Herzinfarkt, Sex und Gender

Obwohl im jüngeren und mittleren Lebensalter deutlich mehr Männer einen Herzinfarkt erleiden als Frauen, verstirbt letztlich fast jede zweite Frau an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung, wozu auch Hypertonie, Schlaganfall und Herzinsuffizienz beitragen. Obwohl vor allem ältere Frauen mit Zusatzerkrankungen vom Herzinfarkt betroffen sind, steigt auch die Zahl junger Frauen, deren Mortalität dann sogar besonders hoch ist. Pille, Rauchen, Übergewicht, Diabetes und Stress bis Depressionen sind bei Frauen besonders wichtige Risikofaktoren. Auch Schwangerschaftskomplikationen wie Präeklampsie oder eine frühe Menopause mit Flush-Symptomatik können auf ein höheres Risiko hinweisen. Bei Männern ist die erektile Dysfunktion ein wichtiges Alarmsignal, die Koronargefäße zu checken. Ausreichend Bewegung ist für beide Geschlechter in der Vorbeugung wichtig, bei Frauen aber leider oft sehr vernachlässigt. Prävention, Frühdiagnostik und Therapie müssen geschlechtssensitiv individuell gestaltet werden.
Univ.-Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer

 

Geschlechtsunterschiede bei Diagnose und Therapie von koronaren Herzerkrankungen sowie bei Herzinfarkt waren neben Medikamententestungen auch für Frauen das erste Thema in der Women’s-Health- und Gendermedizin-Forschung. Seit den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts gibt es unzählige wissenschaftliche Artikel zu diesem Thema, ist doch der Herztod die Haupttodesursache für Frauen und Männer weltweit. Eine der wichtigsten Publikationen aus der Anfangszeit der Gendermedizin-Forschung ist das 1991 im „New England Journal of Medicine“, der damals wie heute höchstgerankten wissenschaftlichen Medizinzeitschrift, erschienene Editorial „The Yentl Syndrome“ von Bernadine Healy. „Frau muss erst beweisen, so herzkrank zu sein wie ein Mann, um dieselbe Behandlung zu erhalten“: Frauen haben geringere Chancen auf Spitzenmedizin, wie bei Herzkatheter, Intensivstation, Bypassoperation, Klappenoperation, Herztransplantation. Frauen brauchen außerdem länger, um zu dieser Diagnostik und Therapie zu gelangen. Diese Befunde wurden trendmäßig in allen Studien bestätigt. Es stellte sich die Frage nach den Ursachen. Diese sind sicher multifaktoriell, der Hauptgrund ist zweifelsfrei, dass koronare Herzerkrankung, Herzinfarkt, Männern zugeschrieben wurde und deshalb Diagnostik und Therapie auf Männer fokussiert war.

Yentl Syndrome – 25 Jahre danach?

Für uns stellt sich natürlich die Frage: Yentl Syndrome – 25 Jahre danach? Und hier ist viel geschehen. Es gab nicht nur zahllose wissenschaftliche Studien zu diesem Thema, sondern auch Awarenessaktionen wie „Go Red“ und viele ähnliche Aktionen sowie sehr viel Information und Unterstützung durch die Medien. Daneben gab es natürlich auch Erklärungsversuche, wie die „atypischen Herzsymptome von Frauen“ oder das höhere Alter beziehungsweise die höheren Komorbiditäten von Frauen. Zusammenfassend zeigen die wissenschaftlichen Studien bis heute einen Geschlechtsunterschied im Zugang zur Herzdiagnostik und -therapie zu Ungunsten der Frauen, wenn auch in geringerem Maß.

Neben diesen Geschlechtsunterschieden in der Kardiologie, die hauptsächlich Zugangsprobleme von Frauen behandeln, stellt sich zwischenzeitlich hauptsächlich die Frage: Gibt es Geschlechtsunterschiede bei der koronaren Herzerkrankung, beim Herzinfarkt zwischen Frauen und Männern, und was wissen wir darüber wirklich? Und weiter: Berücksichtigen wir dieses Wissen in der Diagnostik und Therapie? Es stellt sich primär die Frage: Handelt es sich bei Frauen und Männern um dieselbe Krankheit? Und hier sind Unterschiede in einigen Punkten klar bewiesen. Zum Beispiel ist das klassische Bild der koronaren Herzkrankheit, das heißt der Verkalkung der großen Herzkranzgefäße, für Männer in wesentlich höherem Maß zutreffend als für Frauen. Bei Frauen sind häufig eher die Mikrogefäße befallen. Außerdem treten eher Spasmen der Koronargefäße auf. Allein dieses Faktum des unterschiedlichen Verkalkungsmusters der Koronargefäße führt in der Diagnose zu großen Geschlechtsunterschieden bezüglich Aussagekraft für Frauen und Männer. Es wurde über Jahrzehnte als beste Screeningmethode bei Verdacht auf koronare Herzkrankheit eine Ergometrie durchgeführt und im Falle von klar definierten EKG-Veränderungen eine Herzkatheteruntersuchung empfohlen. Dies war und ist für Männer nach wie vor erste Wahl – aber nicht für Frauen. Bei der Ergometrie werden bei zahllosen falsch positiven Ergebnissen Herzkatheteruntersuchungen empfohlen, die häufig nicht die erwarteten höhergradigen Verkalkungen der großen Herzkranzgefäße darstellen. Daraus ergibt sich das Problem, dass deutlich weniger Ergometrien bei Frauen gemacht wurden und werden und trotz dieser Einschränkung nach wie vor zahlreiche blande Herzkatheterbefunde in der Folge auftreten. Allerdings schützen diese Ergebnisse die Frauen nicht vor Herzinfarkt, ebenso wenig wie die falsch negativen Ergebnisse. Hier bieten sich wohl getrennte Screeningmethoden für Frauen und Männer an, nämlich für Frauen SPECT-Methoden oder Stressechokardiografie. Relativ beliebt ist zwischenzeitlich auch die Koronar-CT, die allerdings bei jungen Frauen wegen der hohen Strahlenbelastung vermieden werden sollte.

Diese Geschlechtsunterschiede bei koronarer Herzerkrankung und Herzinfarkt sollten in den Richtlinien der Fachgesellschaften fix verankert sein. Dazu sind getrennte Guidelines für Diagnose und Therapie von Herzerkrankungen für Frauen und Männer unverzichtbar. Hier ist noch ein großer Nachholbedarf. Es gibt nur ganz vereinzelte geschlechtsspezifische Guidelines, wie von der Amerikanischen Herzgesellschaft (AHA) zum Thema Prävention von koronarer Herzerkrankung für Frauen und die Guidelines für Schwangere der Europäischen Herzgesellschaft ESC. Ich halte es für unverzichtbar, dass in allen Guidelines zu Herzerkrankungen die Geschlechtsunterschiede zwischen Frauen und Männern entsprechend betont und mit darauf fokussierten Empfehlungen behandelt werden.

Prävention

Herztod ist die Haupttodesursache für Frauen und Männer. Üblicherweise sind Frauen stärker für Prävention zu motivieren als Männer. Bei koronaren Herzerkrankungen, Herzinfarktprävention ist dies nicht so deutlich ablesbar, weil Herzinfarkt und Herztod nach wie vor männlich besetzt sind. Hier muss noch sehr viel Aware-nessarbeit bezüglich Frauen und ihrem Herzrisiko geleistet werden.
Die Hauptrisikofaktoren für Herzinfarkt und koronare Herzkrankheit sind für Frauen und Männer dieselben, nämlich Hochdruck, Diabetes, Dyslipidämie, Rauchen, Stress, Bauchfett, Bewegungsmangel und Alkoholismus. Wissenschaftlich sind zu all diesen Punkten durchaus Geschlechtsunterschiede feststellbar, wie etwa, dass Diabetes das Herzrisiko für Frauen wesentlich stärker erhöht als für Männer, dass Rauchen zumindest für junge Frauen ein höheres Risiko darstellt und auch der Rauchstopp für Frauen schwieriger ist, und vieles andere mehr. Mit psychischer Belastung und Stress als anerkannte Risikofaktoren spielt sicher auch eine Rolle, dass Depressionen bei Frauen etwa doppelt so häufig als bei Männern auftreten und dass Frauen stärker von Mehrfachbelastungen, Familie, Kindererziehung, Pflege alter Familienmitglieder und Beruf betroffen sind. Allerdings haben diese Unterschiede keinen Einfluss auf die generellen Präventionsempfehlungen, sodass hier keine Geschlechtsunterschiede im Wesentlichen gemacht werden müssen.

Geschlechtsunterschiede bei koronarer Herzkrankheit, Herzinfarkt

Dass Hormone eine Rolle spielen, wissen wir aus zahllosen Publikationen. So treten in der Schwangerschaft Kardiomyopathien auf, und es hat sich gezeigt, dass die Östrogene eine günstige Wirkung auf koronare Herzerkrankungen haben können. Die Östrogene sind wohl eine der Hauptursachen für das spätere Auftreten der koronaren Herzerkrankung, Herzinfarkte bei Frauen. Viele Studien zeigen auch, dass Schwankungen, Änderungen des Sexualhormonstatus das Herzrisiko erhöhen. Dies trifft für Schwangerschaften, Wechsel, Hormon-behandlungen zu.

Diskussion um Medikamente

Sowohl in der Prävention als auch in der Diagnostik und vor allem Therapie koronarer Herzerkrankung und Herzinfarkt spielen Medikamente eine wesentliche Rolle. Neben Herzerkrankungen waren die nicht getesteten Geschlechtsunterschiede von Wirkung und Nebenwirkung von Medikamenten ein führendes frühes Thema der Gendermedizin. Auch hier entstand eine Diskussion über Herzmedikamente, und zwar über die Physicians’ Study zu Aspirin, eine Studie, bei der Frauen prinzipiell von der Studienteilnahme ausgeschlossen waren. Das für Männer als hilfreich getestete Aspirin wurde auch an Frauen ungetestet verkauft. Hier gab es eine lange Diskussion, die mit dem derzeitigen Stand endete, dass Aspirin für Frauen unter 65 als Prävention nicht empfohlen wird. Diese klaren Empfehlungen fehlen bei den meisten anderen in der Kardiologie verwendeten Medikamenten mit dem Erfolg, dass durch Unverträglichkeiten und Nebenwirkungen viele Frauen demotiviert werden, ihre verschriebenen Medikamente zu nehmen.
So haben auch die Rückrufaktionen der amerikanischen Zulassungsbehörde, die meist auf nicht rechtzeitig erkannte Komplikationen bei Frauen zurückzuführen sind, gezeigt, dass auf dem Gebiet noch Wünsche offen sind. Ein weiterer Punkt ist, dass bei der klinischen Testung die getrennte Testung an Frauen und Männern sowie die getrennte Auswertung vorgeschrieben ist, allerdings nicht in der Grundlagenforschung, wo die Medikamentenentwicklung beginnt. Dies ist wohl der nächste Schritt, dass die Medikamentenentwicklung von der Grundlagenforschung an auf Geschlechtsunterschiede untersuchen sollte, das heißt mit weiblichen und männlichen Mäusen.
Zusammenfassend hat die jahrzehntelange gendermedizinische Forschung auf dem Gebiet koronare Herzkrankheit und Herzinfarkt viele Geschlechtsunterschiede aufgezeigt. Anfangs waren die Studien auf Zugangsunterschiede zur Diagnostik und Therapie fokussiert, dieselben Angebote für Frauen und Männer wurden gefordert. Zwischenzeitlich ist der Forschungsschwerpunkt auf die Unterschiede in der koronaren Herzkrankheit bei Frauen und Männern ausgerichtet – aufgrund der Ergebnisse kann nicht mehr dasselbe Angebot, sondern das bestmögliche für jedes Geschlecht gefordert werden. Hier sind Richtlinien gefragt. Eine Hilfe stellt das im Auftrag der EU erstellte Fact Sheet aus dem GenCAD-Projekt dar, das im Herbst veröffentlicht werden soll und die besonderen Bedürfnisse von Frauen in der Prävention, Diagnostik, Therapie und Rehabilitation von koronaren Herzkrankheiten, Herzinfarkt aufgrund von wissenschaftlichen Ergebnissen, also „evidence-based“, darstellt. Damit haben wir wieder einen Schritt in Richtung maßgeschneiderter medizinischer Angebote für Frauen und Männer, also individualisierte Medizin, getan.