Schmerztherapie im Kindesalter – welche Empfehlungen gibt es?

In der Ethik-Charta der DGSS aus dem Jahr 2007 wurde festgehalten, dass jeder Mensch Anspruch auf eine angemessene Schmerzbehandlung hat. Das wird auch explizit für Früh- und Neugeborene gefordert. Der Schmerzforschung bei Kindern sind aus ethischer Sicht Grenzen gesetzt. Umso wichtiger ist es, das vorhandene Wissen zum Wohl dieser Patientengruppe einzusetzen.
Mit dem Ziel, das vorhandene Fachwissen zum Thema Akutschmerztherapie bei Kindern zu bündeln, arbeitete von Juni 2011 bis Oktober 2013 eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe. Experten aus den von diesem Thema betroffenen Bereichen, Anästhesie, Pädiatrie, Kinderchirurgie, Pflege und Juristik trafen sich, um einen österreichischen Konsensus zum perioperativen Schmerzmanagement bei Kindern zu erstellen. Das Projekt wurde von der ÖGARI (Sektion Schmerz und ARGE Kinderanästhesie) initiiert und wird von dieser, der Österreichischen Gesellschaft für Kinderheilkunde, der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendchirurgie und dem Berufsverband Kinderpflege Österreich getragen.
Die Empfehlungen des Konsensus orientieren sich an aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und praxisorientierten Anforderungen. Die Handlungsempfehlung beinhaltet Kernaussagen, die wichtigsten Empfehlungen der einzelnen Themenbereiche. Die gesamte „Handlungsempfehlung zum perioperativen Schmerzmanagement bei Kindern“ besteht aus sieben Einzelartikeln, die jeweils für sich spezielle Subthemen behandeln und die Kernaussagen kommentieren und erklären.
Ein lebensfähig geborenes Kind kann Schmerz empfinden. Es reagiert schon auf geringe Reizstärken mit einer generalisierten Schmerzantwort, da schmerzhemmende deszendierende Bahnen noch nicht ausgebildet sind. Rezidivierende Schmerzreize können negative Langzeitauswirkungen haben und lassen die Notwendigkeit einer adäquaten Schmerztherapie auch in dieser Patientengruppe erkennen. Bei der Dosierung von Medikamenten sind in den ersten Lebensmonaten pharmakodynamische und pharmakokinetische Besonderheiten, andere Verteilungsvolumina und eine noch unreife Leber- und Nierenfunktion zu berücksichtigt.

Der richtige Umgang im intramuralen Setting

Basis jedes Schmerzmanagements ist die Optimierung der Struktur- und Prozessqualität in den Kliniken und dadurch die Verbesserung der Ergebnisqualität: Übergeordnete Rahmenvereinbarungen zur Durchführung der perioperativen und posttraumatischen Schmerztherapie müssen interdisziplinär erarbeitet, klar definiert und schriftlich festgelegt werden.
Bei der stationären Aufnahme sollte nach bestehenden Schmerzen gefragt werden, nach deren Intensität, Lokalisation und was bisher dagegen unternommen wurde.
Jede perioperative Schmerztherapie beginnt mit der altersspezifischen Aufklärung und richtet sich an den Patienten und seine Eltern bzw. Bezugspersonen. Dargelegt wird der zu erwartende postoperative Schmerzverlauf, die Möglichkeiten der Therapie, deren Risiken und möglichen Komplikationen. So können vorhandene Ängste und falsche Erwartungen abgebaut werden.
Die Voraussetzung für eine effektive Schmerztherapie ist die Erkennung, Quantifizierung und Dokumentation von Schmerz sowie die zeitnahe Aufzeichnung therapieassoziierter Nebenwirkungen. Eine einfache Möglichkeit, Schmerz zu messen, ist der Einsatz von Schmerzskalen, deren Auswahl sich nach dem Alter und dem Entwicklungsstand richten. Innerhalb einer Institution sollten dieselben Instrumente verwendet werden, denn auf Basis einheitlicher Interventionsgrenzen können Therapieschemata erstellt werden. Eine Fremdbeurteilungsskala, wie die KUS-Skala wird bis zum Ende des vierten Lebensjahres eingesetzt. Nach Maßgabe ihrer Möglichkeiten sollten Kinder aber ihre Schmerzen selbst einschätzen. Das ist ab dem vierten bis sechsten Lebensjahr möglich. Eine erprobte Skala zur Selbsteinschätzung ist die Gesichter Skala nach Hicks (FPS-r). Zur Beurteilung postoperativer Schmerzen bei kognitiv beeinträchtigten Kindern und Jugendlichen hat sich im klinischen Alltag die r-FLACC-(revised – Face, Legs, Activity, Cry, Consolability)Skala bewährt.
Die Umsetzung eines Schmerzmanagements ist der heikelste Punkt und erfordert viel Aufmerksamkeit, Motivation, Geduld und Schulungen.
Bei der Entlassung muss die unmittelbar notwendige Schmerzversorgung gesichert sein. Im Arztbrief sollten eventuell noch bestehende Schmerzen, deren Lokalisation und ein Analgetikum mit Dosierung, Häufigkeit und maximale Dauer der Einnahme angeführt werden. Ob durch die Optimierung von Abläufen tatsächlich eine Verbesserung der Akutschmerztherapie bei Kindern erreicht wurde, lässt sich durch eine standardisierte Erhebung und Analyse von Daten zur Therapiequalität erfassen. Zu diesem Zweck kann der QUIPSInfant eingesetzt werden.

Welche Medikamente in welcher Dosierung?

In der systemischen Schmerztherapie stellen Nicht-Opioid-Analgetika (NOPA) die Basis dar, welche nach einem vorgegebenen Zeitschema zu verabreichen sind. Bei akuten Schmerzen ist die intravenöse Gabe zu bevorzugen. Keinesfalls sollten Analgetika subkutan oder intramuskulär verabreicht werden.
Viele Medikamente sind nur für Erwachsene zugelassen. Dosierungsangaben für Kinder sind oft sehr ungenau oder fehlen. Ethische, medizinische und rechtliche Gründe verbieten es einem Kind, eine adäquate Schmerztherapie vorzuenthalten. Der „Off-Label-Use“ ist basierend auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft und klinischen Erfahrung zulässig, erfordert jedoch eine explizite Aufklärung und Einwilligung der Jugendlichen, der Eltern bzw. der Erziehungsberechtigten darüber.
Bei entzündungsbedingten Schmerzen und schmerzhaften Weichteilödemen sind nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) bei Kindern indiziert. Der kurzfristige Einsatz ist unter Beachtung der Kontraindikationen als sicher zu betrachten. Aufgrund der klinischen Erfahrung und der aktuellen Studienlage können NSAR in der Akutphase auch intravenös gegeben werden, sollten aber in der weiteren Folge so rasch wie möglich auf eine orale Gabe umgestellt werden. Basierend auf der aktuellen Literatur ist eine Ablehnung von Metamizol bei Kindern nicht begründbar. Metamizol überzeugt durch eine hohe analgetische Potenz, speziell bei viszeralen Schmerzen und Koliken, wirkt gut antipyretisch und hat eine nur geringe renale, hepatische und gastrointestinale Toxizität. Hinweise auf ernste Nebenwirkungen (Atemdepression, Sedierung, Blutung) im Kindesalter fehlen. Laut Literatur ist nur ein Fall einer Agranulozytose im Kindesalter, aufgetreten im Rahmen einer Reexposition, belegt.
Paracetamol ist nicht das nebenwirkungsarme Medikament, für das es lange Zeit gehalten wurde. Bei einer versehentlichen Überdosierung muss mit hepatotoxischen Nebenwirkungen gerechnet werden, welche potenziell letal sein können. Eine kausale Beziehung zwischen der frühkindlichen Einnahme von Paracetamol und dem Auftreten von Asthma bronchiale wird in der Literatur derzeit widersprüchlich diskutiert, sodass ein unkritischer Einsatz zu vermeiden ist. Wird Paracetamol eingesetzt, so müssen für eine sichere Dosierung Alter, Applikationsform, Körpergewicht, Dauer der Therapie, Tageshöchstdosis und Dosierungsintervall berücksichtigt werden. Da die Resorption nach rektaler Gabe äußerst variabel ist, ist die intravenöse Gabe zu bevorzugen.
Bei bestehender oder zu erwartender unzureichender Analgesie durch NOPA werden Opioide bei allen Altersgruppen ergänzend eingesetzt. Die Dosis richtet sich nach Alter, Wirkung bzw. Nebenwirkung. Voraussetzung für den sicheren Einsatz sind eine interdisziplinäre Festlegung von Zuständigkeiten, klar definierte Dosisregime, eine exakte Verordnung, eine standardisierte Überwachung, ein schriftliches Nebenwirkungsmanagement und geschultes Personal. Dauern Schmerzen voraussichtlich über 24 Stunden an, kann eine Therapie mittels patientenkontrollierte Analgesie (PCA), bei Vorhandensein entsprechender struktureller Voraussetzungen, auch bei Kindern eingesetzt werden. Über eine elektronisch kontrollierte Infusionspumpe wird eine kleine Analgetikamenge als Bolus appliziert. Altersabhängig erfolgt dabei die Betätigung des Bolus-Knopfes durch Eltern, Pflegepersonal oder Kind. Sperrintervall und ein programmiertes Vier-StundenMaximum machen das Verfahren sehr sicher.

Regionalanästhesie

Sehr wirkungsvoll bei der Prävention und Therapie perioperativer Schmerzen ist die Regionalanästhesie. Wenn immer möglich, sollte sie auch bei Kindern durchgeführt werden. Die Anlage erfolgt in Allgemeinnarkose oder Sedierung. Zuerst wird die Allgemeinanästhesie eingeleitet, und erst dann erfolgt die Regionalanästhesie. Um die Effektivität zu erhöhen und die Lokalanästhetika-Menge und die Komplikationsrate niedrig zu halten, sollten periphere Blockaden ultraschallgezielt durchgeführt werden.

Nichtmedikamentöse Maßnahmen sind sehr wichtig

Zuwendung, Vermittlung von Geborgenheit, Ablenkung und das Schaffen einer kindergerechten Umgebung helfen, negative Emotionen wie Angst zu reduzieren und sind Voraussetzung jeder suffizienten Schmerztherapie. Das Befinden von Kindern lässt sich zudem durch eine Reduktion der prä- und postoperativ Flüssigkeits- und Nahrungskarenz auf ein Minimum verbessern.
Wichtig zur Reduktion der Schmerzempfindung sind auch bei Kindern nichtmedikamentöse Maßnahmen wie physiotherapeutische, ergotherapeutische und psychologische Interventionen. Durch rechtzeitige Anwendung topischer Analgetika können notwendige Punktionen und Kannelierungen bei Kindern schmerzärmer durchgeführt werden. Bei den jüngsten Patienten müssen nur die Dauer der Applikation und die verwendete Menge beachtet werden. Orale Zuckerstoffe (Glukose/Saccharose 20–30%) reduzieren die Schmerzäußerung und die physiologische Schmerzantwort bei leicht schmerzhaften Interventionen bei Früh- und Neugeborenen sowie jungen Säuglingen. Das Auftreten von Hyperalgesien durch repetitive Schmerzereignisse kann aber nicht verhindert werden.
Facilitated tucking (halten in Froschstellung), nichtnutritives Saugen, Stillen, multisensorische Stimulation und Kängurupflege (Haut-zu-Haut-Kontakt) können bei Früh- und Neugeborenen bei leichten schmerzhaften Maßnahmen zur Reduktion der Schmerzäußerung und der physiologischen Schmerzantwort unterstützend eingesetzt werden.

Weitere Informationen

Der erste Artikel „Hintergrund, Ziel, Methodik und Kernaussagen“ ist unter www.oegari.at/aktuell frei zugänglich. Die gesamte Handlungsempfehlung wurde in „Der Schmerz, 2014 Feb 28(1): 7–81“ publiziert.

Literatur bei der Verfasserin