Irrungen und Wirrungen

Die Ausgangslage ist nicht gerade rosig: Die ÖGK rechnet für heuer mit einem Minus von 906,7 Millionen Euro. Die Bundesländer als Spitalsträger lagern zunehmend Leistungen in den niedergelassenen Bereich aus. Die Bevölkerung wächst – seit 1996 um 15 % –, und die Zahl der über 65-Jährigen ist in den vergangenen 30 Jahren um 25 % gestiegen. Dazu kommt der medizinische Fortschritt, der zunehmend ambulante Behandlungen ermöglicht. Die Krankenkassen wollen deshalb den niedergelassenen Bereich ausbauen. Das Problem: Die Zahl der Allgemeinmediziner:innen mit Kassenvertrag ist mit rund 3.900 so hoch wie vor 30 Jahren.

Und der Ausbau des niedergelassenen Bereiches geht auch nicht so schnell wie zuletzt erhofft. 100 neue Kassenverträge hatte der damalige Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) Ende 2023 für 2024 versprochen. Die ÖGK meldete im Frühjahr ein steigendes Interesse von Ärzt:innen und rund 300 Bewerber:innen für Kassenverträge. „Wir haben uns vorgenommen, 100 Stellen für Kassenärzt:innen zu schaffen. Jetzt haben wir so viel Interesse geschaffen, dass zusätzlich noch 100 Kassenstellen ausgeschrieben werden“, meinte Nehammer im Jänner 2024 und betonte, dass er bis 2030 insgesamt 800 zusätzliche Kassenstellen anstrebe. Geworden sind es aber offenbar doch deutlich weniger, wie der Dachverband der Sozialversicherungen nun bekannt gab.

Kassen verfehlen ihre Ziele

Im Jahr 2024 wurden demnach 34 neue Einzelordinationen eröffnet, und 7 bestehende Gruppenpraxen wurden erweitert, wodurch insgesamt 39 neue Kassenstellen geschaffen worden sind – 6 davon in der Allgemeinmedizin, der Rest im Bereich der Fachärzt:innen. Zudem konnten 41 Primärversorgungseinheiten (PVE) gegründet und sieben bestehende erweitert werden. Damit erhöhte sich die Gesamtzahl mit Ende des vergangenen Jahres von 56 auf 97. Die Nachfrage bei Ärzt:innen habe sich nicht unbedingt mit den offenen Stellen gedeckt, erklärte die Vorsitzende der Konferenz der Sozialversicherungsträger, Claudia Neumayer-Stickler. Soll heißen: Es gibt weiterhin Fächer und Regionen, für die nur schwer Ärzt:innen zu bekommen sind. Der eingeschlagene Weg bringe dennoch erste Erfolge. Die Angebote würden angenommen. „Es ist aber noch zu früh, um von einer Trendwende zu sprechen“, sagte Neumayer-Stickler. Denn: Die wachsende Konkurrenz und Nachfrage nach Gesundheitspersonal aus dem privaten Sektor sei ebenfalls nicht zu unterschätzen.

Da wird es nicht einfacher, wenn der ÖGK im Gegensatz zu den privaten Krankenversicherungen schlicht das Geld fehlt. Der Stellvertretende Vorsitzende und ÖGK-Obmann Peter McDonald kündigt deshalb ein Finanzkonsolidierungsprogramm an. Verwaltungsrat und Hauptversammlung, die beiden Gremien der Österreichischen Gesundheitskasse, haben einige Maßnahmen beschlossen, die in Summe rund 250 Millionen Euro bringen sollen. Weitere 250 Millionen Euro sollen aus der Erhöhung der Beitragssätze für Pensionist:innen kommen. Die Regierung will zudem die e-card-Gebühr fast verdoppeln. Die Verwaltungskosten der Österreichischen Gesundheitskasse sollen gesenkt werden. Bereits jetzt werden nur 2 % der Beiträge für die Verwaltung aufgewendet. Heuer soll nur jede zweite Pensionierung nachbesetzt werden. Zudem sollen die Investitionen in Verwaltungsgebäude zurückgestellt werden. Thematisieren will McDonald auch, dass ein Drittel der Beiträge in den Spitalsfonds der Bundesländer gehe. Hier wünscht sich McDonald, dass sich die Länder mit 50 % am Ausbau des fachärztlichen Bereichs beteiligen.

Teure Vitamin-D-Tests

Parallel will man Therapien und Leistungen systematisch auf ihre Wirksamkeit und Effektivität überprüfen. Ziel ist es, die Mittel dort einzusetzen, wo sie den größten Nutzen für die Versicherten bringen. Ab 1. Juli wird deshalb für Krankenbeförderungen ein Kostenanteil in Höhe der einfachen Rezeptgebühr, für Krankentransporte die doppelte Rezeptgebühr eingehoben. Dabei werde auf soziale Verträglichkeit geachtet. Zudem wird der Eigenkostenanteil bei orthopädischen Maßschuhen erhöht. Um die Überversorgung bei CT- und MRT-Untersuchungen einzubremsen, soll ein elektronisches Bewilligungssystem bis Ende des Jahres entwickelt werden. Außerdem wird mit den Vertragspartner:innen darüber beraten, ob eine generelle Bestimmung des Vitamin-D-Werts ohne medizinische Indikation weiterhin Teil des Leistungsangebots bleiben soll. „Allein die Vitamin-D-Tests kosten uns 14 Millionen Euro – das sind 10 % der Laborverschreibungen“, sagt McDonald.

Die ÖGK will aber auch direkt mit der Ärzteschaft in Kontakt treten, um Einsparungen zu ermöglichen. Die harten Jahre 2025 und 2026 erforderten es, dass alle einen „fairen Beitrag“ leisten, meint der ÖGK-Arbeitgeberobmann. Deshalb sei der Plan, dass die Honorare für Mediziner:innen nicht mehr steigern dürften als die Beiträge der Kassen. Das wären aktuell 4 % und damit mehr als die Inflation. Insofern ist dieses Vorhaben aus Sicht des Obmanns „keine Zumutung“ für die Mediziner:innen. 2026 soll es eine schwarze Null geben – „inklusive der künftigen Einnahmen und einem vorweggenommenen Verhandlungsergebnis mit den Ärzt:innen.“

Verhandlungen mit Ärzteschaft

Zudem will die ÖGK den Zugang zu fachärztlichen Leistungen und Fachambulatorien wieder stärker steuern. Vor allem mit Anreizen sollen Patient:innen dazu bewegt werden, zunächst zu Allgemeinmediziner:innen zu gehen, sagte ÖGV-Arbeitnehmerobmann Andreas Huss. Eine Pflicht zur Überweisung, wie es früher die Regel war, sei hingegen „jetzt einmal so nicht geplant“, betonte er. „Ich möchte noch nicht von Sanktionen reden, sondern zunächst von Anreizsystemen“, unterstrich er. Wer zunächst zu Hausärzt:innen gehe, dem könne etwa die e-Card-Gebühr erlassen werden. Auch von einer Reduktion der Rezeptgebühr ist die Rede. In Summe soll so das erwartete Minus um 650 Millionen Euro verringert werden.

Vielleicht schon heuer, eher aber 2026 sollen in drei Pilotbundesländern – voraussichtlich Steiermark, Oberösterreich und Salzburg – verschiedene Modelle der Patientenlenkung starten. Mit den Bundesländern und den jeweiligen Ärztekammern will sich Huss zuvor zusammensetzen, um die Modelle gemeinsam zu entwickeln. „Wir sind wild entschlossen, diese Dinge zumindest auszuprobieren“, betonte er. Huss betonte, dass Maßnahmen zur Patientenlenkung bereits im Zuge des Finanzausgleichs mit ÖVP und Grünen vereinbart worden waren und auch im aktuellen Regierungsprogramm von ÖVP, SPÖ und NEOS vorgesehen seien. „Es ist auch kein Sparprogramm und hat nichts mit dem Defizit zu tun.“

Die Maßnahmen würden wohl auch kein Geld sparen, sondern sogar Mehrkosten verursachen. Vielmehr gehe es um einen besseren Einsatz der Ressourcen. Vor allem die Spitäler würden viel Druck für eine solche Steuerung machen. Weiterer erwarteter Vorteil: Durch ein Umschichten Richtung Allgemeinmedizin könnten die Wartezeiten auf Facharzttermine sinken. Eine ÖGK-Auswertung von Arztbesuchen von knapp 50.000 Patient:innen hat ergeben, dass fast 60 % zuerst in die Primärversorgung – also zu Haus-, Frauen- und Kinderarzt – gegangen sind. Nur ein Drittel davon musste zu Fachärzt:innen und Spitalsambulanzen überwiesen werden, während 40 % der insgesamt erfassten Personen gleich direkt dorthin sind.

Das Problem: Es fehlen eben ausreichend Hausärzt:innen. Dr. Harald Mayer, Bundeskurienobmann der angestellten Ärzt:innen und Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK), erklärte deshalb: „Patientenlenkung stimmt mich optimistisch. Unverzichtbar ist dabei aber der Ausbau des niedergelassenen Bereichs sowie die Einbindung der Ärzteschaft.“

In der Wiener Ärztekammer stört man sich an der geplanten Genehmigungspflicht für MRT, CT und möglicherweise Physiotherapie. „Statt gemeinsam Lösungen zu entwickeln, wird medial über Maßnahmen informiert, deren konkrete Ausgestaltung – insbesondere beim elektronischen Bewilligungssystem – völlig unklar ist“, kritisierte die Vizepräsidentin und Kurienobfrau der niedergelassenen Ärzt:innen, Dr. Naghme Kamaleyan-Schmied.

Eine weitere Verlängerung der Wartezeiten für Patient:innen oder gar Leistungskürzungen seien ebenso wenig tragbar wie eine zusätzliche bürokratische Belastung für die Ordinationen. Vielmehr forderte sie eine „angemessene tarifwirksame Erhöhung“, um Ärzt:innen im Kassensystem zu halten. Das Angebot von 4 % auf die Tarife sei „ein erster Schritt und eine konstruktive Grundbasis für ernsthafte Verhandlungen“.