Psychosomatische Medizin: endlich in Ausbildung integriert

Dr. Joachim Strauß, Referent des Referates für Psychosoziale, Psychosomatische und Psychotherapeutische Medizin (PPP-Referat) der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) bemängelte in seinem Vortrag, dass psychosomatische Medizin sehr oft als Spezialdisziplin gesehen werde: „Grundsätzlich müsste daher die gesamte Medizin bio-psycho-sozial orientiert sein.“
„Schon Thure von Uexküll (1908–2004), Begründer der psychosomatischen Medizin, sagte, dass Medizin weder eine ‚Medizin für Körper ohne Seelen‘ noch eine ‚Medizin für Seelen ohne Körper‘ ist. Ähnlich arbeitete auch George L. Engel (1913–1999), der das bio-psycho-soziale Modell für die Medizin, abgeleitet aus der Allgemeinen Systemtheorie, nutzbar gemacht hat, wonach die Natur hierarchisch strukturiert aufgebaut ist und aus Systemen unterschiedlicher Komplexität besteht. Auch ihm war es letztlich ein Anliegen, der gesamten Medizin durch diese Erweiterung im bio-psycho-sozialen Modell eine qualitative Verbesserung zu ermöglichen“, erklärte Priv.-Doz. Dr. Christian Fazekas, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin (ÖGPPM). „Das bio-psycho-soziale Modell geht davon aus, dass es biologische, soziale und psychologische Wirkfaktoren gibt, die allesamt Gesundheit und Krankheit beeinflussen“, führte Fazekas aus.
Wie sehr Psyche und Körper miteinander verbunden sind, zeigte auch eine Untersuchung von Cole (2013), in der die Genexpression in den weißen Blutkörperchen, speziell den Monozyten, bei Menschen, die sich in ihrer subjektiven Wahrnehmung sozial isoliert und bedroht fühlen, ein anderes Muster aufweisen als bei Menschen, die sich sozial behütet fühlen. „Das bestätigt die bio-psycho-soziale Theorie, die besagt, dass auf allen Systemebenen Wechselwirkungen vertikal und horizontal stattfinden, sodass z.B. auch die Art, wie ich mein Leben subjektiv erlebe, durchaus darauf Einfluss haben kann, welche Genexpression die Immunzellen zeigen, mit welchen Krankheitserregern sie, quasi evolutionär gelernt, rechnen“, erklärte der ÖGPPM.Präsident.
Bereits 1983 konnten Ringel und Kropiunigg in einer nach wie vor gültigen Studie zeigen, dass psychosomatische Patientenkarrieren oft jahrelang dauern. „Diese Thematik ist heute noch immer nicht ganz aus der Welt geschafft, es hat sich allerdings viel getan. Wir blicken auf 25 erfolgreiche Jahre der Psy-Diplome der ÖÄK zurück, und verschiedenste medizinische Gesellschaften sind darum bemüht, dieses neue wissenschaftliche Paradigma auch in die Versorgungsrealität zu bringen“, so Fazekas.
Eine wichtige Initiative sei von Univ.-Prof. Dr. Anton Leitner, Donau-Universität Krems, ausgegangen, der eine Bedarfserhebung der psychosomatischen Versorgungssituation in Österreich durchführte. Diese zeigte deutlich, dass es wesentlich ist, die psychosomatische Versorgung für alle klinischen Fächer zu strukturieren.
Vergangenes Jahr wurde auch ein State-of-the-Art-Artikel zum Thema psychosomatische Medizin publiziert, der betont, dass es ein abgestuftes Versorgungskonzept braucht, wie es im Österreichischen Strukturplan Gesundheit (ÖSG) vorgesehen ist.

 

 

Die neue Ärzteausbildung

Gemeinsam mit dem wissenschaftlichen Fachbeirat der ÖGPPM wurde ein Vorschlag erarbeitet, wie ein derartiges Versorgungskonzept aussehen könnte. „Wir haben die psychosomatische Grundversorgung mit Beginn in der Basisausbildung vorgeschlagen, die in die Ausbildungen reicht. Danach haben wir eine fächerübergreifende Spezialisierung als Weiterbildungsmöglichkeit empfohlen“, berichtete Fazekas.
Der Vorschlag, dass alle Ärzte durch die Basisausbildung in der Lage sein sollen, biologische, psychische und soziale Anteile im Krankheitsgeschehen registrieren und gewichten zu können und auch beraten und Indikationen für somatische und gegebenenfalls auch psychotherapeutische Verfahren zu stellen, fand in der neuen Ärzteausbildungsordnung entsprechende Aufnahme.
Im PPP-Referat war man während der Neuordung der Ausbildungsordnung ebenfalls darum bemüht, diesem Bereich mehr Gewicht zu verleihen. „Dadurch, dass Gesprächsführungkompetenzen nun Teil des Studiums sind und die psychosomatische Grundversorgung in der Basisausbildung aller Fachrichtungen verankert wurde, werden Ärzte darauf vorbereitet, was in der alltäglichen Arbeit auf sie zukommt. Es geht hier um integriertes Handeln in Diagnostik und Therapie von Medizin und Psychosomatik“, betonte Strauß.
Für die ÖÄK war es in der Neuordnung wichtig, die Qualität in der Lehre zu sichern. „Dies soll auch dadurch erreicht werden, dass Ausbildungsinhalte per Rasterzeugnis definiert werden, die umzusetzen sind“, erklärt Strauß. „Die Qualitätssicherung der Lehrenden und der Ausbildungsinhalte ist ein zentrales Anliegen und wird durch das Rasterzeugnis und eine neue Lehrtherapeutenrichtlinie erreicht.“, so der PPP-Referent.
Kammeramtsdirektor der Wiener Ärztekammer, Dr. Thomas Holzgruber, der auch für bildungspolitische Angelegenheiten in der ÖÄK tätig ist, erklärte, dass in der Ärzteausbildungsverordnung 2015 versucht wurde, die Psychosomatik in drei Ebenen unterzubringen:
Nr. 1: die Basisausbildung, in der eine psychosomatische Grundversorgung enthalten ist. „Leider wurde der Zeitumfang nicht definiert, und die Vermittlung übernimmt der Träger. Das war so nicht von der ÖÄK vorgeschlagen“, betonte der Jurist.
Nr. 2: die Fachausbildungen der einzelnen Fächer. „Es war den Fachgesellschaften freigestellt, welche Module sie vorschlagen; z.B. hat die Psychiatrie nun eigene Module, um sich in psychosomatischer Medizin spezialisieren zu können.“
Nr. 3: die Spezialisierungen. Aus den bisherigen Additivfächern wurden nun großteils Sonderfächer. Die Rahmen-Spezialisierungsverordnung sieht vor, dass eine Spezialisierung zwischen ein und drei Jahren dauern kann. Die Ausbildung wird an einer Spezialisierungsstätte (= Ausbildungsstätte) gemacht. Das werden üblicherweise Spitäler sein, aber es ist auch denkbar, dass das in niedergelassenen Ordinationen mit entsprechender spezialisierter Ausrichtung stattfinden kann, was beim Additivfach nicht möglich war. Neu ist auch, dass im Ausmaß von 50 Stunden pro Jahr verpflichtende theoretische Kurse inkludiert sein dürfen.
„Psychosomatische Medizin wird als Querschnittsmaterie verstanden, wobei klar ist, dass aus den einzelnen Fächern heraus unterschiedliche Versorgungsansprüche bestehen und entsprechend Berücksichtigung finden müssen. Um versorgungspolitisch wirksam werden zu können, muss es eine breite Ausbildung im intra- und extramuralen Bereich geben. Ebenso soll das Curriculum, das entwickelt werden soll, international vergleichbar sein, wobei dieÖGPPM eine koordinierende Funktion übernimmt“, so Fazekas.

Ziele der neuen Spezialisierung

Die versorgungspolitischen Ziele, die mit der Spezialisierung erreicht werden sollen, sind:

  1. State-of-the-Art-Diagnostik/-Behandlung „körperlicherBeschwerden ohne klinischen Befund“
  2. Integrierte Beachtung klinisch relevanter psychosozialerFaktoren bei körperlichen Krankheiten
  3. Diagnostik/Behandlung bzw. Ressourcenaktivierung bei Problemen der Krankheitsbewältigung chronischer Krankheiten
  4. Optimierung von Diagnostik und Therapieplanung bei hoher bio-psycho-sozialer Komplexität

Weitere Ziele sind die flächendeckende Umsetzung des ÖSG, die Möglichkeit, eine universitäre Laufbahn einzuschlagen und die Ausbildung von mehr „zweisprachigen“ medizinischen Experten als Brücke zwischen den beiden Welten Soma und Psyche. „Wir brauchen auch Qualitätssicherung in diesem Bereich, um zu verhindern, dass Menschen über esoterische Angebote fehlgeleitet werden. Wir gehen davon aus, dass rund 30% der Patienten von entsprechenden professionellen Angeboten profitieren können. Und last, but not least: Viele Studien haben gezeigt, dass Patienten das ärztliche Gespräch wollen – daher brauchen wir Ärzte, die diese Ressourcen der Menschen auch nützen können, selbst mit ihren eigenen Möglichkeiten, mit diesen Belastungen umzugehen“, so Fazekas abschließend.