Gefahr für Österreichs Fachärzte?

Die Frage ist, ob die im Bundes-Zielsteuerungsvertrag von Bund, Bundesländern und Hauptverband der Sozialversicherungsträger angepeilte „nachhaltige Sicherstellung einer qualitativ hochstehenden Gesundheitsversorgung“ auch durch neue ambulante Versorgungsformen nicht jahrzehntelang bewährte Systeme gefährden wird. Während die Gesundheitspolitik derzeit vor allem das Konzept der Primary Health Care propagiert, könnte dahinter eine enorme Gefahr für die niedergelassenen Fachärzte für Interne Medizin – genauso wie für alle anderen Fachärzte auch – stecken.
„Trotz des Lippenbekenntnisses der Gesundheitspolitik, den extramuralen Bereich zu stärken, kommt es zunehmend zur Verlagerung jener Leistungen in Krankenhäuser, die bislang im niedergelassenen Bereich erbracht wurden (Diabetesschulung, OP-Freigaben; Nachkontrollen von Ultraschalluntersuchungen)“, äußerte sich Dr. Heidemarie Müller-Ringl, Präsidentin des Berufsverbandes Österreichischer Internisten, im Gespräch mit der Ärzte Krone äußerst skeptisch. Öffentlichkeitsarbeit sei hier angesagt: „Um die Nahversorgung der Patienten in der von diesen gewohnten und erwarteten Form sicherzustellen, ist es nötig, diese Änderungen in die Öffentlichkeit zu tragen.“

„Eradikation“ der niedergelassenen Fachärzte?

Doch welche Gefahren sehen die Internisten als größte Facharztgruppe in Österreich? „Die bereits beschlossene Gesundheitsreform bezweckt auf lange Sicht die Eradikation der niedergelassenen Fachärzte“, fürchtet Müller-Ringl.
Dabei würde sich die Situation für die Patienten im Vergleich zum spitalslastigen und auf die Krankenhausambulanzen konzentrierten österreichischen Gesundheitssystem kaum verbessern: „Eine Versorgung der Patienten wird in naher Zukunft ausschließlich durch Ambulanzen bzw. ambulante Versorgungszentren (AVZ) erfolgen. Die Arbeitsweise in diesen Zentren wird sich nur unmerklich von jener in Spitalsambulanzen unterscheiden.“
Die zu befürchteten Konsequenzen, so die Mattersburger Internistin: „Dies wird zur Folge haben, dass die freie Arztwahl der Patienten großteils eingeschränkt sein und die medizinische Betreuung unpersönlicher werden wird. Zugleich werden jene Patienten mit Krankenzusatzversicherungen verstärkt Privatärzte konsultieren und die von offiziellen Stellen stets geleugnete Zweiklassenmedizin noch mehr hervortreten.“
Das wäre ja eigentlich nicht notwendig. Die Internistin: „Österreich hat weltweit eines der besten Gesundheitssysteme. Sowohl die allgemeinmedizinische als auch die fachärztliche Versorgung gilt derzeit als wohnortnah. Trotzdem ist die österreichische Politik unzufrieden. In jedem Bundesland sollen mindestens zwei Gruppenpraxen oder andere multiprofessionelle Versorgungsformen eingerichtet werden. Im Planungskonstrukt des neuen Wiener Krankenhauses Nord ist bereits eine ‚ambulante Versorgungseinheit‘ im unmittelbaren Vorfeld des Spitals enthalten.“ Dort sollten Patienten vor den Ambulanzen offenbar „abgefangen“ werden.
Mehr noch, so die Standesvertreterin: „In einem anderen Wiener Bezirk wurde einem Facharzt von der Gebietskrankenkasse ‚nahegelegt‘, seinen Ordinationsstandort zu verlegen. Er sollte sich ebenfalls in Spitalsnähe niederlassen, um gleichzeitig zu seiner planmäßigen Ordinationsarbeit auch mögliche Ambulanzpatienten aufnehmen zu können.“
Hier gelte es, Vor- und Nachteile sowie die Konsequenzen einer solchen Entwicklung für die Fachärzte, speziell für die Internisten in der niedergelassenen Praxis, abzuwägen.
Was spricht für Gruppenpraxen von Fachärzten für Interne Medizin? Müller-Ringl: „Aus Patientensicht: Die Patienten profitieren von längeren Öffnungszeiten; Urlaubsschließungen wird es nicht geben. Multidisziplinäre Gruppenpraxen ersparen dem Patienten längere Wegstrecken. Die Sicht der Ärzte: flexible Arbeitszeiten bzw. die Möglichkeit einer Teilzeitbeschäftigung.“

Gefahr für Kassenstellen

Und die Gefahren? Sieht man die AVZ, die von den Bundesländern und/oder den Sozialversichungsträgern eingerichtet werden sollen, als Konkurrenz zu niedergelassenen Ärzten? Die Präsidentin des Berufsverbandes äußert sich eindeutig: „Die Einrichtung der AVZ soll auf lange Sicht den niedergelassenen Bereich ersetzen. Ich gehe davon aus, dass künftig in jenen Orten, in denen AVZ eingerichtet wurden, Kassenstellen von niedergelassenen Ärzten nicht mehr nachbesetzt werden.“
Diese Entwicklung sei zum Teil bereits zu bemerken, z.B. eine Ausdünnung bei den Fachärzten in Ballungszentren: „In Wien werden bereits einige Facharztstellen nicht mehr nachbesetzt, bzw. werden Kollegen trotz Vertrag gezwungen, ihre Ordinationen in Zentren zu verlegen, welche sich in unmittelbarer Nähe zu Krankenhäusern befinden.“ Anders sei das derzeit noch in ländlichen Gebieten: „Am Beispiel des Burgenlandes ist festzuhalten, dass bislang keine diesbezüglichen Entwicklungen festzustellen waren.“
Wobei es wahrscheinlich durchaus so ist, dass für Stadt und Land unterschiedliche Bedingungen herrschen und in der Zukunft auch unterschiedliche Schritte gesetzt werden sollten. Die Standesvertreterin: „Eine Nahversorgung der Patienten ist am Land in der bisherigen Form nicht mehr gewährleistet, wenn AVZ tatsächlich errichtet und Facharztstellen komplett gestrichen werden.“
Überhaupt, Ambulante Versorgungszentren sind – so die Präsidentin des Berufsverbandes – am ehesten „in Ballungszentren möglich und von Vorteil“. Doch auf dem Land? „Im ländlichen Bereich sind viele ältere und kranke Personen auf die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel angewiesen. Das Erreichen allfälliger multidisziplinärer Einrichtungen ist diesen oft nur schwer möglich und selten zumutbar.“ Es bleibe zu wünschen, dass die Entscheidungsträger in der Gesundheitspolitik, die ja zumeist in Ballungszentren wohnten, diese Argumente ernst nähmen.

Immer „schärfere“ Vorgaben

Müller-Ringl sieht aber auch noch eine weitere Gefährdung der niedergelassenen Fachärzte: „Festzuhalten ist auch, dass ständig ‚schärfere‘ Vorgaben durch Behörden das Betreiben von Facharztordinationen durch Fachärzte mit Zusatzqualifikationen wie Gastroenterologie oder Kardiologie erschweren.“
Warum das so ist? „Es werden beispielsweise hygienische Vorgaben gemacht, welche bald nur noch von Spitälern erfüllt werden können. Dies hängt auch mit der für diese Vorgaben nicht adäquaten Honorierung zusammen. Als Beispiel verweise ich auf die Endoskopien. Unter Berücksichtigung der Fixkosten (Waschmaschine, Desinfektionsmittel etc.) – welche naturgemäß auch in Spitälern anfallen – können diese Untersuchungen in den Praxen nicht mehr kostendeckend durchgeführt werden“, erklärt die Mattersburger Internistin.
Schließlich sei festzuhalten, dass die Durchführung solcher Untersuchungen und Behandlungen im extramuralen Bereich – auch bei Anpassung der Honorare – das Gesundheitssystem in finanzieller Sicht deutlich weniger belaste als eine krankenhausinterne Betreuung. Doch das werde in der Honorierung nicht abgebildet, sondern durch ständige zusätzliche Anforderungen eher erschwert.
Immer wieder führt die Gesundheitspolitik derzeit an, dass im Zuge der Gesundheitsreform gerade die Versorgung im niedergelassenen Bereich ausgebaut werden soll. Auf der anderen Seite gibt es „Deckelungen“ und andere Instrumente, welche mehr Leistung durch den niedergelassenen (Fach-)Arzt nicht wirklich machbar erscheinen lassen.
Die „Interne“ ist da in der niedergelassenen Praxis keine Ausnahme, so die Präsidentin des Bundesverbandes: „Bereits jetzt bringt die ‚Deckelung‘ einiger Leistungen, dass diese – unabhängig von der Indikation und Notwendigkeit der Untersuchung – zu einem Teil nicht honoriert werden. Dies führt in der Praxis dazu, dass teils lange Wartezeiten für bestimmte Untersuchungen bestehen. Sollte die Versorgung im niedergelassenen Bereich tatsächlich ausgebaut werden und dadurch die Anzahl der benötigten Leistungen steigen, wird eine Änderung der bestehenden Regelungen geboten sein.“

Erst wenige Gruppenpraxen

Diese Einschränkungen und verschiedene andere Rahmenbedingungen haben dazu geführt, dass Gruppenpraxen bisher in Österreich kein „Renner“ geworden sind. Die Standesvertreterin führt hier mehrere Gründe an: „Die Realisierung wird aus folgenden Gründen erschwert: Es fehlt noch an einer klaren Abgrenzung zu selbständigen Ambulatorien, die Honorierung fächerübergreifender Gruppenpraxen durch die Krankenkassen ist noch nicht vollständig geklärt und das Verbot der Anstellung von Ärzten in Gruppenpraxen stellt ein großes Minus dar.“

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