Herausforderungen in der Patientenkommunikation – oder: Warum quartäre Prävention immer wichtiger wird

Der Sehnsucht nach Sicherheit und Berechenbarkeit geschuldet (?) entwickelt sich parallel dazu – zumindest in Österreich (vielleicht auch aufgrund der [problematischen] Gesundheitskompetenz1) – ein zunehmend starkes Angebot an „Gesundheitsdienstleistungen“ im privatmedizinischen Sektor, zum Teil gefördert durch Zusatzversicherungen. Waren diese Befunde früher eher seltener oder eher zum Abschluss von Versicherungspolizzen (v.a. Lebensversicherung), so begegnen mir diese Befunde mittlerweile beinahe wöchentlich. Um darzustellen, was gemeint ist: Ein 42-jähriger Mann ohne auffällige Anamnese und symptomlos kommt in die Ordination zur PSA-Abnahme – dass es in seinem Fall eine Privatleistung ist, weiß er.
Die Abnahme benötigt er trotzdem, da seine Krankengruppenversicherung gerade das „Vorsorgepaket Prostata“ anbietet und er zum MRT einen PSA-Wert mitbringen soll. Die Rechnung zahlt ihm dann die Versicherung. Bei Urolog:innen war er noch nie. Eine Aufklärung über Nutzen, Sinn und Unsinn lehnt er ab, da die Versicherung ja wisse, was sie anbietet (ein Schelm, wer Böses dabei denkt?). Ein paar Tage später lese ich bei einem 52-jährigen Patienten – laut Kartei nachweislich Nichtraucher, ohne Lungenerkrankungen oder berufliche Risikokonstellation – einen CT-Befund Thorax. Ich freue mich darüber, dass ich einerseits diesen Befund bekommen habe (ich bin also noch seine Hausärztin), andererseits, dass die Zuweisungsdiagnose auf dem Befund benannt ist, da ich mir den Grund für das CT nicht denken kann. Man staune: „asymptomatischer Patient, Früherkennungsprogramm d. Versicherung.“ Die Lunge hat nichts, der CT-Befund ist dennoch sehr detailliert, nebenbefundlich finden sich degenerative Veränderungen der Wirbelsäule. Ich schreibe mir als Memo in die Kartei, ihn bei der nächsten Konsultation darauf anzusprechen. Vor allem, ob er Beschwerden in diesem Bereich der WS hat und um ihn darauf aufmerksam zu machen, dass er bei Anpassung der Versicherungspolizze nachliest, welche Erkrankungen aus seiner Polizze genommen wurden oder warum sie teurer wurde.

Wie bereits im Editorial dargestellt, gibt es seit mehr als 15 Jahren in Österreich auch das CIRSmedical-Meldesystem, gedacht zum Melden von kritischen Vorkommnissen im Rahmen der medizinischen Routine zur Verbesserung der Patientensicherheit. In der aktuellen Liste unter „Allgemeinmedizin“2 finden sich 113 Einträge, viele davon stammen aus Ordinationen, der täglichen Routine und ein paar davon aus Notfallsituationen. Kommunikation, Ablaufroutinen in der Ordination und Patientenfaktoren sind häufig genannte Herausforderungen in diesen Berichten. Was jedoch auch in den Bereich Patientensicherheit fällt, ist der Schutz vor potenziell schädigender Überdiagnostik – Überdiagnostik, die wir selbst betreiben oder die betrieben wird und die wir als „Zaungäste“ bestehender Dynamiken nicht einmal mehr beeinflussen können, dennoch damit umgehen müssen. Solche Fälle dokumentieren zu können, um auch (die zum Teil gesundheitsgefährdende) Überdiagnostik anonym melden und besser auf dieses Problem aufmerksam machen zu können, wäre vielleicht hilfreich. Es wird zunehmend wichtig, Überdiagnostik und daraus entstehende Folgekosten im österreichischen Gesundheitssystem fassbar zu machen.

Ebenso abschätzen zu können, welcher zeitliche Aspekt daran gebunden ist. Letztendlich wird neben künstlich erzeugten Engpässen (z.B. Endoskopien, MRT etc.) auch die Ressource „ärztliche Zeit“ verbraucht. Betreffend CIRS ist jedenfalls als Resümee meiner eigenen Recherche zu sagen: Die gemeldeten Fälle und auch die damit verbundenen Fallkommentare, Podcasts und E-Learnings sind eine durchaus interessante Art, über eigenes Tun und eigene Herausforderungen nachzudenken.

Herausforderungen in der Kommunikation mit Patient:innen

Zu dem allen ist die Kommunikation mit unseren Patient:innen oft komplex. Sie fordern häufig diagnostische Tests, Überweisungen oder Behandlungen, die möglicherweise überflüssig oder schädlich sind. Gründe dafür sind unter anderem unzureichendes Verständnis medizinischer Verfahren, Werbeeinflüsse oder persönliche Sorgen.3 Ärzt:innen (und ihre Teams) stehen vor der Herausforderung, diese Anfragen einzuschätzen und eine Balance zwischen dem Wunsch der Patient:innen und medizinischer Notwendigkeit zu finden.

Eine weitere Schwierigkeit liegt darin, Patient:innen nicht zu übergehen (engl. Silencing), also ihre subjektiven Wahrnehmungen und Sorgen nicht zu ignorieren oder abzuwerten. Besonders marginalisierte Gruppen wie Frauen, Menschen mit Behinderung oder ethnische Minderheiten sind oftmals von epistemischer Ungerechtigkeit betroffen. Dies kann wiederum zu einer unzureichenden Versorgung führen.

In beiden Fällen sind Strategien wie aktives Zuhören, Validierung der Gefühle und kooperative Entscheidungsfindung essenziell, um eine respektvolle Kommunikation sicherzustellen – kurz: die Arzt-Patienten-Beziehung weiter zu fördern und gemeinsam zu entscheiden.

Rolle der Allgemein- und Familienmedizin in der Quartärprävention

Marc Lamouille führte im Jahr 1986 die Kategorie der Quartärprävention ein, 1999 wurde dieser Begriff in das International Dictionary of General/Family Medicine der WONCA aufgenommen und als Maßnahme zur Identifikation von Personen mit einem Risiko zur Überdiagnostik definiert. Diese Definition wurde 2018 von der EUROPREV-Arbeitsgruppe ergänzt: Quartärprävention sind Maßnahmen/Aktivitäten, die das Individuum (gesund oder krank) vor medizinischen Eingriffen schützen, die mehr schaden als nützen. Ziel der Quartärprävention ist es, Übermedikalisierung, Überdiagnostik und Übertherapie sowie iatrogene Schäden zu minimieren.4

Hausärzt:innen spielen eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung der quartären Prävention. Sie haben die Möglichkeit, übermedizinische Eingriffe zu vermeiden, indem sie die individuellen Bedürfnisse und Lebenswelten der Patient:innen berücksichtigen. Ihre Aufgabe ist es, eine patientenzentrierte Herangehensweise zu verfolgen und eine fundierte Beratung über mögliche Risiken und Vorteile medizinischer Interventionen zu bieten. Zudem fördert diese Prävention die Demedikalisierung dort, wo sie tatsächlich wissenschaftlich begründet ist, ohne notwendige Behandlungen zu gefährden.

Fazit

Die Kommunikation mit Patient:innen und die Implementierung der Quartärprävention erfordern von Allgemein- und Familienmediziner:innen eine kritische und empathische Haltung, aber auch Zeit. Es geht darum, übermäßige Diagnostik und Therapie zu vermeiden, die Autonomie der Patient:innen zu respektieren, ihre Gesundheitskompetenz zu stärken und gleichzeitig schädliche medizinische Eingriffe zu reduzieren. Dieser Ansatz stärkt die vertrauensvolle Beziehung zwischen Ärzt:innen und Patient:innen und fördert eine nachhaltige, ethisch fundierte medizinische Praxis.