Neurokognitive und emotionale Störungen nach Schlaganfall

Nach einem Schlaganfall kommt es sehr häufig zu Störungen der intellektuellen Kapazität, des Auffassungsvermögens und vor allem der Reaktionsschnelligkeit im Denken und Sprechen. Auch Gefühlsstörungen, vor allem Depressionen sind häufig. Da Depressionen mit Medikamenten heute gut behandelbar sind, sollen sie hier nicht weiter ausgeführt werden. Hingegen werden Ausmaß und Therapie von neurokognitiven Störungen erst seit wenigen Jahren erforscht. Typischerweise zeigt sich, dass viele Störungen der Kognition, die auch mit Störungen der Persönlichkeit und des Verhaltens einhergehen, nicht sofort, oder etwa bei der Entlassung aus dem Akut-Krankenhaus, erkennbar sind, sondern oft viele Wochen oder gar Monate danach diagnostiziert werden. Angehörige bemerken als Erste das veränderte Verhalten. Neurokognitive Störungen können auch nach kleineren Schlaganfällen auftreten. Dabei kommt es zu einer psychomotorischen Verlangsamung und zu einer Abnahme der Flexibilität im Verhalten. Beispielsweise betrifft das die Fähigkeit zur Konzeptumstellung: Wenn also ein Patient von einem Angehörigen erfährt, dass man jetzt nicht zuerst in die Apotheke und dann zum Supermarkt fahren möchte, sondern umgekehrt, zuerst zum Supermarkt, wird dies oft nur schwer akzeptiert. Der Betroffene reagiert dann in übertriebener Weise ungehalten und vorwurfsvoll. Angehörige berichten oft, dass der Betroffene früher keinesfalls so ungeduldig und schwer lenkbar gewesen wäre, dies hätte sich allmählich nach dem Schlaganfall eingestellt.

Neurokognitive Störung – dysexekutives Syndrom

Häufig ist ein ungeduldiges und aufbrausendes Verhalten, seltener ein grundloses Lachen und pseudohumoriges Witzeln. Man nennt diese neurokognitive Störung „dysexekutives Syndrom“. Man kann dieses Verhalten mit Psychopharmaka, besonders mit milden Neuroleptika eindämmen, allerdings wird dies oft wegen der sedierenden Effekte abgelehnt. Wenn aber das dysexekutive Verhalten nicht so ausgeprägt ist, akzeptieren das die Angehörigen und stellen sich im Alltag darauf ein. Sie sagen, der Patient sei eben eine „Karikatur seiner früheren Persönlichkeit“ geworden. Damit ist eine gewisse Vergröberung von Charaktereigenschaften gemeint, die zwar früher auch nicht liebenswert waren, jedoch irgendwie weniger ausgeprägt und daher akzeptabler.

 

Infarkte können zu Totalausfällen von Netzwerkfunktionen im Gehirn führen. Oft sind solche Netzwerkstörungen mit emotionalen und Störungen der Persönlichkeit kombiniert.

 

Vergesslichkeit nach Schlaganfall

Eine typische Vergesslichkeit ist nicht im Vordergrund, dies ist mehr bei der Alzheimerdemenz der Fall. Es gibt natürlich auch Mischformen zwischen der schlaganfallbedingten Vergesslichkeit und der Alzheimer-Demenz. Die Ursache solcher Veränderungen liegt in den verschiedenen Formen der chronischen Schädigung des Gehirns durch die sich verändernden Gefäßprozesse, vor allem der kleinen Gefäße. Diese Störung der Mikrozirkulation führt zu kleinen Schäden im Bereich der Hirnrinde. Sehr kleine Infarkte – sogenannte Mikroinfarkte – macht man erst seit wenigen Jahren durch sogenannte Hochfeld-Tesla-MRT-Untersuchungen oftmals in großer Zahl sichtbar. Diese dienen nun als Erklärung dafür, dass eben solche kleinen Infarkte zu Unterbrechungen von Leitungsbahnen führen, die, wenn sie inkomplett sind, lediglich eine Verlangsamung bewirken, wenn sie aber eine komplette Faserleitung unterbrechen, zu Totalausfällen von Netzwerkfunktionen führen. Solche Netzwerke sind etwa für die gelenkte Aufmerksamkeit, für das Sehen und die optische Kontrolle oder für die motorische Planung von großer Wichtigkeit.

Emotionale Störungen

Oft sind solche Netzwerkstörungen mit emotionalen und Störungen der Persönlichkeit kombiniert. Damit kommt es zu Äußerungen der Ungeduld, reduzierter Auffassung und fehlender Einsicht bei Fehlverhalten. Es zeigt sich ferner, wenn wir den Berichten vieler Angehöriger folgen, dass im Alltag weniger die motorischen Ausfälle, also die Langzeitlähmungen nach Schlaganfall, ein Dauerproblem darstellen, sondern eher diese neurokognitiven Störungen, die dazu führen, dass der Patient wegen seiner unberechenbaren Launigkeit und seinem aufbrausenden, eigensinnigen Verhalten sozial isoliert wird und dadurch in seiner sozialen Bedeutung reduziert wahrgenommen wird. Detaillierte Forschungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass sich bei diesen Patienten in den Umgebungsarealen von Hirninfarkten die Hirnrinde verdünnt und die Zahl der Neuronen abnimmt. Das ist die biologische Erklärung für die Reduktion der kognitiven Leistungen bei solchen Patienten. Die Erhaltung neuronaler Netzwerke und deren Funktionen ist daher ein vordringliches Ziel, und es ist wichtig, die Schlaganfallpatienten möglichst rasch wieder in ihre sozialen Netzwerke einzufügen und ihnen Aufgaben zuzumuten, zu denen sie sich befähigt und letztlich auch bestätigt fühlen.

Zur Therapie

  1. Zunehmend werden daher die Langzeiterfolge von Rehabilitation nicht nur am Ausmaß der klinischen Besserung, sondern auch an der Zunahme der sozialen Kompetenz gemessen („Empowerment“).
  2. Es hat sich ferner auch gezeigt, dass man das Management der allgemeinen Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes, Übergewicht, Nikotinkonsum, mangelnde Bewegung und einseitige beziehungsweise Fehlernährung auch in den Griff bekommen wird müssen, da dies auch eine protektive Wirkung auf die Kognition hat. Es zeigt sich also, dass das Erhalten der sozialen Netzwerke einen direkten Bezug zur Erhaltung der Nervennetzwerke hat, die im Gehirn täglich eine Rolle spielen, wenn sie gefordert sind.
  3. Medikamentös wird derzeit eine Reihe von bekannten und am Markt befindlichen Medikamenten hinsichtlich ihrer Wirkung zur Verhinderung beziehungsweise Verbesserung des „neurokognitiven Syndroms“ eingesetzt. Studien, die dies testen, nennt man Repurposing-Studien, das heißt die klinische Testung der Verwendung bekannter Medikamente in neuer Indikation. Aussichtsreich ist dies derzeit für dopaminerge Präparate, aber auch für Biologika wie Cerebrolysin, die in Form von 14-tägigen Infusionen gegeben werden sollen. Letztere Therapie ist auch in den Behandlungsrichtlinien der Fachgesellschaft für die Verbesserung der Motorik empfohlen.