Nierenschmerz – ein Mythos?

Nieren- beziehungsweise Flankenschmerzen stellen einen sehr häufigen Grund zum Aufsuchen einer urologischen Ordination beziehungsweise Ambulanz dar. In erster Linie muss jede Patientin beziehungsweise jeder Patient mit diesen Beschwerden ernst genommen werden, obgleich die Ursache häufig nicht im urologischen Bereich zu finden ist. Die Ursachenfindung erfolgt zumeist im Ausschlussverfahren; der Urologe ist hier jedoch oft der erste Ansprechpartner.

Ähnliches Symptombild – unterschiedliche Ursachen

Zurückkehrend zu den beiden Patienten, Herrn P. und Frau H., zeigt sich nach der Anamnese sehr rasch, dass es sich zwar um ein ähnliches Symptomenbild handelt, die möglichen Ursachen jedoch sehr unterschiedlich sind.
Herr P. berichtet über seit Monaten persistierende beidseitige Nierenschmerzen, die bewegungsabhängig sind und ihren Ausgangspunkt im lumbosakralen Bereich haben. Im urologischen Status finden sich keine Auffälligkeiten, und die Sonografie zeigt eine regelrechte Darstellung beider Nieren.
Frau H. hingegen klagt erst seit dem Vortag über akut einsetzende Schmerzen im Bereich der rechten Flanke; auch habe sie in den Tagen davor bereits Schmerzen beim Wasserlassen verspürt. Bei genauerem Nachfragen stellt sich rasch heraus, dass sie an rezidivierenden Harnwegsinfekten leidet. Der urologische Status zeigt einen positiven Harnbefund, in der körperlichen Untersuchung imponiert ein klopfdolentes rechtes Nierenlager ohne sonografische Auffälligkeiten.
Hier trennen sich nun die Wege des weiteren Patientenmanagements entscheidend. Während Herr P. mit einem unauffälligen urologischen Status zur weiteren Ursachenforschung an einen Facharzt für Orthopädie überwiesen wird, muss Frau H. wegen eines aufsteigenden Harnwegsinfektes akut antibiotisch behandelt werden.

Nierenschmerz vs. Schmerzen im Nierenbereich

Die Entstehung von Nierenschmerzen ist zumeist auf eine Dehnung der Nierenkapsel zurückzuführen. Kontinuierliche Schmerzen können ein Hinweis auf eine Infektion sein, dagegen sind wellenförmige Verläufe ein mögliches Zeichen für einen Obstruktion des Ureters.
Zudem können andere (Bauch-)Organe Schmerzen im Nierenbereich verursachen. Zusätzliche klinische Hinweise können eine Abwehrspannung und/oder Schonhaltungen des Patienten sein.
Irritationen der Wirbelsäule beziehungsweise der kostalen Nerven sind nicht selten Ursache für Beschwerden in den Flanken, wobei diese Schmerzen in der Regel bewegungsabhängig sind und dies in der Anamnese relativ leicht zu erfragen ist.

Urologische Abklärung

Die urologische Abklärung von Nierenschmerzen setzt sich aus folgenden Untersuchungen zusammen:

  • Anamnese (Schmerzdauer, -typ, -charakteristik)
  • klinische Untersuchung (klopfdolentes Nierenlager, Abwehrspannung)
  • Harnstatus mit gegebenenfalls Harnkultur
  • Sonografie der Nieren, der Harnblase beziehungsweise des Skrotums
  • DRU des Mannes
  • gegebenenfalls weiterführende bildgebende Diagnostik mittels CT bzw. MRT

Urologische Ursachen

Die häufigsten urologischen Ursachen für Nierenschmerzen sind im Folgenden aufgelistet:

Nierenkolik. Typisch sind in der Regel plötzlich einsetzende Flankenschmerzen, bewegungsunabhängig, verbunden mit teils heftiger vegetativer Symptomatik (Übelkeit, Erbrechen), ausgelöst durch das Eintreten eines Nierensteins in den Harnleiter. Aufgrund mehrerer physiologischer Engstellen im Verlaufe des Ureters (Abgang, Gefäßkreuzung, Mündung) ist das Steckenbleiben eines Konkrements leicht möglich. Das simple Vorhandensein eines Konkrementes in der Niere, welches sich ruhig verhält, verursacht in aller Regel keine Nierenschmerzen.

Aszendierender Harnwegsinfekt. Hier handelt es sich um einen aus der Blase in den Harnleiter aufsteigenden Infekt, im Vorfeld typischerweise verbunden mit dysurischen Beschwerden, der fast ausschließlich Frauen betrifft. Ein aufsteigender Harnwegsinfekt wird mitunter fälschlicherweise mit einer Nierenbeckenentzündung gleichgesetzt. Eine antibiotische Therapie mit vorheriger Harnkulturabnahme ist die Behandlung der ersten Wahl, jedoch ist eine stationäre Behandlung in der Regel nicht notwendig.

Nierenbeckenentzündung. Im Gegensatz zum aufsteigenden Harnwegsinfekt stellt eine Nierenbeckenentzündung ein sehr schweres urologisches Krankheitsbild dar, welches zumeist eine stationäre Aufnahme und eine intravenöse antibiotische Therapie über mehrere Tage notwendig macht. Auch hier sind zumeist Frauen betroffen. Zusätzlich zu den Nierenschmerzen kommen hier hohes Fieber (bis 40 °C) sowie eine massive Abgeschlagenheit verbunden mit vegetativen Symptomen hinzu.
Nicht selten ist eine Computertomografie der Nieren zum Ausschluss eines möglichen Nierenabszesses notwendig.

Seltene urologische Ursachen für Nierenschmerzen:

Raumforderung der Niere: Sowohl gutartige (Zysten) als auch bösartige Raumforderungen (RCC) können bei entsprechender Größe zu Schmerzen in den Flanken führen.

Nierenarterienverschluss. Neben einer arteriellen Hypertonie mit Blutdruckkrisen können beim Nierenarterienverschluss auch Flankenschmerzen auftreten.

Eine Nierenvenenthrombose kann zum Funktionsverlust der Niere führen.

Harnverhalt: Ein akuter Harnverhalt kann bei Rückstau des Harnes bis in das Nierenbeckenkelchsystem beidseitige Nierenschmerzen hervorrufen.

Nierentrauma: Nierenverletzungen, die meist im Rahmen von Polytraumata entstehen, führen nicht selten zu Flankenschmerzen, welche oft mit einer Hämaturie verbunden sind.

Urinom: Bei der Eröffnung des Nierenbeckenkelchsystems, akzidenziell oder auch iatrogen bedingt, kommt es in der Regel zu einseitigen Nierenschmerzen.

Mögliche Differenzialdiagnosen von Nierenschmerzen bezogen auf andere Organe sind in der Tabelle zusammengefasst.

 

 

Tab.: Mögliche Differenzialdiagnosen

  • Leber/Pankreas: Cholezystolithiasis, Cholezystitis, Cholangitis, Pankreatitis
  • Darm: Ulcus ventriculi/duodeni, Appendizitis, Ileus, Morbus Crohn, Divertikulitis
  • Milz: Milzruptur, -infarkt
  • gynäkologische Ursachen: Ovarialzyste, Extrauteringravidität, Adnexitis
  • Bauchwand: inkarzerierte Hernie
  • Lunge/Thorax: Pneumonie, Lungenembolie, Empyem, Myokardinfarkt, GERD
  • metabolische Ursachen: Hämochromatose, Hyperparathyreoidismus, Ketoazidose bei Diabetes mellitus, Urämie
  • Neurogene Ursachen: Lumboischialgie, Herpes Zoster, Bandscheibenvorfall, Neuralgien

 

Zusammenfassend muss festgehalten werden, dass es sich bei Nierenschmerzen um keinen (Symptomen-)Mythos handelt, vielmehr müssen diese teilweise komplexen Beschwerden immer ernst genommen und korrekt diagnostiziert werden, um den PatientInnen eine effektive kausale Behandlung zu ermöglichen. Hier kommt dem Urologen eine wichtige und entscheidende Rolle zu, da die Patienten diesen häufig zuerst aufsuchen. Umso wichtiger ist ein umsichtiges Vorgehen und auch ein Blick über den urologischen Tellerrand.