Rückenschmerz: Multimodale Therapie unerlässlich

Mehr als acht Millionen der insgesamt knapp 40 Millionen Krankenstandstage in Österreich sind durch Probleme des Bewegungsapparates bedingt. Vorzeitige Pensionierung zum Beispiel geht zu 40 % auf chronische Rückenleiden zurück. Die Kosten durch Therapien und Arbeitsausfälle werden in Österreich auf vier bis sechs Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.

Rückenschmerzen sind im deutschsprachigen Raum weit verbreitet, bis zu 70 % aller Erwachsenen leiden mindestens einmal im Leben darunter.1, 2 Im Erwachsenenalter beträgt die Punktprävalenz 37,1 %, die 1-Jahres-Prävalenz 76 % und die Lebenszeitprävalenz 85,5 %.2 Frauen sind dabei häufiger als Männer von Rückenschmerzen betroffen.2 Bei 1-Jahres-Prävalenz chronischer Rückenschmerzen (CRS) mit einer Dauer von mindestens drei Monaten (20,7 %) kommen neben den direkten und indirekten Kosten1 auch soziale Konsequenzen3, wie Einschränkungen in der Interaktion mit Freunden und Familie, zum Tragen.

Red and yellow Flags

Bei CRS treten Schmerzen im Bereich des Rückens (von der Hals- bis zur Lendenwirbelsäule) auf und halten mindestens drei Monate an oder treten rezidivierend auf. Je nach dem zeitlichen Verlauf wird zwischen akuten, subakuten und chronischen Rückenschmerzen unterschieden. Akut ist der Rückenschmerz bei erstmaligem Auftreten der Schmerzepisoden sowie plötzlichem Auftreten nach sechsmonatiger beschwerdefreier Zeit. Die Schmerzen dürfen dabei nicht länger als sechs Wochen anhalten, sonst spricht man von subakuten Rückenschmerzen. Unter chronischen Rückenschmerzen versteht man Schmerzen, die seit mehr als zwölf Wochen bestehen.1 Je nach Ursache der Schmerzen wird zwischen „red flags“ (spezifische Rückenschmerzen) und „yellow flags“ (unspezifischen Rückenschmerzen) unterschieden. Unter „red flags“ versteht man organische Ursachen, die klinisch und durch Bildgebung nachweisbar sind: unter anderem Frakturen (etwa bei schwerwiegenden Traumata wie Sturz oder Unfall, bei Osteoporose oder systemischer Kortikoidtherapie), Tumoren, Infektionen oder Radikulo- und Neuropathien (etwa neurologische Defizite wie Sensibilitätsstörungen in den Beinen, Kauda-Syndrom). Finden sich bei einem Patienten „red flags“, ist unver­züglich eine weiterführende Diagnostik (Labor, Bildgebung) zu veranlassen.4
Hingegen stellen „yellow flags“ die psychosomatische Ebene dar. Bei „yellow flags“ bleibt die Ursache oft unklar beziehungsweise ist nicht eindeutig feststellbar. Zu diesen zählen etwa Arbeitsüberlastung, geringe soziale Unterstützung oder Probleme in der Partnerschaft, Depression, Angst oder Somatisierungsstörungen sowie ausgeprägtes Schonverhalten. Bestandteil der Anamnese sollten nicht nur Fragen nach Lokalisation, Stärke, Auslöser, Dauer und Ausstrahlung der Schmerzen sowie nach Bewegungseinschränkungen sein. Zu berücksichtigen sind auch eventuelle psychosoziale Risikofaktoren, die sich in körperlichen Symptomen wie Rückenschmerzen und Muskelverspannungen niederschlagen können.5

Akut aufgetretene Rückenschmerzen können bei einem Großteil der Betroffenen – teilweise auch ohne entsprechende Behandlung – innerhalb einiger Wochen wieder abklingen. In etwa 10 % der Fälle tritt jedoch eine Chronifizierung ein.1 Eine tragende Rolle nimmt hier der Allgemeinmediziner ein. Aufgrund von Rückenschmerzen wird in 74 % der Fälle der Hausarzt erstkonsultiert. Neben der Erfassung ernster somatischer Erkrankungen oder von Hinweisen für komplizierte somatische Beschwerden sollten schon bei der Erstversorgung des Patienten psychosoziale Risikofaktoren erfasst und entsprechende inter- und multidisziplinäre Behandlungsmaßnahmen ergriffen werden.

Eine Chronifizierung sollte unbedingt vermieden werden, denn chronische Schmerzen drücken nicht nur auf die Lebensqualität oder ziehen Begleiterkrankungen mit sich, sie verkürzen offenbar auch die Lebensdauer. Das legen neue Forschungsergebnisse nahe, so auch eine aktuelle finnische Studie. Untersucht wurden die Mortalität und Todesursachen bei über 1.500 Patienten, die unter schweren chronischen, nichtmalignen Schmerzen litten und zwischen 2004 und 2012 an einem multidisziplinären Schmerzprogramm und anschließend an einer Folgestudie zu ihrer Lebensqualität teilgenommen hatten. Während des Studienzeitraums starben knapp 16 % der Teilnehmer. Sie erreichten ein Alter, das im Schnitt 14 Jahre unter der Lebenserwartung von Probanden in der Durchschnittsbevölkerung lag. Wie die Daten außerdem darlegten, hatten sie mit einem deutlich höheren Schmerzlevel zu kämpfen als jene Studienteilnehmer, die noch am Leben waren.6

Sorgfältige Diagnostik

Am Beginn der Diagnostik steht eine ausführliche Anamnese mit einer Psychosozialanamnese, gefolgt von einer Schmerzanamnese, die Ausstrahlung, Tag-Nacht-Rhythmus, Schlaf, Bewegungsausmaß, Schmerzstärke (NRS, VAS und andere), Schmerzqualität (brennend, stechend, und andere) und natürlich die bisherige Medikation beinhalten sollte. Anschließend wird eine körperliche Untersuchung mit Beurteilung der Wirbelsäule einschließlich der Muskulatur und der Bänder sowie des Allgemeinzustandes durchgeführt. Zusätzlich soll der Patient grobneurologisch mit spezifischen Funktionstestungen für den Rückenschmerz angesehen werden. Treten im Zuge der Untersuchungen und der Anamnese Fragen auf, sollten weiterführende bildgebende Diagnostik beziehungsweise Untersuchungen wie eine Kontrolle der Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) durchgeführt werden. Bezüglich Medikamentenverordnung sollten auch rezente Blutwerte inkl. CRP, NFP, LFP vorliegen.

Entscheidend für eine erfolgreiche Therapie ist eine sorgfältige Diagnose, die mit einem genauen Blick auf die Krankengeschichte und einer physischen Untersuchung beginnt. Dabei werden schwerwiegende Pathologien der Wirbelsäule ausgeschlossen, die eine ausführliche Abklärung durch einen geeigneten Spezialisten erfordern. Die meisten Patienten leiden unter sogenannten nichtspezifischen Kreuzschmerzen, die keiner bestimmten Pathologie zuzuschreiben sind. Bedeutend ist auch, festzustellen, ob eine neuropathische Schmerzkomponente vorhanden ist. Dabei werden die Ergebnisse der physikalischen und neurologischen Untersuchungen mit genauer Beurteilung der Schmerzqualität verbunden. Vor allem brennende oder elektrisierende Schmerzen, die auch in die Beine ausstrahlen, sind wichtige Hinweise für neuropathische Komponenten der Beschwerden.

Tatsächlich sind „Kreuzschmerzen“ oft schwer korrekt zu diagnostizieren und zu therapieren, weil verschiedene Schmerzmechanismen zum Tragen kommen können: nozizeptive, in mindestens einem Drittel der Fälle neuropathische oder auch beide gemeinsam. Auch psycho­soziale Faktoren können eine Rolle spielen. Eine Gruppe internationaler Experten hat Empfehlungen zur multimodalen Behandlung von Rückenschmerz erarbeitet, die auf alle beteiligten Schmerzmechanismen zielen.7

Therapiemöglichkeiten

Da sowohl nozizeptive als auch neuropathische Schmerzkomponenten vorhanden sein können, ist die Kombination von schmerzstillenden Medikamenten mit verschiedenen nichtmedikamentösen Maßnahmen die geeignetste Behandlungsweise. Die Kombinationstherapie sollte individuell auf den Patienten zugeschnitten werden. Sie ergänzt die Wirkung der Medikamente und erhöht deren Wirksamkeit, dadurch kann oftmals die Dosis reduziert werden. Das verhindert auch mögliche Nebenwirkungen.

Zentrale Punkte zur Behandlung:

  • eine adäquate Aufklärung des Patienten
  • das frühzeitige Erkennen von Chronifizierungsfaktoren
  • die frühzeitige Berücksichtigung psychosozialer Aspekte
  • die Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit
  • eine rechtzeitige multimodale und interdisziplinäre Diagnostik und Therapie
  • die Forcierung aktivierender Therapiemaßnahmen.

Diese Punkte entsprechen der Empfehlung der Nationalen Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz (Deutschland), die einer evidenzbasierten Entscheidungshilfe für die strukturierte medizinische Versorgung von Patienten mit Rückenschmerz entspricht und im Speziellen auf die Versorgung von Pa­tienten mit nichtspezifischem Kreuzschmerz eingeht.

Zur pharmakologischen Behandlung von Rückenschmerzen kommt eine große Bandbreite von schmerzstillenden Medikamenten zum Einsatz – nichtsteroidale Antirheumatika, COX-2-Inhibitoren, Opioide sowie bestimmte Antidepressiva und Antiepileptika.

Nichtmedikamentöse Maßnahmen

Die multimodale Therapie sollte zusätzlich auch nicht­medikamentöse Maßnahmen umfassen, etwa eine in­tensive Schulung der Patienten, damit sie besser über Schmerzentstehung und Risikofaktoren wie Bewegungsmangel und Stress Bescheid wissen. Folgende Möglichkeiten stehen hier zur Verfügung: kognitive Verhaltenstherapie, der Besuch von Rückenschulen, Ergotherapie bei akutem nichtspezifischen Kreuzschmerz oder bei Chronifizierungsrisiko Entspannungstechniken wie die pro­gressive Muskelrelaxation. Vielen Patienten helfen auch Bewegungs- und Sport­therapien mit maßgeschneiderten Übungen, etwa aus dem Kieser-Training, Pilates oder Yoga. Die manuelle Therapie und ­interventionelle Schmerztherapien sind weitere Optionen. Invasive Verfahren sind wegen Potenzierung des Chronifizierungsrisikos als kontraindiziert anzusehen und sollen daher bei Patienten mit nichtspezifischem Kreuzschmerz nicht eingesetzt werden. Zudem liegen für die Anwendung von perkutanen Verfahren – wie beispielsweise Triggerpunktinfiltrationen, Injektionen an den sakroiliakalen oder Wirbelgelenken sowie epidurale Injektionen – bei akuten nichtspezifischen Kreuzschmerzen keine verlässlichen Daten vor.

Fazit

Der Rückenschmerz ist eines der bedeutendsten Krankheitsbilder der heutigen Gesellschaft. Die strukturierte Anamnese und klinische Untersuchung sollten den Rückenschmerz eindeutig in eine einfache, komplizierte und alarmierende Wirbelsäulensymptomatik unterteilen können. Eine weiterführende Diagnostik erfordert der komplizierte und alarmierende Rückenschmerz. Eine frühzeitige multimodale, interdisziplinäre Therapie des unspezifischen Rückenschmerzes verbessert den Behandlungserfolg hinsichtlich Schmerzreduktion, Funktionalität sowie der Lebensqualität und vor allem hinsichtlich der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit deutlich.

 

Literatur:
1 Robert-Koch-Institut; Rückenschmerzen. Gesundheitsberichterstattung des Bundes (Heft 53). Berlin: RKI; 2012
2 Schmidt CO et al., Spine 2007; 32:2005–2011
3 Mathew J et al., Int J Spine Surg 2013; 7:e29–e38
4 Verhagen AP et al., Pain 2017
5 Stewart J et al., Man Ther 2011; 16(2):196–8
6 Vartiainen P et al., EFIC eP77 2017; Abstract
7 Müller-Schwefe G et al., Curr Med Res Opin 2017; 33(7):1199–1210