Otitis media: Häufig überdiagnostiziert

Die akute Otitis media ist eine der häufigsten entzündlichen Erkrankungen sowohl des Säuglings- und Kleinkindalters als auch des Kindesalters und dritthäufigster Grund für Antibiotikaverordnungen in dieser Altersgruppe sowie die häufigste Ursache für Ohrenschmerzen. Bis zum 6. Lebensjahr haben etwa 60 % aller Kinder zumindest eine akute Mittelohrentzündung hinter sich. Auch wiederkehrende Episoden sind möglich. Neben der vermehrten Infektanfälligkeit von Kindern sind vor allem anatomische Gründe die Ursache dafür: Die Eustachische Röhre ist bei kleinen Kindern kürzer und horizontaler verlaufend, Infektionen der oberen Atemwege können daher leichter in Richtung Mittelohr „aufsteigen“ und Schwellungen im Nasopharynx und in der Eustachischen Röhre verursachen. Dadurch festgehaltenes Sekret stellt den idealen Nährboden für Bakterien und Viren dar. Zu diesen Erregern zählen RSV, Influenza-/Parainfluenzaviren, Rhinoviren, Adenoviren und Enteroviren. Diese können die Mukosabarriere schädigen und Bakterien (wie etwa Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae, Moraxella catarrhalis) die Adhäsion erleichtern. Aus einer zunächst viral bedingten Entzündung kann sich eine bakterielle Superinfektion entwickeln.

Charakteristische Leitsymptome der akuten Otitis media sind plötzlich einsetzende Ohrenschmerzen und Fieber. Darüber hinaus kommt es meist zu einer Hörminderung und gelegentlich zu Schwindel. Komplikationen sind in den letzten Jahrzehnten seltener geworden, aber möglich. Die Erkrankung ist in der Regel selbstlimitierend und heilt in 80 % der Fälle innerhalb einer Woche aus. Zu einer schlagartigen Rückbildung der Ohrenschmerzen kommt es im Falle einer Spontanperforation des Trommelfells. Ein Paukenerguss kann nach der akuten Entzündungs-phase für mehrere Wochen physiologisch bestehen bleiben. Besteht ein Erguss für mehr als 3 Monate, spricht man von einem „Glue Ear“ („Leimohr“). Die chronische Otitis media entwickelt sich nur in seltenen Fällen direkt aus einer akuten Otitis media. In den meisten Fällen entwickelt sie sich aus einer chronischen Tubenventilationsstörung (adenoide Vegetationen) mit fehlender oder beeinträchtigter Belüftung des Mastoids.

Diagnose

Da eine alleinige Rötung kein sicheres Zeichen für eine akute Otitis media darstellt, sind mehrere Kriterien für die Diagnosestellung nötig. Erst bei Vorliegen aller drei Kriterien gilt die Diagnose als gesichert. Insbesondere im Säuglings- und Kleinkindalter ist die Diagnosestellung durch meist mangelnde Kooperation und erforderliche Fremdanamnese nicht immer ganz einfach. Zu diesen zählen:

  • akuter Beginn mit Fieber und Verschlechterung des Allgemeinzustands
  • Rötung des Trommelfells, Schmerzen, mattes/trübes Trommelfell
  • ein Erguss bzw. Flüssigkeitsspiegel bzw. Auftreten einer rezenten (innerhalb von 24 Stunden) Otorrhö mit Symptomlinderung im Anschluss

Therapie

Die akute Otitis media geht in der Regel mit sehr heftigen Ohrenschmerzen einher, weshalb eine unverzügliche analgetische Therapie erforderlich ist. Geeignete systemische Analgetika sind Ibuprofen, Paracetamol und Naproxen. Lokale Analgetika werden nicht empfohlen. Die zusätzlich antiphlogistische Wirkung von Ibuprofen kann vorteilhaft sein. Bei gleichzeitigem Vorliegen einer Rhinitis kann die Gabe von abschwellenden Nasentropfen oder -sprays eine Symptomlinderung bringen. Seit mehreren Jahren wird bei gutem Allgemeinzustand der Kinder eine sofortige Gabe von Antibiotika nicht mehr empfohlen. Bei Kindern von einem halben Jahr bis zu zwei Jahren können die ersten 24 Stunden, bei Kindern ab zwei Jahren bis zu 48 Stunden zugewartet werden. Mittel der ersten Wahl ist Amoxicillin in einer Dosierung von 50 mg/kg KG/d in 2–3 Einzelgaben. Ausnahmen sind eine Therapie mit Amoxicillin im letzten Monat, eine eitrige Konjunktivitis oder eine vermutete Infektion mit β-laktamasepositivem Keim. Dann sollte die Therapie mit Amoxicillin und Clavulansäure erfolgen.

Als Alternative können Cefuroxim oder Clarithromycin gegeben werden. Die Dauer der Gabe ist abhängig von Alter und Schwere der Erkrankung. Je jünger, desto länger sollte die Gabe erfolgen (10 Tage bis zum 2. Lebensjahr). Topische Kortikosteroide zeigten einen therapeutischen Vorteil bei Vorliegen von adenoiden Vegetationen. Konservative Maßnahmen wie Valsalva-Manöver mit Otovent® Ballons können zusätzlich unterstützend wirken. Bei anhaltendem Erguss (über 3 Monate) sollte eine Operation (Parazentese/Paukendrainage) angedacht werden. Rechtzeitige Planung bei aktuell längeren OP-Wartezeiten sind zu bedenken. Bei gleichzeitigem Vorliegen von adenoiden Vegetationen kann eine Adenotomie indiziert sein.