Hypertonie: Relevantes für die Praxis

Die Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Hypertensiologie (ÖGH) befasste sich ausgiebig mit der Diagnose und Therapie von Hypertonie im Spannungsfeld kardiovaskulärer und metaboler Erkrankungen. Nachfolgend sind die für die klinische Praxis bedeutenden Highlights der Tagung in ihrer Kurzform zusammengefasst.

Pulsatile Hämodynamik – Hypertonie bei koronarer Herzerkrankung

Die Tatsache, dass unser Kreislauf durch die Herzfunktion pulsatil ist, ist von fundamentaler Bedeutung für das Verständnis seiner Physiologie und Pathophysiologie. Bei der ÖGH-Jahrestagung Ende November 2016 wurde das gemeinsame wissenschaftliche Statement der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft und der Österreichischen Gesellschaft für Hypertensiologie über Hypertonie und koronare Herzerkrankung vorgestellt. Der wichtigste Punkt des Statements diskutiert die Therapie des Bluthochdrucks bei etablierter koronarer Herzerkrankung. Hier besteht ja das scheinbare Dilemma, dass eine Absenkung des systolischen Blutdrucks vorteilhaft ist (Verminderung des myokardialen Sauerstoffverbrauchs) und eine Absenkung des diastolischen Blutdrucks potenziell ungünstig sein könnte (die Koronardurchblutung findet ja überwiegend in der Diastole statt). Die ungünstigste Situation ist somit ein hoher systolischer und ein niedriger diastolischer Blutdruck. Dies entspricht einer hohen Blutdruckamplitude (einem hohen Pulsdruck) und ist Ausdruck einer steifen Aorta. Tatsächlich konnte man in mechanistischen Studien enge inverse Zusammenhänge zwischen diversen Parametern der pulsatilen Hämodynamik (Gefäßsteifigkeit, Pulswellengeschwindigkeit, Pulswellenreflexionen, Pulsdruck) und der Koronarperfusion belegen, d.h., je steifer die Aorta ist, desto schlechter ist die Koronardurchblutung. Dies gilt schon bei Koronargesunden und natürlich umso mehr, wenn schon Koronarstenosen (KHK) vorliegen. Als Ausdruck dieser Physiologie findet man in Beobachtungsstudien regelmäßig sogenannte J-Kurven, d.h., bei niedrigeren diastolischen Blutdruckwerten (entsprechend erhöhter Steifigkeit der Aorta) treten vermehrt kardiovaskuläre Ereignisse wie Herzinfarkte auf. Dies ist das gegebene Risiko durch die steife Aorta, daraus darf man aber keinesfalls Richtlinien für die Behandlung ableiten, diese können ausschließlich durch randomisierte Studien erhoben werden, bei denen verschiedene Behandlungsstrategien verglichen werden.
In diesen Studien findet man – im Kontrast zu den mechanistischen Beobachtungen – keine J-Kurven-Phänomene. Eine stärkere Blutdrucksenkung war in keiner randomisierten Studie mit einem vermehrten Auftreten von Herzinfarkten verbunden, allerdings waren die Ergebnisse auch nicht immer vorteilhaft, einige Studien ergaben auch ein neutrales Ergebnis. Als konservative Empfehlung hat man sich daher auf einen Blutdruckzielwert bei etablierter KHK und Bluthochdruck < 140/90 mmHg (Office-Blutdruck) geeinigt. Bei ausgewählten Patienten kann auch ein Blutdruckziel< 130 mmHg systolisch (Office-Blutdruck) sinnvoll sein.

Blutdruckkontrolle in Österreich – Status quo

Im Oktober 2015 wurden Daten zur Awareness, Behandlung und Kontrolle von Hypertonie in einem großangelegten Setting in Niederösterreich erhoben. Von insgesamt 239 Apotheken in Niederösterreich beteiligten sich 158 (66%) an der Patientenrekrutierung. Innerhalb eines zehntägigen Erhebungszeitraumes konnten 4.303 Patienten, die eine der Apotheken mit einem Rezept für ein Antihypertensivum aufsuchten, eingeschlossen werden. Beim Studienkollektiv handelte es sich um eine vorwiegend ältere, ländliche Bevölkerung.
Das Durchschnittsalter lag bei 68 Jahren, 53% waren Frauen. Alle eingeschlossenen Patienten standen unter einer bereits etablierten blutdrucksenkenden Therapie. Dies entsprach im Mittel 1,8 Präparaten oder 2,2 Einzelsubstanzen, wenn man Kombinationspräparate in Betracht zog. In Summe erhielten 45% ein modernes Kombinationspräparat. Unter dieser Therapie lag der Blutdruck bei durchschnittlich144/84 mmHg. Bei einem Grenzwert 140/90 mmHg erreichten somit 41% der Patienten das Blutdruckziel. Dies ist ein alarmierender Wert, wenn man bedenkt, dass es sich um ein Idealkollektiv von diagnostizierten, therapierten und vorwiegend therapietreuen Patienten mit hoher Awareness (93%) handelt, die ihre Medikation aktiv aus einer Apotheke beziehen. Der akzeptable Blutdruckdurchschnitt der Gesamtkohorte (144/84 mmHg) täuscht darüber hinweg, dass Patienten mit kontrollierten Blutdruckwerten zwar adäquat eingestellt waren (126/77 mmHg), jedoch die Mehrheit der Patienten das Therapieziel bei durchschnittlich 156/89 mmHg deutlich verfehlte. Bei durchschnittlich 1,8 blutdrucksenkenden Präparaten bestünde ausreichend Spielraum zur Therapieintensivierung.
Basierend auf diesen Daten sollten Disease-Management-Programme auch die Aufmerksamkeit des Arztes zur Therapieintensivierung beleuchten.

ÖGH-Statement zur SPRINT-Studie

Müssen wir die Guidelines umschreiben? Der Systolic Blood Pressure Intervention Trial (SPRINT) untersuchte eine intensive gegenüber einer konventionellen Strategie zur Blutdrucksenkung und entfachte einmal mehr die Diskussion um optimale Blutdruckzielwerte. Es wurden 9.361 Patienten mit einem systolischen Blutdruck (SBD) von zumindest 130 mmHg, erhöhtem kardiovaskulärem Risiko, jedoch ohne Diabetes oder stattgehabtem Insult eingeschlossen. Während des 3,3 Jahre dauernden Beobachtungszeitraumes lagen die durchschnittlich erreichten systolischen Blutdruckwerte bei 122 mmHg im intensiven und 135 mmHg im konventionellen Studienarm. Dies war mit einer signifikanten 25%igen relativen Risikoreduktion des kombinierten primären Endpunktes (Myokardinfarkt, akutes Koronarsyndrom, Insult, Herzinsuffizienz und kardiovaskulärer Tod) zugunsten der intensiven Blutdrucksenkung vergesellschaftet.
Die Implikationen und möglichen Auswirkungen auf künftige Leitlinien werden kontrovers diskutiert: In der SPRINT-Studie wurde im Gegensatz zu vielen anderen „Landmark-Trials“ die Therapie auf Basis einer automatischen Office-Blutdruckmessung (AOBD) modifiziert. Hierbei werden aufeinanderfolgende Messungen in kurzen Intervallen automatisch durch ein oszillometrisches Gerät ausgelöst, und zwar bei Abwesenheit von medizinischem Personal in einem ruhigen Raum (Omron Healthcare, HEM-907). In mehreren unabhängigen Studien konnte gezeigt werden, dass diese Methode mit Tageswerten der ambulanten 24-Stunden-Blutdruckmessung (ABDM) weitgehend vergleichbar und somit einer herkömmlichen, unverlässlichen Praxis-Blutdruckmessung überlegen ist.
Kritiker merken an, dass die im intensiven Behandlungsarm gemessenen Werte(122 mmHg) in etwa einem systolischen Praxis-Blutdruck von 136 mmHg entsprechen könnten, also unweit der gegenwärtigen Empfehlung von < 140 mmHg. Mittlerweile wurde auch die SPRINT-Substudie veröffentlicht, in der 24-Stunden-Blutdruckmessungen durchgeführt wurden. Der 24-Stunden-Durchschnittswert betrug in der intensiv behandelten Gruppe 123/69 mmHg, in der konventionell behandelten Gruppe 134/74 mmHg.
Die ÖGH interpretiert die SPRINT-Studie positiv, da eine höchst valide Messmethode bei einer großen Anzahl von Patienten zum Einsatz kam und viele dieser Patienten beträchtlich vom niedrigeren Blutdruckziel profitierten. Die Art der Blutdruckmessung in der SPRINT-Studie ist mit der herkömmlichen Office-Messung schwer vergleichbar. Als Empfehlung für die herkömmliche Praxismessung kann man „deutlich unter 140 mmHg“ formulieren, als Empfehlung für den Mittelwert der 24-Stundenmessung „deutlich unter 130 mmHg“. Dies gilt für Patienten, die dem SPRINT-Kollektiv entsprechen. Es sei darauf hingewiesen, dass beim Anpeilen dieser Werte eine Weißkittelhypertonie ausgeschlossen bzw. zumindest eine valide Messmethode (AOBD, ABDM oder Heimmessung) verwendet werden sollte.

Steirisches Vorzeigeprojekt „herz.leben“

Bekanntermaßen spielen bei der Therapie von Hypertonien vom Patienten abhängige
Faktoren wie Lifestyle und Compliance eine entscheidende Rolle. Dieses Schulungsprogramm basiert auf einem strukturierten Curriculum, das derzeit nur in der Steiermark auf remunerierter Basis durch die Sozialversicherungsträger angeboten wird. Eingeschlossen werden Hypertoniker mit oder ohne medikamentöser Vortherapie mit Blutdruckwerten von > 160/95 mmHg oder> 140/90 mmHg und einem New Zealand Risk Score (NZRS) von ≥ 15% (also einem erhöhten kardiovaskulären Risiko). Für die Schulung werden Ärzte für Allgemeinmedizin und Fachärzte für Innere Medizin sowie Diabetesberater und Diplom-Krankenschwestern herangezogen, die eine standardisierte Ausbildung absolvieren müssen. Patienten werden in Kleingruppen von sechs bis zehn Patienten in vier Schulungseinheiten zu je 1,5 Stunden innerhalb eines Monats geschult. Die Inhalte des Schulungsprogrammes entsprechen den Empfehlungen der Europäischen Gesellschaft für Hypertensiologie.
Bei > 2.000 Patienten konnten nach einem Jahr Beobachtungsdauer die Blutdruckwerte um –17/–7 mmHg sowie der New Zealand Risk Score um 4% gesenkt werden. Um den isolierten Effekt der Schulungsteilnahme unabhängig von der Betreuungsqualität des Hausarztes evaluieren zu können, wurde eine multizentrische randomisierte Studie initiiert. Die Patienten wurden innerhalb jedes Zentrums in zwei Gruppen randomisiert: Gruppe 1wurde sofort geschult, Gruppe 2 nach sechs Monaten. Somit dienten die spätgeschulten Patienten als Kontrollgruppe, da vorausgesetzt werden kann, dass alle Patienten in einer Ordination dieselbe Betreuung erhalten. Nach sechs Monaten zeigte sich der systolische Blutdruck in der sofort geschulten Gruppe 1 gegenüber Gruppe 2 sowohl in der Ordinationsmessung (142/81 mmHg vs. 150/84) als auch in der Blutdruckselbstmessung(134/80 mmHg vs. 142/82 mmHg) signifikant reduziert. Nach zwölf Monaten waren bereits alle Patienten geschult, wodurch der Unterschied wieder aufgehoben wurde. Aufgrund der Senkung des kardiovaskulären Risikos ist nach ersten Berechnungen davon auszugehen, dass derartige Programme durch die Verhinderung kardiovaskulärer Ereignisse auch kosteneffektiv sind.

 

Literatur bei den Verfassern