Die Forschung zeigt, dass zwischen Frauen und Männern klare Unterschiede in der Lebergesundheit und -erkrankung bestehen. Die Untersuchung von geschlechtsspezifischen Unterschieden bei der Vorbeugung, Präsentation, Diagnose und Behandlung von Krankheiten ist entscheidend für die Verbesserung der gesundheitlichen Ergebnisse für alle – und Lebererkrankungen sind keine Ausnahme. Dieser Überblick soll die wichtigsten derzeit bekannten Geschlechtsunterschiede bei Lebererkrankungen darstellen.
Autoimmunerkrankungen treten allgemein bei Frauen viel häufiger auf als bei Männern, einschließlich solcher, welche die Leber betreffen. So erkranken Frauen 10-mal häufiger an einer primär biliären Zirrhose (PBC) als Männer und 4-mal häufiger an Autoimmunhepatitis. Die genauen Gründe für diese unterschiedliche Prävalenz von Autoimmunerkrankungen der Leber sind nicht bekannt, es wird jedoch angenommen, dass Sexualhormone eine Rolle spielen, da sie die Genexpression beeinflussen und die Funktion von Immunantwort-Rezeptoren bestimmen können.
Im Fall von PBC haben epidemiologische Studien auch unterschiedliche Umweltrisikofaktoren zwischen den Geschlechtern gezeigt, wie beispielsweise die Verwendung von Haarfärbemitteln, rezidivierende Harnwegsinfektionen, Rauchen und Östrogenmangel, die alle zu einer erhöhten Erkrankungsrate bei Frauen beitragen können. Bei PatientInnen mit PBC ist das Gesamtüberleben bei beiden Geschlechtern ähnlich. Die PBC tritt bei Frauen in jüngerem Alter mit erhöhter Neigung zu Juckreiz auf und scheint eine langsamere Fibroseprogression zu haben als bei Männern. Bei PatientInnen mit Autoimmunhepatitis kommt es – insbesondere unbehandelt – bei einer Progression zur Zirrhose. Therapieversagen und Tod durch Leberversagen sind bei Männern und Frauen gleich.
Bei Frauen kommt es seltener zu einer primär sklerosierende Cholangitis (PSC), über 60 % der PatientInnen mit PSC sind männlich. Das Geschlecht ist aber kein unabhängiger Risikofaktor für die Mortalität bei PSC, obwohl eine Studie ergab, dass Cholangiokarzinome bei Männern häufiger auftraten.
Es gibt geschlechtsspezifische Unterschiede in der Inzidenz sowohl gutartiger als auch bösartiger Lebertumoren. Während die Mehrzahl der gutartigen Lebertumoren (z. B. kavernöse Hämangiome, fokale noduläre Hyperplasien [FNH], Leberadenome, biliäres Zystadenome und solitäre Leberzysten) häufiger bei Frauen vorkommt, treten bösartige Tumoren öfter bei Männern auf. Das hepatozelluläre Adenom – ein seltener gutartiger Tumor – tritt hauptsächlich bei Frauen im gebärfähigen Alter auf und wird mit der Anwendung oraler Kontrazeptiva in Verbindung gebracht, was erneut darauf hinweist, dass Sexualhormone eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung dieser Tumoren spielen.
Das hepatozelluläre Karzinom (HCC) ist der häufigste primäre bösartige Tumor der Leber und betrifft Männer 3–4-mal häufiger als Frauen. Daten aus Überwachungsprogrammen und epidemiologischen Studien sowie die Krebsstatistikdatenbank zeigten, dass die jährliche Inzidenzrate für Männer 6,7 pro 100.000 Jahre betrug, verglichen mit 2,0 pro 100.000 Jahre für Frauen. Interessanterweise tritt die höchste Inzidenz bei Frauen 2 Jahrzehnte später auf als bei Männern (4,4 pro 100.000 Jahre im Alter von 65 bis 69 Jahren gegenüber 4,2 pro 100.000 Jahre im Alter von 45 bis 49 Jahren).
Alkohol beeinflusst den Körper von Frauen anders als den von Männern – beispielsweise haben Frauen im Allgemeinen weniger Wasser im Körper als Männer, wodurch der proportionale Alkoholspiegel im Blut höher ist. Zudem produzieren sie eine geringere Menge an alkoholabbauender Alkoholdehydrogenase.
Während Männer aufgrund der höheren Rate von Alkoholmissbrauch häufiger an einer alkoholischen Lebererkrankung erkranken, zeigen Frauen mit dieser Diagnose ein schnelleres Fortschreiten zur Fibrose/Zirrhose. Eine 12-jährige prospektive Studie zum Alkoholkonsum mit über 13.000 Teilnehmern in Dänemark zeigte, dass das Risiko für die Entwicklung einer alkoholbedingten Lebererkrankung bei Frauen, die 7 bis 13 Getränke pro Woche (84–156 g) konsumierten, vergleichbar war mit Männern, die 14 bis 27 Getränke pro Woche (168–324 g) konsumierten. Bei Personen, die 28 bis 41 Getränke pro Woche konsumierten (336–492 g), war das relative Risiko einer alkoholinduzierten Zirrhose 7-fach bei Männern versus 17-fach bei Frauen.
Der Alkoholkonsum von Frauen hat zugenommen: Ein Bericht aus dem Jahr 2017 zeigte einen Anstieg des Alkoholmissbrauchs bei Frauen von 2001 bis 2012 um fast 84 %, verglichen mit einem Anstieg von 35 % bei Männern. Eine andere Studie zeigte einen Anstieg der alkoholbedingten Zirrhose bei Frauen von 2009 bis 2015 um 50 % im Vergleich zu einem Anstieg von 30 % bei Männern. Darüber hinaus sind Frauen anfälliger für arzneimittelinduzierte Leberschäden und akutes Leberversagen. In einer Studie machten Frauen mehr als 70 % der PatientInnen aus, die mit akuter Leberschädigung aufgrund von Paracetamol (in suizidaler Absicht) und auch unbeabsichtigten Arzneimittelwirkungen ins Krankenhaus eingeliefert wurden. Das Geschlecht ist jedoch kein Prädiktor für das Überleben bei akutem Leberversagen. ForscherInnen vermuten, dass das weibliche Überwiegen arzneimittelinduzierter Leberschäden mit geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Expression von Genen zusammenhängen könnte, welche die metabolische Funktion und Pathophysiologie der Leber beeinflussen.
Die Daten zu Geschlechtsunterschieden bei nichtalkoholischer Fettlebererkrankung (NAFLD) sind widersprüchlich. Einige Studien fanden heraus, dass Frauen weniger häufig von NAFLD betroffen sind. NAFLD wurde in diesen Untersuchungen am häufigsten bei Männern und postmenopausalen Frauen, die keine Hormonersatztherapie (HRT) erhalten hatten, diagnostiziert. Dies deutet erneut auf die Rolle der Sexualhormone in der Pathogenese hin. In einer bevölkerungsbasierten Querschnittsstudie (4.338 Frauen im Alter von 20 bis 60 Jahren) hatten Frauen unter oraler Kontrazeption eine um 50 % niedrigere Wahrscheinlichkeit für NAFLD als Frauen, die nie eine hormonelle Kontrazeption verwendet hatten (nach Korrektur für Alter, Ethnizität, Raucherstatus, Diabetes oder Bluthochdruck in der Vorgeschichte und Ausbildung). Nach Korrektur für BMI und Taillenumfang schwächte sich die Korrelation allerdings ab.
Frauen erkranken häufiger an einer akuten Hepatitis-C-Virus-(HCV-)Infektion als Männer. Laut Studien tritt jedoch die Progression zu einer schweren Lebererkrankung seltener auf als bei Männern. Das Hepatitis-B-Virus (HBV) betrifft Männer und Frauen gleichermaßen. Das männliche Geschlecht ist jedoch ein Risikofaktor für die Reaktivierung einer HBV-Infektion auch nach einer bereits erfolgten Serokonversion von Hepatitis-B-e-Antigen und für die Entwicklung von Zirrhose und HCC.
Hier gibt es nur begrenzte Daten zu Geschlechtsunterschieden. In einer Kohortenstudie mit 627 konsekutiven PatientInnen mit Morbus Wilson waren Frauen insgesamt weniger wahrscheinlich von der Krankheit betroffen (47 % vs. 53 %). Sie zeigten jedoch häufiger als Männer eine hepatale Erkrankung (58 % bzw. 42 %). Es scheint keinen Geschlechtsunterschied bei der Inzidenz genetischer Hämochromatose zu geben; Männer haben jedoch höhere Ferritin- und Transferrinsättigungswerte als Frauen, was durch den „natürlichen“ Blutverlust im Rahmen der Menstruation zu erklären ist. Beim Krankheitsphänotyp der hereditären homozygoten C282Y-Hämochromatose weisen 28 % der Männer eine symptomatische Eisenüberladung auf, verglichen mit 1 % der Frauen.
Laut einer Analyse des National Center for Health Statistics aus dem Jahr 2005 sterben Männer doppelt so häufig an chronischen Lebererkrankungen und Zirrhose als Frauen. Frauen machen etwa 30 % der Empfänger von Lebertransplantation
en aus. Das Modell für Lebererkrankungen im Endstadium (MELD) berücksichtigt mehrere Faktoren, um die Priorität von PatientInnen auf der Organtransplantationsliste festzulegen. Es gibt jedoch bestimmte biologische Unterschiede, die Frauen bei diesem Bewertungssystem benachteiligen können. So verschafft beispielsweise der beim Mann natürlich höhere Kreatinin-Spiegel den Männern einen Vorteil. Tatsächlich hat die Ungleichheit bei den Transplantationsraten für Frauen in der MELD-Ära zugenommen, und das Mortalitätsrisiko für Frauen auf der Warteliste ist gestiegen. Auch stehen insgesamt weniger kleine Lebern für die Transplantation zur Verfügung, da Männer eher riskante Verhaltensweisen zeigen, die zur Organspende führen.
Ein besseres Verständnis dafür, wie sich Geschlechtsunterschiede auf die Gesundheit und Erkrankung der Leber auswirken, ist entscheidend, um eine individualisierte Gesundheitsversorgung und eine fundierte Entscheidungsfindung für alle PatientInnen zu erreichen. Es bedarf weiterer Forschung zu den verschiedenen Möglichkeiten, wie das Geschlecht die Präsentation, Vorbeugung, Diagnose und Behandlung von Lebererkrankungen beeinflussen kann. In Zukunft könnte die bessere Kenntnis der geschlechtsspezifischen Merkmale von Lebererkrankungen auch die Erstellung von Prognosescores und die therapeutischen Entscheidungen beeinflussen.