Ring frei für die nächste Runde!

Ziel der zukünftigen Primärversorgung: Gesundheitsteams von Ärzten, Pflegern, Krankenschwestern, Physiotherapeuten, Logopäden, Psychologen, Ergotherapeuten, Hebammen, Sozialarbeiter etc. – je nach Lokalisation entweder unter einem Dach oder entsprechend vernetzt – sollen in Wohnnähe eine möglichst umfassende Erstversorgung bieten. Die Gesundheitsberufe sollen vernetzt werden, „Primärversorgungseinrichtungen“ sollen in Zukunft als erste medizinische Kontaktstellen für alle Menschen mit gesundheitlichen Anliegen und Problemen dienen.
In diesen Zentren soll auch die Koordination für weitere Behandlungen stattfinden – wodurch sie eine starke Machtposition in der Gesundheitsversorgung erhalten würden. Weitere Punkte: längere Öffnungszeiten, leichtere Terminvereinbarungen, Vermeidung unnötiger Arztwege und kürzere Wartezeiten. Vor allem um chronisch Kranke will man sich besser kümmern.
Wie das alles genau vonstatten gehen soll, darüber gab es in den vergangenen Monaten heftige Meinungsunterschiede zwischen Gesundheitsministerium, Hauptverband und Ärztekammer.
Monatelang wurde im „Board“ verhandelt, diskutiert, dann kam ein Erstentwurf zu Primary Health Care heraus, der sofort für heftigen Unmut – vor allem auf Seiten der Ärztekammer – sorgte. Es wurde nachverhandelt, bis auch die Ärztevertreter nach klaren Zugeständnissen mit den neuen Formulierungen leben konnten.

Deutliche Entschärfung gegenüber früheren Entwürfen

Der Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann Niedergelassene Ärzte Dr. JohannesSteinhart zur Entwicklung: „Die Vorschläge der Gesundheitspolitik waren beim Thema Primärversorgung oft unklar, sprunghaft und unzumutbar. Es gab Versionen des Arbeitspapiers, deren Umsetzung das „Aus“ für niedergelassene Ärzte bedeutet hätte. Jetzt, nach einigen Verhandlungsrunden, liegt ein Papier vor, das, gemessen an seinen Vorgängern, vorsichtigen Optimismus rechtfertigt. Die schlimmsten Zumutungen konnten herausverhandelt werden, und es gibt jetzt sinnvolle Ideen, wie zum Beispiel eine bessere Vernetzung zwischen den Gesundheitsberufen. Aber der Teufel steckt bekanntlich im Detail, und jetzt muss man sehen, wie das alles tatsächlich umgesetzt wird, und notfalls rechtzeitig gegensteuern.“ Es geht also in die nächste Runde…

Arzt leitet die Teams

„In früheren Konzepten wurde der Arzt praktisch nicht erwähnt, er wurde als der Krankenschwester und der Sprechstundenhilfe gleichrangig gesehen, ungeachtet der bestehenden Unterschiede in Ausbildung und Expertise. Jetzt heißt es: Ärztliche und nichtärztliche Gesundheits- und Sozialberufe arbeiten unter der medizinischen Leitung des Arztes in der Primärversorgung im Team“, so Steinhart. Damit wurde die zentrale Rolle der Ärzte in der Primärversorgung festgeschrieben, nicht nur im Titel des Papiers „Das Team rund um den Hausarzt – Konzept zur multiprofessionellen und interdisziplinären Primärversorgung in Österreich“. Steinhart: „Das ist ein Fortschritt auch im Sinne einer qualitätsvollen medizinischen Versorgung.“
Dass der Hausarzt die Teams leiten soll, stößt bei anderen Gesundheitsdienstanbietern erwartungsgemäß auf wenig Freude und Verständnis, hatte sich doch zum Beispiel die Pflege einen höheren Stellenwert als bisher erhofft – sogar die Leitung durch Pflegekräfte wurde diskutiert. Alleine der Titel „Das Team rund um den Hausarzt“ rief schon Unmutsäußerungen hervor.

Gesamtvertrag wurde nicht ausgehebelt

Große Sorge galt auch der zukünftigen Vertragssituation. Mittel- bis langfristig sollten ursprünglich alle Planstellen für Allgemeinmediziner nur im Rahmen von Primärversorgungsstrukturen stattfinden. Jetzt heißt es: „Bestehende Einzel- und Gesamtverträge für Allgemeinmediziner werden durch die in diesem Konzept dargestellten neuen Primärversorgungsstrukturen nicht berührt und können in ihrer derzeitigen Form weiter bestehen. Zukünftig wird neben der Vergabe von Verträgen an die dargestellten neuen Primärversorgungsstrukturen auch weiterhin die Vergabe von Einzelverträgen an in Einzelordinationen tätige Hausärzte zur herkömmlichen Primärversorgung möglich sein.“
Auch die zunächst unklare Rolle der Fachärzte und der ungeklärte direkte Zugang zum Facharzt wurden präzisiert – Steinhart: „Es geht um die Stärkung der Allgemeinmedizin, eine klare Profilbildung gegenüber der zweiten Versorgungsstufe (ambulante spezialisierte Versorgung durch niedergelassene Fachärzte, Ambulatorien und Spitalsambulanzen), ohne damit den freien Zugang zu den einzelnen Versorgungsstufen zu beschränken.“ Dazu kommen positive Effekte wie die ausdrückliche Nennung der Hausapotheken und der Lehrpraxis. Nachsatz Steinhart: „Es wäre allerdings schön und der Sache zuträglich gewesen, hätte man die Ärztekammer bereits früher in den Diskussionsprozess eingebunden.“

Ist der Gesamtvertrag wirklich sichergestellt?

Ursprünglich stand im Arbeitspapier des Gesundheitsministeriums, dass mittel- bis langfristig alle Planstellen für Allgemeinmediziner nur im Rahmen von Primärversorgungsstrukturen möglich sein werden und Gesamtverträge in diesem Fall keine Geltung mehr haben. Jetzt heißt es: „Dieses Konzept rückt auch vom Prinzip von Gesamtverträgen der Sozialversicherung mit den Leistungserbringern nicht ab.“ Für die neuen Primärversorgungsstrukturen ist eine eigenständige gesamtvertragliche Vereinbarung (Anm.: im Sinne des Sechsten Teils, Abschnitt II, 1. Unterabschnitt des ASVG) abzuschließen. Abweichend davon bzw. wenn eine solche gesamtvertragliche Vereinbarung nicht zustande kommt, können von der Sozialversicherung Sonder-Einzelverträge mit Zustimmung der zuständigen Ärztekammer abgeschlossen werden. Für diese neuen gesamtvertraglichen Vereinbarungen sollen die Rechtsgrundlagen im ASVG geschaffen werden. Steinhart. „Wir werden die Umsetzung dieser Vorhaben jedenfalls sehr genau beobachten und uns, wenn nötig, sehr deutlich zu Wort melden.“

Auswirkungen der Versorgungszentren auf Niedergelassene?

Versorgungszentren werden wohl zunächst kaum Auswirkungen auf niedergelassene Ärzten haben, weil laut Bundes-Zielsteuerungskommission bis zum Jahr 2016 bloß 1% (!!) der Bevölkerung pro Bundesland in den neuen Primärversorgungszentren versorgt werden soll. Der große Rest wird also auch weiterhin von niedergelassenen Ärzten betreut werden. Steinhart: „Und jetzt geht es darum, die Niedergelassenen zu stärken und nicht weiter zu schwächen. Wir brauchen in Österreich 1.300 zusätzliche Praxen mit Kassenvertrag, mehr Gruppenpraxen und praktikable Rahmenbedingungen dafür, zeitgemäße Optionen der Zusammenarbeit sind zu schaffen und zu ermöglichen. All das auch wegen der Tatsache, dass es immer mehr Ärztinnen gibt, die einen guten Kompromiss zwischen Beruf und Familie suchen – was natürlich auch auf viele Ärzte zutrifft. Das Haus- und Vertrauensarztmodell der Ärztekammer weist hier einen sinnvollen Weg.“

Drei Pilotprojekte in Wien

Noch in diesem Jahr soll die Basis für die Umsetzung gelegt werden, ab 2015 können dann die ersten Teams mit der neuen Regelung gebildet werden. In Wien wurden bereits drei Modelle konzipiert:
Ein Pilotprojekt im 15. Bezirk beim ehemaligen Standort des Kaiserin-Elisabeth-Spitals, ein Netzwerk in der Gegend des Krankenhauses Nord und ein drittes Projekt in einem Stadterweiterungsgebiet jenseits der Donau.
Noch unklar sind vor allem Finanzierungsfragen, Fragen der Haftung und auch, welche Rechtsform die Gesundheitsteams haben sollen.
Es gibt also noch einige Stolpersteine …