Gelenkersatz ist keine Frage des Alters

Wann ist ein künstliches Gelenk indiziert?

Prim. Prof. Dr. Björn Rath: Die Beschwerden des Patienten, der klinische Gelenkstatus und das Röntgenbild geben Aufschluss über den Zustand des Gelenks. Die Dringlichkeit einer Operation richtet sich aber vor allem nach dem persönlichen Leidensdruck und den Beschwerden des Patienten. Zuerst sollte eine konservative Therapie u. a. mit physikalischen Maßnahmen durchgeführt werden. Kommt es damit zu keiner wesentlichen Verbesserung oder zu einer Verschlechterung der Beschwerden, besteht die Indikation zur operativen Versorgung. Wenn Patienten nur noch mit Schmerzmitteln durch den Tag kommen, Belastungs- und Ruheschmerzen haben und die Lebensqualität eingeschränkt ist, sollte eine Überweisung zur operativen Therapie erfolgen.

Wie kann der Patient im niedergelassenen Bereich bestmöglich auf die Operation vorbereitet werden?

Am besten durch den Rat: Bleiben Sie mobil! Denn so erhalten die Patienten ihre Muskulatur – und das ist die beste Voraussetzung für einen erfolgreichen Verlauf nach einer Operation.
Der Hausarzt bzw. Facharzt kann gemeinsam mit dem Patienten bereits vor der geplanten Operation Vorbereitungen treffen: Durch Bewegungstraining mit einem Physiotherapeuten, um die Muskulatur zu stärken und den Allgemeinzustand zu verbessern. Bei starkem Übergewicht sollte, wenn schmerzbedingt möglich, eine Gewichtsreduktion erfolgen. Wie vor jeder Operation umfasst die ärztliche Operationsfreigabe eine ausführliche Anamnese sowie eine Blutabnahme, EKG, Blutdruckmessung und ein Arztgespräch mit dem Orthopäden und dem Narkosearzt. Alle diese Maßnahmen helfen, nach dem Eingriff schneller wieder fit zu werden.

Nach welchen Kriterien wird das Material gewählt?

Die Komponenten von Kunstgelenken müssen bestimmten Anforderungen standhalten – zum Beispiel dürfen sie kaum einem Alterungsprozess unterliegen, verwendetes Metall darf also nicht rosten oder brüchig werden. Weiters darf sich die Form der Prothesen trotz Belastung über die Jahre nicht verändern.
Das Material des Hüftimplantats besteht aus Titan, hochvernetztem Polyethylen (Kunststoff) und Keramik und ist zur Gänze nickelfrei. Aufgrund der speziellen Geometrie und Anforderungen an eine Kniegelenkprothese setzt sich die Legierung aus Chrom, Kobalt und Molybdän zusammen und enthält einen geringen Prozentsatz Nickel.

Was passiert im Falle einer Nickelallergie?

Leidet ein Patient unter einer Nickelallergie, muss auf ein Implantat zum Beispiel mit einer speziellen Beschichtung zurückgegriffen werden.

Welche Rolle spielt das Alter des Patienten?

Für die Indikation zu einem Gelenkersatz ist nicht nur das biologische Alter von entscheidender Bedeutung. Der körperliche Allgemeinzustand sowie Bedürfnisse und Anspruch der Patienten sind für die Planung einer Operation ebenso wichtig, unabhängig vom kalendarischen Alter. Entsprechend können auch Patienten, die älter als 80 Jahre sind, sehr erfolgreich mit einem künstlichen Gelenk behandelt werden. Durch die immer älter werdende Gesellschaft ist es besonders der Orthopädie ein wichtiges Anliegen, auch deutlich älteren Patienten wieder eine ausreichende und vor allem schmerzfreie Mobilität zu ermöglichen.

Mit welchen postoperativen Komplikationen sind Sie konfrontiert und wie sind diese zu managen?

Wie jeder andere Eingriff ist die Implantation eines Kunstgelenkes bei allen Sicherheitsmaßnahmen mit einem gewissen Restrisiko behaftet. Zu den allgemeinen Risiken zählen Wundheilungsstörungen, Blutungen und das Auftreten einer Thrombose. Zu den spezifischen Risiken dieser Eingriffe zählen Lockerung der Prothese, Auskugeln des Kunstgelenkes und ein Knochenbruch. Diese Komplikationen sind sehr selten, trotzdem sollten diese Eingriffe nur an spezialisierten Kliniken durchgeführt werden, um das Risiko weiter zu minimieren.
Eine immer intensiv diskutierte Komplikation ist die Infektion eines Kunstgelenkes. Sie tritt ebenfalls sehr selten auf, ist aber in der Behandlung sehr aufwendig. Zu beachten ist: Meist sind es körpereigene Keime, die trotz aller Desinfektion und Vorsichtsmaßnahmen eine Wundinfektion auslösen können. In unserer Klinik besteht eine enge Kooperation mit unserem Institut für Hygiene und Mikrobiologie, um unsere Präventionsmaßnahmen und hohen Standards regelmäßig zu überprüfen und anzupassen, um so das Restrisiko weiter zu minimieren. Hierdurch können sehr niedrige Infektionszahlen erreicht werden. Es ist aber auch zu beachten, dass bei Patienten nach einer Voroperation, bei sehr komplexen Operationen und bei Patienten mit rheumatischen Krankheitsbildern, geschwächter Immunabwehr, starkem Übergewicht oder Nikotinkonsum ein höheres Risiko vorliegt. Hierüber werden die Patienten auch ausführlich aufgeklärt.
Sollte es nach der Operation zu Entzündungszeichen im Operationsbereich kommen, sollte der Patient nach telefonischer Vorankündigung sofort an die behandelnde Klinik überwiesen werden.

Welche Erfolge lassen sich hinsichtlich Schmerzreduktion erwarten?

Bei Patienten mit geplanter Hüftprothesen-Implantation dürfen die Erwartungen sehr hoch sein. Bei über 95 Prozent der Fälle sehen wir nach der Operation eine deutlich spürbare Schmerzreduktion bzw. Schmerzfreiheit und eine sehr gute Beweglichkeit. Nach Implantation eines künstlichen Kniegelenkes erfahren bis zu über 85 Prozent der Patienten eine deutliche Reduktion der Schmerzsymptome bzw. Schmerzfreiheit und eine gute Beweglichkeit. Einige Patienten verspüren teilweise weiterhin Schmerzen und eventuell Bewegungseinschränkungen. Dies liegt am komplexen Aufbau des Kniegelenks im Vergleich zum Hüftgelenk. Wir beschäftigen uns in einer internationalen Studie mit den Ergebnissen nach Knieprothesenimplantation, um die Erfolgsrate weiter zu erhöhen.

Welche begleitenden Therapiemaßnahmen empfehlen Sie nach dem Eingriff?

Jeder Patient hat das Recht auf eine angemessene Schmerzbehandlung. Bei leichteren Schmerzen kommen Schmerzmittel wie Paracetamol, Diclofenac, Ibuprofen oder Metamizol zum Einsatz. Reicht diese Basistherapie nicht aus, können kurzfristig stärkere Schmerzmittel verabreicht werden. Ein wichtiger Bestandteil für eine patientenorientierte Schmerztherapie ist das Äußern von Schmerzen durch den Patienten selbst. Grundsätzlich sollten die Patienten so schnell wie möglich ohne Schmerzmedikation auskommen, was zumeist zügig möglich ist. Physikalische Maßnahmen sollten auf jeden Fall in den ersten Monaten nach der Operation zwecks Muskelaufbau und Gangschulung durchgeführt werden.

Was würden Sie dem niedergelassenen Arzt sonst noch gerne mitgeben?

Sie kennen Ihre Patienten am besten! Sollten Patienten nach einer konservativen Therapie weiterhin im Alltag aufgrund der Gelenkbeschwerden in ihrer Mobilität eingeschränkt sein, bitte nicht zögern, diese einem orthopädischen Kollegen vorzustellen.

Vielen Dank für das Interview!