Jetzt ist Feuer am Dach! Den Wiener Spitalsärzten reicht´s

EU-Arbeitszeitgrenzen einhalten!

Der Präsident der Wiener Ärztekammer, Univ.-Prof. Dr. Thomas Szekeres, umreißt den Status quo. „Wir Ärztinnen und Ärzte arbeiten viel, sehr viel. Die durchschnittliche Arbeitszeit pro Woche beträgt laut einer rezenten Umfrage unter den angestellten Wiener Ärzten 54 Stunden, das sind fast elf Stunden durchschnittlich pro Tag bei einer Fünf-Tage-Woche. Bereits in der Ersten Republik wurde in Österreich die 44-Stunden-Woche eingeführt. Wir sind im Jahr 2015, 100 Jahre später, weit davon entfernt. Mit 1. Jänner 2015 wurde für Ärzte die 48-Stunden-Woche eingeführt, nachdem die EU darauf gepocht hat – verpflichtend erst ab 2021. Es hat elf Jahre gedauert, bis dieses EU-Gesetz in Österreich eingeführt wurde, und dies erst nach Aufforderung und Androhung von Strafzahlungen. Wir sollen freiwillig mehr arbeiten, um den gewohnten Betrieb aufrechtzuerhalten, freiwillig weiter elf und mehr Stunden täglich arbeiten, und wen wundert es, dass viele Kollegen eine solche freiwillige Mehrarbeit einfach verweigern? Nicht aus fehlender Empathie mit den Patienten, nicht aus Bequemlichkeit, sondern einfach, weil sie nicht mehr können! Kürzere Arbeitszeiten sind ein Gebot der Stunde. Wir fordern die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitszeitgrenzen!“

Bezahlung nach nationalen und internationalen Maßstäben!

Szekeres kritisiert die Einkommenssituation der Wiener Spitalsärzte: „Wir haben ein verlogenes Honorierungssystem – niedrige Grundgehälter und in Relation höhere Entlohnung für Nachtdienste und Überstunden. Ein Stundenhonorar, das zwischen zehn und 20 Euro lächerlich niedrig ist. Ein Gesamteinkommen weit unter dem Einkommen in Bundesländern wie Niederösterreich, der Steiermark, und sehr viel weniger als in Vorarlberg. Ein Lebenseinkommen, das aufgrund der langen Ausbildung und des späten Einstiegs in den Beruf zu niedrig ist. Wir verdienen auch weit weniger, als in Deutschland oder der Schweiz bezahlt wird. Dies wird durch mehrere Studien belegt und hat bereits konkrete Auswirkungen. Wen wundert es, dass inzwischen nur mehr sechs von zehn Absolventen des Medizinstudiums in Österreich zu arbeiten beginnen. Die anderen verlassen Österreich, weil die Arbeits- und Ausbildungsbedingungen dort besser sind, ganz abgesehen von der besseren Entlohnung. Wir fordern eine Bezahlung der Wiener Spitalsärzte nach nationalen und internationalen Maßstäben sowie Grundgehälter auf Basis einer 40-Stunden- Woche!

Attraktive Arbeitszeit – Modelle für Vereinbarung von Beruf und Familie

Verschärft werde das Problem des Ärztemangels durch die Tatsache, dass die Babyboomer-Generation in den nächsten Jahren in Pension gehen wird. „Es kommen weniger Ärzte nach, und die nachkommende Generation, bereits weit mehr als 50% Frauen, sind schlicht nicht mehr bereit, auf Familie, Ruhezeit und Freizeit zu verzichten. Arbeitszeiten, die es erlauben, Beruf und Familie zu vereinbaren, sind ein Gebot der Stunde!“, so Szekeres. „Auch ist es inzwischen nicht mehr so, dass man jahrelang auf eine Ausbildungsstelle warten muss. Die Jungen sind mobiler geworden und gehen viel lieber auch in andere Bundesländer oder ins Ausland. Der Mangel an Ärztinnen und Ärzten wird sich verschärfen, und gleichzeitig kommen viele Menschen aus der Bevölkerung in ein Alter, in dem sie anfälliger für Krankheiten werden. Wir sollten auch hier reagieren. Auch hier ist es ein Gebot der Stunde, die Arbeitsbedingungen so zu verbessern, dass die Beschäftigung als Ärztin oder Arzt attraktiv wird. Attraktiv in jeder Hinsicht, insbesondere, damit die Jungen in Österreich bleiben und nicht abwandern.“

Anerkennung der gesetzlichen Standesvertretung als Verhandlungspartner

Szekeres: „Die Politik, rot wie schwarz, ist der Meinung, dass wir bei Gesundheitsreformen nicht mitreden sollten. Weil wir nicht die Zahler sind, heißt es. Ihnen sei gesagt: Die Zahler sind alle Österreicher, und insbesondere die Ärzte, sie zahlen mit ihrer Lebenszeit, dem Wertvollsten, was wir haben, und mit ihrer eigenen Gesundheit – ein wahrlich teurer Preis. Da werfen uns von der Politik eingesetzte Patientenanwälte vor, Fehler zu machen, korrupt und nur auf unseren Vorteil bedacht zu sein, aber nicht an unsere Patienten zu denken. Ich sage, diese Patientenanwälte vertreten nicht die Interessen der Patienten. Wenn sie das täten, hätten sie schon längst unsere überlangen Arbeitszeiten und die widrigen Arbeitsbedingungen, bei denen wir nicht selten – im Interesse unserer Patienten – improvisieren müssen, kritisiert!“
Wirkliche Reformen seien kaum möglich, da Länder, Bund und Sozialversicherungen ihre Macht nicht teilen möchten und so evidente Fehlentwicklungen und Missstände abstreiten oder schlicht gut inszeniert Halbwahrheiten verbreiten. „So stimmt es weder, dass die Ausgaben für Gesundheit in Österreich explodieren und deshalb gedeckelt werden müssen, noch, dass die Krankenkassen durch gutes Wirtschaften derselben saniert worden sind. Selbstverständlich sind wir Experten, nicht nur, was die Gesundheit betrifft, sondern auch, was das System betrifft. Viel zu wenig schauen wir auf Eigeninteressen, sondern haben ausschließlich das Patientenwohl im Fokus. Sonst wäre es nicht möglich, dass Ärztinnen und Ärzte bis zu 100 und mehr Stunden pro Woche arbeiten, und das unter widrigen Bedingungen und für ein Stundenhonorar, das lächerlich niedrig ist. Wir fordern Wertschätzung auch durch die verantwortlichen Politiker und Manager anstatt polemischer Kommentare.“

Es gibt kein Konzept – ein Skandal!

Der Vizepräsident der Wiener Ärztekammer und Obmann der Kurie angestellte Ärzte, Dr. Hermann Leitner, ergänzt: „Die Umsetzung der europäischen Arbeitszeitvorgaben erfolgt um Jahre zu spät, und die Verantwortlichen haben es verabsäumt, sich rechtzeitig um eine Lösung zu bemühen, sie haben den Kopf in den Sand gesteckt. Das ist der eigentliche Skandal: dass es kein Konzept gibt! Leider bekommen das Mediziner wie Patientinnen und Patienten zu spüren. Wir sind bemüht, rasch eine Einigung zu erzielen, damit die Auswirkungen im Rahmen bleiben, aber bisher gibt es keinerlei wirklich brauchbare Angebote der politisch Verantwortlichen. Denn es ist schlichtweg unzumutbar sowie auch unseren Patienten gegenüber grob fahrlässig, dass wir mehr als 60 Stunden pro Woche arbeiten, wir aber gleichzeitig mit der Reduktion der Arbeitszeit auf Lohn verzichten sollen. Es braucht dringend eine dauerhafte Lösung bei Ärztearbeitszeiten. Bis es eine Einigung gibt, kann es zu massiven Leistungseinschränkungen kommen.“ Er fordert auch den Ausbau der niedergelassenen Versorgung sowie die Erweiterung der Notversorgung außerhalb des Spitals.
„Bislang konnte noch nirgendwo eine endgültige Lösung gefunden werden. Wir sehen, dass die Stimmung von Tag zu Tag schlechter wird. Es ist bereits fünf vor zwölf. Wenn die Verhandlungen nicht bald zu einer Einigung führen, können vorübergehende Maßnahmen wie temporale Betriebsvereinbarungen oder Durchrechnungszeiträume die bedrohliche Situation in den Spitälern nicht mehr kaschieren, und dann sind großflächige Versorgungsengpässe für die Patienten eine sichere Tatsache.“
Was auch in diesem Zusammenhang fehlt: „Die Wertschätzung der Ärzte durch die verantwortlichen Manager, Berater und Politiker. Das muss sich ändern. Wir haben glasklare Forderungen – wenn sie nicht umgesetzt werden, drohen die Verhandlungen zu platzen. Selbstverständlich werden auch wir flexibel sein müssen, aber primär müssen sich die Dienstgeber bewegen!“

 

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