Schlafstörungen und die Chronobiologie der Hormone

Fast alle Prozesse, die in der Nacht im menschlichen Organismus vor sich gehen, werden nicht bewusst wahrgenommen, obwohl gerade jetzt in vielen Organen metabolische Prozesse auf Hochtouren laufen. Für das Gehirn bedeutet dies z. B., dass der über den Tag hinweg angesammelte Stress abgebaut und das tagsüber Erlernte aus dem Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis übertragen werden kann. Für fast alle anderen Organe stellt die Nacht eine überlebenswichtige Zeit der Regeneration dar.

Chronobiologie – eine neue Dimension in der modernen Medizin

Da jedes Organ und jede Zelle einen eigenständigen Rhythmus aufweist, ist das perfekte Zusammenspiel dieser verschiedenen Rhythmen von sehr hoher Bedeutung für die menschliche Gesundheit. Die meisten dieser Rhythmen funktionieren nach dem zirkadianen 24-Stunden-System, dem sogenannten Tag-Nacht-Rhythmus. Getaktet bzw. aufeinander abgestimmt werden die unterschiedlichen „Organuhren“ vor allem durch die „Master Clock“, dem Nucleus suprachiasmaticus (SCN) im Hypothalamus.
Genau hier erhält der Körper die Information, ob es hell, und somit Tag, bzw. dunkel, also Nacht, ist. Diese Information wird dann durch bestimmte Botenstoffe an den gesamten Organismus weitergeleitet. Manche Hormone übernehmen dabei als potente Regulatoren einen wichtigen Part, um die notwendige Synchronisation dieser verschiedenen Uhren zu erzielen. Sie unterliegen einerseits direkt der zirkadianen Kontrolle durch den SCN, andererseits wird aber auch die „Master Clock“ durch diese Botenstoffe feinjustiert. Fehlen diese Botenstoffe oder stehen sie nur bedingt zur richtigen Zeit ausreichend zur Verfügung, sei es altersbedingt und/oder medikamentös hervorgerufen, hat dies massive Auswirkungen auf die Schlafqualität.

Melatonin – das Mutterhormon der Chronobiologie

Eine zentrale Rolle bei der Regulierung des Tag-Nacht-Rhythmus spielt das als „Schlafhormon“ bezeichnete Melatonin. Dieses Indol wird vor allem in der Zirbeldrüse in der Nacht vermehrt produziert und freigesetzt, was dazu führt, dass ab ca. 23:00 Uhr der Befehl „Nachtbetrieb“ an alle Organe und Zellen weitergegeben wird. Dieser natürliche Mechanismus funktioniert allerdings nur bei vollkommener, nächtlicher Dunkelheit. Jeder noch so kleine Lichtimpuls stört diese hormonelle Ausschüttung, führt zu einer Dysregulation der zirkadianen Rhythmik vieler Organe und somit u. a. zu Schlafstörungen.

Serotonin – Glückshormon und Muntermacher

Während Melatonin die Nachtruhe einläutet, sorgt Serotonin am Morgen bzw. tagsüber für Energie und Antrieb. Das vom Körper aus Tryptophan bzw. 5-HTP hergestellte Serotonin wirkt u. a. stimmungsaufhellend, weshalb es auch als „Glückshormon“ bezeichnet wird. Das Zusammenwirken des Duos Serotonin und Melatonin ist perfekt an den zirkadianen Rhythmus angepasst und somit ein Garant für Gesundheit und guten Schlaf bis ins hohe Alter. Produziert der Körper zu wenig Serotonin, wird oftmals auch das Melatonin nicht mehr in ausreichendem Maße im Körper hergestellt, da Serotonin die Vorstufe von Melatonin ist. Fehlt Serotonin kann dies neben Gemütsverstimmungen somit auch indirekt Ein- und Durchschlafschwierigkeiten hervorrufen.

Cortisol – nicht nur ein Stresshormon

Auch das sogenannte Stresshormon Cortisol weist einen ausgeprägten Tag-wach-Rhythmus auf. Ab 4:00–5:00 Uhr in der Früh steigt es kontinuierlich an und erreicht seinen Höchststand gegen 8:30 Uhr. Im Laufe des Tages sinken die Cortisolwerte, bis sie gegen Mitternacht ihren tiefsten Wert erreichen. Langanhaltender psychischer und/oder physischer Stress führt zu einem Verlust dieses Tagesrhythmus oder sogar zu dessen Umkehrung mit niedrigen Morgenwerten und hohen Serumspiegeln in der Nacht − Faktoren, die mit Ein- und Durchschlafproblemen korrelieren. Schlafprobleme wiederum wirken sich negativ auf die Ausschüttung von Cortisol aus, sodass es hier zu einem Circulus vitiosus kommen kann.

HGH – oft unterschätzter Schlafinduktor

Das Wachstumshormon HGH (Human Growth Hormone) wird vor allem während der ersten Non-REM- und der ersten REM-Phase pulsatil, also schubweise, ausgeschüttet. Kommt es dabei zu Veränderungen, sind die physiologischen Schlafmuster oftmals nicht mehr erkennbar. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass ein bestehender Melatoninmangel die abendliche HGH-Freisetzung erheblich verlangsamt bzw. massiv unterdrückt, was eine bestehende Schlafstörung potenzieren kann.

Testosteron, Östradiol und Progesteron – mehr als nur Sexualhormone

Testosteron, Östradiol und Progesteron sind weitere wichtige Parameter für einen gesunden Tag-Nacht-Rhythmus und maßgeblich für Veränderungen des Verhaltens, der Kognition, Stimmung und eben auch des Schlafs verantwortlich. Testosteron fördert mit seinen morgendlichen Höchstwerten die zirkadiane Ausschüttung der oben genannten Botenstoffe. Östrogene wiederum stabilisieren verschiedene Neurotransmittersysteme, wirken neuroprotektiv und unterstützen so das Ein- und Durchschlafen bei Stress oder Unruhe. Progesteron hingegen wirkt eher angstlösend und daher schlaffördernd.

 

Wissenswertes für die Praxis
Wie bedeutsam qualitativer Schlaf ist, wird vielen Menschen oft erst dann bewusst, wenn er fehlt. Um auch wirklich gut zu schlafen, bieten sich mehrere auf die jeweilige Person abgestimmte Maßnahmen an:
  • Die Vermeidung insbesondere von blauem Licht am späten Abend bzw. während der Nacht ist oberstes Gebot.
  • Liegt ein Mangel der genannten Hormone vor, ist dieses Defizit idealerweise im Tagesprofil zu quantifizieren und dann entsprechend individuell zu ersetzen.
  • Es ist unbedingt darauf zu achten, spezielle Darreichungsformen und/oder Vorstufen einiger Hormone zu verwenden, da sie z. T. als solche nicht aufgenommen werden können (Serotonin), eine geringe Bioverfügbarkeit aufweisen (Testosteron) oder eine extrem kurze Halbwertszeit haben (Melatonin).