Kein Tumor gleicht dem anderen

Lungenkrebs zählt zu den häufigsten Krebserkrankungen und steht – was die Mortalität betrifft – mit 4.136 Todesfällen im Jahr 2023 in Österreich an erster Stelle.1 Der wichtigste Risikofaktor ist das Rauchen, das mediane Erkrankungsalter liegt bei 67 bis 69 Jahren.2, 3
Etwa 12–15 % der Lungenkarzinome werden dem kleinzelligen Lungenkrebs (SCLC, Small Cell Lung Cancer) zugeordnet. Aufgrund der hohen Zellteilungsrate und raschen Progredienz liegen hier bei 71 % der Neuerkrankungen bereits Fernmetastasen vor, die relativen 5-Jahres-Überlebensraten liegen nur bei 8,2%. Die im Vergleich zum nichtkleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC, Non-Small Cell Lung Cancer) deutlich schlechtere Prognose ist einerseits durch die hohe Rezidivrate und andererseits durch das Fehlen von therapierelevanten Treibermutationen erklärbar.3 Beim NSCLC haben Adenokarzinome in der Regel eine etwas bessere Prognose als Plattenepithelkarzinome.2

Früherkennung

In der großen niederländisch-belgischen NELSON-Studie wurde nachgewiesen, dass die Lungenkrebs-Mortalität durch Screenings mittels Low-Dose-CTs bei über 15.000 Hochrisikopersonen im Alter zwischen 50 und 74 Jahren signifikant gesenkt werden konnte. Bei den Männern konnte die Mortalität (nach 10 Jahren Follow-up) durch das Screening um 24 % reduziert werden, die Frauen profitierten mit einer Senkung des Risikos um 33 % sogar noch mehr davon.4 Auch rezente Daten eines Krebsregisters aus Taiwan sprechen für ein Lungenkrebsscreening: Die 5-Jahres-Überlebensrate konnte nach Einführung eines Low-Dose-CT-Screenings im Jahr 2015 von 22,1 % im Zeitraum 2006–2011 auf 54,9% im Zeitraum 2015–2020 gesteigert werden. Diese deutliche Verbesserung der Überlebensrate ist überwiegend auf den „stage shift“ von fortgeschrittenem zu lokalisiertem, potenziell heilbarem Krebs zurückzuführen. Seit der Einführung des Screenings sind die Karzinome von Stadium III/IV von 70,9 % auf 33,8% zurückgegangen.5

Ein Lungenkrebsscreening als Früherkennungsprogramm für Risikopersonen ist im deutschsprachigen Raum bisher noch nicht implementiert.2 Es gibt in Österreich aber eine Taskforce, die an der Umsetzung eines solchen arbeitet. Die Schwierigkeiten liegen hier noch bei der Definition der Risikogruppe (Raucher:innen/Ex-Raucher:innen, Altersgrenze etc.), der Logistik und der Handhabe der weiteren Abklärung. Wird im CT ein auffälliger Rundherd gefunden, zieht das eine invasive Diagnostik (bronchoskopisch oder CT-Punktion) nach sich, was für die Patient:innen ein belastender Eingriff ist – abgesehen von der psychischen Herausforderung. Auch die Kostenfrage ist nicht vollständig geklärt. In jedem Fall sollte ein Screening mit einer Raucherentwöhnung einhergehen.

Diagnostik und Staging

Die Standarddiagnostik zur Histologiegewinnung erfolgt je nach Lage des Tumors durch eine Probenentnahme mittels Bronchoskopie oder CT-gestützter Punktion. Die Stadieneinteilung und Klassifikation basiert auf dem TNM-System sowie den UICC-(Union-for-International-Cancer-Control-)Kriterien und richtet sich nach der Größe und Ausdehnung des Tumors (T1–4) sowie der Abwesenheit (N0) bzw. Vorhandensein (N1–3) von Lymphknotenmetastasen und Fernmetastasen (M0/M1). Sind Fernmetastasen vorhanden (M1), handelt es sich um Stadium IV. Jedes Stadium wird abhängig von der TNM-Klassifikation in mehrere Unterstadien unterteilt.2, 3 Das SCLC wurde anhand der im Jahr 1957 entwickelten Klassifikation der Veterans Administration Lung Study über viele Jahrzehnte in „limited disease“ (örtlich begrenzter Tumor mit oder ohne Lymphknotenbeteiligung) und „extensive disease“ (jede Ausbreitung über „limited disease“ hinaus) unterteilt, wobei heute die differenziertere Einteilung anhand der TNM-/UICC-Klassifikation empfohlen wird (in der Beschreibung der Therapieoptionen wird diese Bezeichnung allerdings beibehalten).3

Nach gesicherter Diagnose eines primären Lungenkarzinoms soll eine gezielte Ausbreitungsdiagnostik (Staging) erfolgen. Die weiterführende Diagnostik beinhaltet ein Hals-Becken-CT, ein PET-CT und ein Schädel-MRT, je nach Situation können noch weitere ergänzende Untersuchungen wie Oberbauchsonografie oder Skelettszintigrafie zum Einsatz kommen. Das NSCLC kann in fast alle Körperregionen metastasieren, am häufigsten betroffen sind die Lunge selbst mit ipsi- oder kontralateralen Metastasen, weiters Skelett, Leber, Nebennieren und das ZNS.

Molekulare Testung beim NSCLC

Ab Stadium IB ist beim NSCLC die Testung auf molekulare Marker für die Therapiestratifizierung unverzichtbar, wobei in den operablen Stadien derzeit zumindest auf ALK-Translokationen, EGFR-Mutationen und PD-L1-Expression getestet werden muss.2
Im Stadium IV muss bei allen Patient:innen Upfront am gewonnenen Gewebe und vor Beginn einer medikamentösen Erstlinientherapie eine umfangreiche Testung auf alle therapierelevanten genetischen Aberrationen (Tab.) erfolgen.

Wenn nicht genügend Material vorhanden ist oder eine Biopsie aufgrund des Punktionsrisikos nicht möglich ist, kann alternativ auch eine Liquid Biopsy durchgeführt werden.
Aktuell wird auch für operable Stadien eine umfassende Testung wie im Stadium IV diskutiert. Hintergrund ist die zunehmende Evidenz, dass nicht alle Patient:innen mit Treibermutationen von einer perioperativen Immun- oder Immunchemotherapie profitieren und die zielgerichtete Therapie auch im kurativen Setting einen immer wichtigeren Stellenwert erlangt.2 In den meisten Zentren erfolgt mittlerweile unabhängig vom Tumorstadium eine Reflextestung, sodass zum Zeitpunkt der Therapieentscheidung alle relevanten molekularen Marker vorliegen.

Therapie beim NSCLC: ein Überblick

Die Therapieoptionen umfassen Operation, Bestrahlung sowie systemische Therapie und werden häufig in einem multimodalen Konzept kombiniert. Frühe und ein Großteil der lokal fortgeschrittenen Stadien des NSCLC haben einen kurativen Therapieanspruch. Der Einsatz von Immun-Checkpoint- und Kinase-Inhibitoren hat die Prognose der Patient:innen sowohl im frühen als auch im metastasierten Setting deutlich verbessert.2

Die Wahl der Behandlung hängt vorwiegend vom Tumorstadium unter Berücksichtigung des Allgemeinzustandes, der Lungenfunktion, der Komorbiditäten und des Patientenwunsches ab. Wichtig ist, dass jede:r Patient:in mit Lungenkarzinom bei Diagnosestellung und Vorliegen aller relevanten Staging-Untersuchungen in einem interdisziplinären Tumorboard besprochen wird. An diesem Tumorboard (auch Tumorkonferenz genannt) nehmen Fachärzt:innen aller relevanten betreuenden Abteilungen wie Onkologie, Pneumologie, Thoraxchirurgie, Strahlentherapie, Pathologie, Radiologie und Nuklearmedizin teil. Auf Basis der aktuellen Leitlinien wird so für jede:n Patient:in ein individuell angepasster Therapieplan erstellt.2

Kurative Therapiestrategien

Der Therapieanspruch des NSCLC im Stadium I und II ist kurativ. Das Stadium III umfasst eine sehr heterogene Patientengruppe; ist der Tumor lokal begrenzt und der/die Patient:in für eine intensive Therapie fit genug, kann auch hier ein kurativer Therapieanspruch bestehen. Wenn keine Kontraindikationen vorliegen, ist die Operation die Therapie der Wahl. Standard ist die Lobektomie, bei Tumoren ≤ 2 cm Durchmesser ist die Segmentresektion eine Alternative. Bei funktionell nichtoperablen Patient:innen kann alternativ zur Operation eine Strahlentherapie zum Einsatz kommen.2

Ein Meilenstein der letzten Jahre ist die Integration der kombinierten Chemoimmuntherapie bei den kurativen Stadien. Klinische Studien6, 7 haben gezeigt, dass die Immuntherapie besser wirksam ist, wenn sie bereits neoadjuvant (vor der Operation) eingesetzt wird, da durch noch vorhandene Tumorantigene eine stärkere Immunantwort ausgelöst wird. Zusätzlich kann auch eine konsolidierende Immuntherapie postoperativ für ein Jahr verabreicht werden.

Im sehr heterogenen Stadium III kann abhängig von Tumorgröße und Lymphknotenbeteiligung eine neoadjuvante Chemoimmuntherapie gefolgt von der Operation oder – bei Inoperabilität – eine definitive Radiochemotherapie mit konsolidierender Immuntherapie zum Einsatz kommen. Hier ist die interdisziplinäre Diskussion im Tumorboard besonders essenziell, um für jede:n Patient:in die bestmögliche Entscheidung zu treffen.

Auch zielgerichtete Therapien sind schon in den frühen Krankheitsstadien angekommen: Bei Patient:innen mit EGFR-Mutation zeigte der Tyrosinkinasehemmer Osimertinib als adjuvante Therapie nach der Operation eine signifikante Verbesserung des krankheitsfreien Überlebens und reduzierte das Rezidivrisiko deutlich.8 Auch bei Patient:innen mit inoperablem Stadium III hat Osimertinib einen deutlichen Benefit gezeigt: Eine Konsolidierung mit Osimertinib nach abgeschlossener platinbasierter Chemoradiotherapie führte zu einer signifikanten Verlängerung des progressionsfreien Überlebens.9 Bei Patient:innen mit vollständig reseziertem ALK-positiven NSCLC (Stadium IB–IIIA) war die adjuvante Therapie mit Alectinib einer platinbasierten adjuvanten Chemotherapie deutlich überlegen.10

In seltenen Fällen kann sogar im Stadium IV bei oligometastatischer Erkrankung ein kurativer Therapieansatz in Frage kommen. Das ist dann der Fall, wenn eine begrenzte Anzahl an Metastasen vorliegt.

Palliative Therapiestrategien

Mehr als die Hälfte aller NSCLC wird im Stadium IV diagnostiziert, für die Mehrheit der Patient:innen besteht kein kurativer Therapieanspruch. Die Therapie im palliativen Stadium ist in erster Linie davon abhängig, ob eine Treibermutation vorhanden ist oder nicht (Tab.). Therapiestandard bei Patient:innen ohne genetische Aberrationen sind Immun-, Immunchemo- und Chemotherapie. Für den Einsatz einer Immuntherapie (vgl. Kasten) ist der PD-L1-Status von Bedeutung. Liegt dieser bei ≥ 50 %, kann eine Immuntherapie allein erfolgen. Die Entscheidung über eine Monoimmuntherapie oder eine Immunchemotherapie hängt unter anderem von der Tumorlast, den Komorbiditäten, der Höhe der PD-L1-Expression und der Eignung für eine platinbasierte Chemotherapie ab.2

Bei Vorliegen einer therapierelevanten Treibermutation kommt eine zielgerichtete Therapie zum Einsatz. Sie ist das Paradebeispiel für eine personalisierte Medizin und stellt eine effektive und gut verträgliche Behandlungsoption für die Patient:innen dar. Mittlerweile stehen für jede Mutation mehrere Medikamente zur Verfügung, auch Kombinationstherapien kommen zum Einsatz. Es ist wichtig zu betonen, dass die Testung auf molekulargenetische Mutationen vor Beginn einer Therapie vorliegen muss.

Nachsorge

Nach kurativer Therapie sind regelmäßige Kontrollen mit Anamnese, körperlicher Untersuchung und Thorax-Becken-CT zur frühzeitigen Diagnose eines Rezidivs oder Zweitkarzinoms einzuhalten.2, 3 Nach alleiniger Strahlen- oder nach Radiochemotherapie soll die Lungenfunktion bis zum Ende des Pneumonitisrisikos (nach 2 Jahren) überprüft werden. Besteht ein hohes Risiko für zerebrale Metastasen, sollten auch Schädel-MRTs in das Nachsorgekonzept integriert werden. Auch im palliativen Setting kommt der Nachsorge eine wichtige Bedeutung zu, da bei Krankheitsprogress eine frühzeitige Einleitung einer Zweitlinientherapie zu erfolgen hat. Die Nachsorge muss in jedem Fall strukturiert – basierend auf dem Stadium und der Risikosituation – erfolgen.2

Um somatische und psychosoziale Folgestörungen der Therapie zu lindern, sollten sich Patient:innen einer ambulanten oder stationären Rehabilitation, optimalerweise in einer Rehabilitationsklinik mit onkologischem Schwerpunkt, unterziehen.2, 3 Ein weiterer wichtiger Punkt in der Nachsorge betrifft die Raucherentwöhnung, diese muss auch in der Nachsorge beibehalten werden; das Risiko für ein Rezidiv oder Zweitkarzinom bei anhaltendem Nikotinabusus ist hoch.

Blick in die Zukunft

Antibody-Drug Conjugates (ADCs) gewinnen zunehmend auch beim NSCLC an Bedeutung. Hier transportieren Antikörper ein Zytostatikum direkt zur Tumorzelle und führen so zu einer gezielten Zerstörung. Jedoch konnten nicht alle positiven Ergebnisse in Phase-III-Studien bestätigt werden. In Zukunft könnten Kombinationstherapien aus ADCs und einer Chemotherapie oder mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren eingesetzt werden.

Beim SCLC zeigen bispezifische Antikörper vielversprechende Ergebnisse. Bei dieser neuen Form der Immuntherapie binden Antikörper gleichzeitig an Antigene auf den Tumorzellen sowie an CD3 auf T-Zellen und führen so zu einer zielgerichteten Immunantwort.

Der Einsatz künstlicher Intelligenz wird in der onkologischen Diagnostik zunehmend relevant. Besonders im Bereich der Früherkennung kann KI-gestützte Software eine wertvolle Unterstützung für Radiolog:innen darstellen. Auch in der digitalen Pathologie könnten KI-Modelle dazu beitragen, morphologische Veränderungen effizienter zu klassifizieren und als unterstützendes Werkzeug zur Qualitätssicherung und Befundvalidierung fungieren. Hinsichtlich des Einsatzes von KI in der Therapieentscheidung überwiegt aktuell noch die Skepsis. Die Wahl einer geeigneten Therapie beim Lungenkarzinom erfordert eine Vielzahl individueller Abwägungen – darunter Komorbiditäten, Allgemeinzustand und Präferenzen der Patient:innen. Diese komplexen Entscheidungsprozesse lassen sich aus heutiger Sicht nur begrenzt durch algorithmische Systeme abbilden; es bleibt abzuwarten, inwieweit sich die KI künftig in die onkologische Therapieentscheidungsfindung integrieren lässt.