Gemeinsam mit Patienten die Gesundheitskompetenz stärken

„Einem Arzt, der nichts verschreibt, zürnen die Kranken und glauben, sie seien von ihm aufgegeben“, formulierte schon vor 2000 Jahren der griechische Philosoph Epiktet (um 50 bis 138 n. Chr.). Tatsächlich wäre es aber meist nötig, dass ein Arzt vor allem das Gespräch mit dem Patienten sucht. Doch dafür ist meist keine Zeit, sagt Univ.-Prof. Dr. Andrea Siebenhofer-Kroitzsch, Leiterin des Instituts für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung an der MedUni Graz. Sie hat einen Schwerpunkt auf Gesundheitskompetenz gelegt. Das Ziel dabei ist die Suche nach Möglichkeiten, die Gesundheitskompetenz zu erhöhen – denn die ist in der Bevölkerung in Österreich denkbar schlecht. Sie rät Ärzten, gemeinsam mit den Patienten Lösungen für ihre Therapie zu suchen. Das Problem dabei: oft fehlt dafür die Zeit und auch das Verständnis der Patienten. „Meine Patienten wollen gar nicht mitreden, sie verstehen die Gesundheitsinfos gar nicht“, war eine der Rückmeldungen von Ärzten, die Siebenhofer-Kroitzsch in ihren Projekten erhalten hat. „Im Routinebetrieb der Ordination oder in der Klinik ist die sorgsame und wiederholte Aufklärung der Patientinnen und Patienten eine beträchtliche, auch zeitliche Herausforderung“, sagt die Institutsleiterin.

Gesundheitsinformation verstehen und anwenden

Die Fähigkeit, Gesundheitsinformationen zu verarbeiten, wird im Deutschen als Gesundheitskompetenz bezeichnet, im Englischen spricht man von Health Literacy. Der Einfluss von Gesundheitskompetenz auf Lebensqualität und Gesundheit ist immer besser belegt. „Der Begriff Gesundheitskompetenz bedeutet nicht, viel zu wissen, sondern in der Lage zu sein, sich wichtige gesundheitsbezogene Informationen zu organisieren, diese verstehen und bewerten zu können und auf dieser Basis Entscheidungen für die eigene Gesundheit zu treffen“, erklärt Mag. Dr. Christina Dietscher, Abteilungsleiterin im Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, und Vorsitzende der Österreichischen Plattform Gesundheitskompetenz (ÖPGK). Österreich schnitt in der ersten europäischen Gesundheitskompetenz-Erhebung vor einigen Jahren besonders schlecht ab: 56 % der Bevölkerung wiesen mangelnde oder unzureichende Gesundheitskompetenz auf. Seither bemüht man sich um Verbesserung.

Entscheidungen treffen – Folgen erkennen

Ursprünglich wurde das Konzept der Gesundheitskompetenz im Bereich der Krankenbehandlung entwickelt. Besser Gebildete sind statistisch gesehen gesünder, was auch mit der Fähigkeit zur Befolgung medizinischer Empfehlungen – der sogenannten Adhärenz – assoziiert wurde. Erst durch die Verbindung mit dem Empowerment-Ansatz der Gesundheitsförderung wurde der Fokus stärker auf die gut informierte, selbst bestimmte Entscheidung gelegt, die neben medizinischer Expertise auch persönliche Präferenzen berücksichtigt. Dietscher: „Dafür ist die Beziehung zwischen Betroffenen und Profis wesentlich. Gerade in Gesundheitsfragen gibt es kaum absolute Sicherheiten, die Konsequenzen von Entscheidungen können aber gravierend sein. Betroffene sollten daher verstehen, welche Folgen ihre Entscheidungen haben können. Und Profis sollten auch dann gut unterstützen, wenn Betroffene – etwa am Lebensende – nicht alle medizinischen Möglichkeiten ausschöpfen wollen.“ Letztlich ist das auch für die Therapietreue zentral.

Projekt EVI, Workshops und Broschüren

Um Ärztinnen und Ärzte dabei zu unterstützen, wurde am Institut für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung an der MedUni Graz das Projekt EVI (evidenzbasierte Informationen zur Unterstützung von gesundheitskompetenten Entscheidungen) aufgesetzt. Um sie bei der täglichen Aufklärungsarbeit zu unterstützen, wählten Experten der österreichischen medizinischen Fachgesellschaften Top-Themen aus ihrem jeweiligen Bereich aus. Diese Empfehlungen wurden in einer gut verständlichen Sprache aufbereitet, damit Ärzte ihren Patienten Unterlagen mitgeben können. Denn: „Weniger Gebildete, Ältere und chronisch Kranke haben eine geringere Gesundheitskompetenz als der Bevölkerungsdurchschnitt, da die verfügbaren Angebote unzureichend auf sie zugeschnitten sind“, sagt Dietscher.
Das Projekt EVI ist ein Schritt dazu. Es hat zum Ziel, der steirischen Bevölkerung gesundheitskompetente Entscheidungen zu ermöglichen. Dieses Ziel soll erreicht werden, indem ein Broschürenständer mit evidenzbasierten, qualitativ hochwertigen Gesundheitsinformationen in Hausarztpraxen und Gesundheitszentren bereitgestellt wird. Ergänzend zur EVI-Box werden Allgemeinmediziner sowie Angehörige nichtärztlicher Gesundheitsberufe im Rahmen von Workshops auf die Wichtigkeit von Gesundheitskompetenz sensibilisiert. Das Pilotprojekt EVI wird vom Institut für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung (IAMEV) der Medizinischen Universität Graz in Kooperation mit dem Institut für Gesundheitsförderung und Prävention (IfGP) durchgeführt. Als Basis für die entwickelten Empfehlungen wurden sowohl die Sichtweise von Patienten miteinbezogen wie auch Rückmeldungen vom medizinischen Personal gesammelt. Die Ergebnisse und auch die Unterlagen für Ärzte in anderen Bundesländern finden sich unter www.evi.at

Was es für Ärzte und Patienten braucht

  • Aufbereitete Unterlagen von Fachgesellschaften für Hausärzte und Patienten.
  • Sensibilisierung für die Wichtigkeit schriftlicher Gesundheitsinformationen (z. B. für Patienten als Unterstützungshilfe für daheim, als Vorbereitung auf Arzt-Patienten-Gespräch) und Tipps für den Einsatz schriftlicher Gesundheitsinformationen im Praxisalltag sowie Aufklärung bestehender Fehleinschätzungen seitens des medizinischen Personals.
  • Honorierung für Beratungszeit
  • Kompakte Entscheidungshilfen zum Ausdrucken
    Zur Stärkung der Gesundheitskompetenz in Österreich trägt die 2015 gegründete Österreichische Plattform Gesundheitskompetenz (ÖPGK) mit ihren fachlichen Schwerpunkten „Gute Gesprächsqualität“, „Gute Gesundheitsinformation“, „Bürger- und Patienten-Empowerment“, „Organisationale Gesundheitskompetenz“ und „Gesundheitskompetenz-Messung“ durch Wissensentwicklung, Kooperation mit Entscheidungsträgern, Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung bei.