbar, da sie in den Honorarkatalogen der Versicherungen nicht aufscheinen. Ich kann ja beispielsweise auch keinen Handwerker ins Haus holen und sagen „Ja, wissen Sie, es war sehr nett, und ich freue mich, dass Sie da gewesen sind“ und zahlt ihm dann nichts dafür. Es geht ganz einfach nicht, dass der Allgemeinmediziner für eine schmerzmedizinische Leistung kein Honorar bekommt.

Was sollte genau in einen entsprechenden Honorarkatalog für dieAllgemeinmediziner aufgenommen werden?

Das beginnt schon einmal mit dem Gespräch und der Untersuchung des Patienten. Beides braucht ganz einfach seine Zeit und muss wie die gesamten schmerzmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten in den Honorarkatalogen der Kassen abgebildet werden.

Wie sieht es im ambulanten und stationären Bereich aus?

Auch hier gibt es noch Lücken. In den vergangenen Jahren wurden in Österreich, meist aus Personalmangel, mehr als zehn Schmerzambulanzen geschlossen. Österreichweit gibt es aktuell noch 48 Schmerzambulanzen, von denen nur ein kleiner Teil täglich geöffnet hat. Die Folge sind monatelange Wartezeiten der Patienten auf einen Ersttermin. In nahezu allen Ambulanzen fehlen die entsprechenden Strukturen, um interdisziplinär und multimodal behandeln zu können, wie es dem aktuellen Wissensstand entsprechen würde. Im stationären Bereich sind vor allem Patienten mit Schmerzen nach operativen Eingriffen und Verletzungen oder mit Schmerzen, die im Rahmen von Tumorerkrankungen, internistischen und neurologischen Erkrankungen oder Erkrankungen des Bewegungsapparates auftreten, schmerzmedizinisch zu versorgen. Die Behandlung dieser Patienten sollte durch einen Akutschmerzdienst erfolgen, den es jedoch nur in wenigen österreichischen Krankenhäusern gibt.

Was ist also zu tun?

Investitionen in den genannten Bereichen würden sich in jedem Fall lohnen. Denn nicht die Optimierung der schmerzmedizinischen Versorgung kommt teuer, ins Gewicht fallen für das System die Folgekosten einer unzureichenden Behandlung. Allein die jährlichen Kosten für Erkrankungen des Muskel- und Bewegungsapparates betragen in Österreich mehr als 5,5 Milliarden Euro und jene für Krankenstandstage bei chronischen Rückenschmerzen etwa 400 Millionen. Die direkten Kosten infolge einer Schmerzchronifizierung schlagen mit 1,4 bis 1,8 Milliarden Euro zu Buche, und die indirekten Kosten bekommen wir in den Sozialsystemen präsentiert, weil etwa die Hälfte der Patienten mit chronischen Rückenschmerzen frühzeitig in Pension geht. Bei Schmerz rennt die Zeit: Wir wissen, dass der Rückenschmerz innerhalb von drei Monaten chronifiziert, wenn der nicht adequat therapiert wird. Da kann man nicht warten bis man nach drei oder vier Monaten beim Orthopäden endlich einen Untersuchungstermin bekommt oder beim Neurochirurgen. Das muss rascher gehen.

Wie sieht es im Bereich der Selbstmedikation aus – weichen Patienten hier aus?

Schmerzmittel, sogenannte Analgetika, sollten nie ohne Rücksprache mit dem Arzt eingenommen werden. Zum einen weil einige dieser, ohne ärztliche Verschreibung erhältlichen Medikamente bei bestimmten Erkrankungen, wie Krankheiten des Herz-Kreislaufsystems, Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes oder Nierenfunktionsstörungen gar nicht zur Anwendung kommen dürfen, zum anderen aufgrund ihrer Nebenwirkungen. Hier braucht es mehr Aufklärung und Information. Deshalb engagiert sich die ÖSG auch in der Initiative der Ärzte Krone im Medienverbund mit der „Krone Gesund“ und der Apotheker Krone. Wir sehen etwa bei Veranstaltungen, dass viele Patienten kommen und Antworten suchen. Das Interesse an mehr Information ist absolut vorhanden. Ich erwarte mir deshalb durch die mehrwöchige Initiative viel Awareness für das Thema.