Epidemiologische Daten der letzten Jahre zeigen, dass Menschen mit schweren psychiatrischen Erkrankungen (Severe mental Illness, SMI) im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung eine höhere Prävalenz an somatischen Erkrankungen aufweisen. Aus diesen Daten leiten sich vergleichsweise signifikant reduzierte Lebenserwartungen in dieser Patientengruppe ab. Somatische Komorbiditäten bei Patient:innen mit SMI sind somit keine Randerscheinung, sondern eine zentrale Herausforderung für die medizinische Versorgung.
In internationalen Studien und Metaanalysen zeigen Patient:innen mit SMI zum Teil drastische somatische Begleiterkrankungen wie beispielsweise höhere Inzidenz- und Prävalenzraten für kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes mellitus, onkologische Erkrankungen, Infektionen sowie Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes. Dabei scheinen mehrere Faktoren relevant zu sein:
Faktoren des Lebensstils wie zum Beispiel Bewegungsmangel, ungesunde Ernährung oder Tabak- und Alkoholkonsum werden in dieser Patientengruppe als wesentliche individuelle Risiken diskutiert. Kognitive Schwierigkeiten werden in der wissenschaftlichen Literatur oft als krankheitsbedingte Faktoren angeführt. Diese führen zum Beispiel dazu, dass Patient:innen Schwierigkeiten beim Verstehen bzw. Umsetzen von Gesundheitsempfehlungen haben. Aber auch im Rahmen von psychopharmakologischen Therapien kann es zu mannigfaltigen unerwünschten Nebenwirkungen kommen, die mit Adipositas, Hypertonie, Hyperlipidämie und Diabetes mellitus Typ 2 einhergehen können.
Auf Versorgungsebene ist zu beobachten, dass Patient:innen mit SMI eine vergleichsweise insuffiziente Inanspruchnahme der zu Verfügung stehenden medizinischen Angebote und Leistungen aufweisen. Neben einer bereits auch in der Öffentlichkeit diskutierten Stigmatisierung scheinen auch psychiatrische Symptomkonstellationen eine wesentliche Rolle zu spielen, hier seien beispielsweise die kognitiven Beeinträchtigungen oder psychotische Symptome wie paranoide Reaktionsbereitschaften anzuführen. Weiters sind Schwierigkeiten beim Zeitmanagement vor allem in Bezug auf Komplexität, Etablierung und Evaluierung der „somatischen“ und psychiatrischen Medikation zu beobachten.
Weitere Daten zeigen, dass Patient:innen mit SMI mit insuffizienter Versorgung somatischer Beschwerden konfrontiert sind, zum Beispiel signifikant weniger Herzkatheteruntersuchungen bei kardialen Beschwerden im Vergleich zu anderen Patientengruppen erhalten. Auch wird im psychiatrischen Bereich oft ein fachinhärenter Fokus auf psychische Beschwerden gelegt und weniger oft auf somatische Fragestellungen geachtet. Darüber hinaus stellt die Trennung von psychiatrischen und somatischen Versorgungsstrukturen im ambulanten, aber auch im stationären Bereich in der effizienten Betreuung der Patient:innen ein wesentliches Hemmnis dar, hier könnten Allgemeinmediziner:innen ein verbindendes Element bilden, bzw. kann auch mit Hilfe integrierter Versorgungsmodelle entgegengesteuert werden.
Die somatische Gesundheit von Patient:innen mit SMI in Österreich signifikant zu verbessern ist sicherlich eine der großen zukünftigen Herausforderungen auf gesundheitspolitischer Ebene. Folgende Aspekte könnten hier zu einer Optimierung beitragen:
Schließlich sei auch darauf hingewiesen, dass bei Personen mit weniger schweren psychiatrischen Erkrankungen ebenfalls erhöhte somatische Risikofaktoren und Morbiditäten zu beobachten sind, die ebenfalls in einem Gesamtkonzept zur Behandlung körperlicher Erkrankungen bei psychiatrischen Patient:innen Berücksichtigung finden sollten.
Praxismemo