Herr L. – Opfer seiner Ulcera

Herr L., 76 Jahre alt, leidet seit Monaten an ausgeprägten Ulcera cruris (Abb. 1). Verzweiflung, Schmerzen und soziale Ausgrenzung dominieren seinen Alltag. Da er überall ein „ungeliebter Gast“ ist, versorgt er seine Wunden mittlerweile selbst. Ein einst sehr geselliger Mann wurde unverschuldet zum Eigenbrötler.
Im Mittelpunkt des Therapieregimes bei chronischen Wunden (Abb. 2) steht der Betroffene. Als Behandler muss man ihn abholen und aufklären, sein Vertrauen und seine Compliance gewinnen und ihn motivieren. Die häufigsten und belastendsten Probleme der Patienten sind Schmerzen, die Belästigung durch Gerüche und Exsudat sowie die Mobilitätseinschränkung. Die Ausübung alltäglicher Aufgaben sowie der Berufstätigkeit ist nur noch eingeschränkt oder kaum mehr möglich. Im schlimmsten Fall droht die soziale Isolation. Psychosoziale Faktoren (z. B. Angst und Depression) sind mit einer verzögerten Wundheilung assoziiert. Schlechtes Symptommanagement führt zu einer verschlechterten Compliance. Wird der Patient aktiv in die Behandlung miteinbezogen, verbessern sich die Behandlungsergebnisse.

Ursachensuche

Chronische Wunden können in den meisten Fällen auf eine Grunderkrankung zurückgeführt werden, durch welche der Mechanismus der Wundheilung gestört und verzögert ist. Parallel zur Lokaltherapie ist daher die Kausaltherapie von essenzieller Bedeutung. Ursächlich können eine periphere arterielle Verschlusskrankheit, eine chronisch venöse Insuffizienz, Diabetes mellitus, Polyneuropathie, Tumorerkrankungen, Infektionen, seltene Hauterkrankungen oder Immunsuppression sein – aber auch mechanischer Druck (wie beim Dekubitus und dem diabetischen Fußsyndrom).

Schmerzmanagement

Die schmerzbedingte Belastung ist enorm, und zumeist kommt es zu einer Chronifizierung der Schmerzen. Es bestehen komplexe Wechselwirkungen zwischen biologischen, psychischen und sozialen Faktoren (biopsychosoziales Schmerzkonzept). Therapieziele sind schmerzfreie Verbandswechsel, Verbesserung der Lebensqualität und die Wiederherstellung der Mobilität. Außerdem ist die adäquate Schmerztherapie für eine erholsame Nachtruhe unerlässlich. Neben der systemischen Therapie (orientierend am WHO-Stufenschema) gibt es nichtmedikamentöse begleitende Maßnahmen (z. B. autogenes Training, Akupressur, Atemtechniken etc.). Ebenso spielen die Entstauungstherapie bei Ödemen (Spannungsschmerz), die Druckentlastung sowie die Auswahl von adäquaten Wundauflagen eine wesentliche Rolle.

Lokaltherapie

Die richtige Vorbereitung des Wundbetts ist Voraussetzung, um eine chronische Wunde in eine aktive heilende Wunde umzuwandeln. Die Wundheilung wird durch avitales Gewebe, Fremdkörper, Beläge und Detritus behindert, weshalb eine Abtragung bis zu intakten anatomischen Strukturen durchgeführt werden muss (chirurgisches Débridement). Dies beinhaltet auch die Wundreinigung – sie ist Voraussetzung für eine optimale Wundbeurteilung und die Grundlage für den Heilungserfolg. Man unterscheidet die aktive periodische Wundreinigung (APW), eine gezielte wiederkehrende mechanische Wundreinigung im Rahmen des Verbandwechsels, von der passiven periodischen Wundreinigung (PPW), dem beabsichtigten fortlaufenden Reinigungsprozess ohne Zerstörung intakten Granulationsgewebes, welcher unter dem Sekundärverband stattfindet (enzymatisch, autolytisch, biochirurgisch, osmotisch). Nach der Entfernung von nekrotischem Gewebe wird versucht, in eine granulierende Wunde überzugehen. Als Orientierungshilfe zur phasengerechten Therapie dient das MOIST-Konzept.Als State of the Art gilt heute die an den Phasen der Wundheilung orientierte feuchte Wundbehandlung unter Einsatz von speziellen Wundauflagen. Da unglücklicherweise keine Universalwundauflage existiert, bedarf die korrekte Auswahl Erfahrung mit dem Produkt und Kenntnis über die Wundheilungsphasen.
Die Lokaltherapie beinhaltet auch den Schutz des Wundrandes und der Wundumgebung (Exsudatmanagement, Schutz vor Mazeration) sowie einen der Situation angepassten Sekundärverband (z. B. bei Geruchsbelästigung Einsatz von geruchsbindenden Produkten).

Begleitende Maßnahmen

Ein gesunder Lebensstil (ausgewogene Ernährung, tgl. min. 30 Minuten Bewegung, kein Übergewicht, nicht rauchen, wenig Alkohol) trägt nicht nur zu einem längeren gesunden Leben bei, sondern auch zur Verhinderung von chronischen Wunden sowie zum Heilungsprozess bei bestehenden Wunden. Damit eine Wunde heilt, benötigt sie Sauerstoff und Nährstoffe. Bestehende Arteriosklerose sowie Vasospasmen und der verringerte Sauerstofftransport bei aktiven Rauchern beeinflussen die Wundheilung stark negativ. Dasselbe gilt für einen ernährungsbedingten Mangel an Spurenelementen, Eiweiß und Vitaminen. Die Ulcera von Herrn L. sind mittlerweile abgeheilt (Abb. 3), er befindet sich in der Rezidivprophylaxe und ist zurück im Leben. Die Behandlung chronischer Wunden ist komplex und besteht aus unterschiedlichen Säulen und Professionen. Zum Ziel kommen wir nur gemeinsam.

Wissenswertes für die Praxis
  • Der Erfolg der Wundheilung steht immer im Zusammenhang mit dem Zustand des Gesamtorganismus – Kausaltherapie.
  • Eine moderne Wundauflage muss physiologisch wirken, das feuchte Wundklima aufrechterhalten, die Wundreinigung fördern und vor Sekundärinfektionen schützen.
  • Wenn bei Risikopatienten eine Wunde nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraums abheilt, sollte nicht gezögert werden, den Patienten an einen Spezialisten weiterzuleiten.
  • Die (Rezidiv-)Prophylaxe ist integrativer Bestandteil in der Verhinderung von chronischen Wunden.