Umgang mit psychischen Erkrankungen: „Seismograf für die Demokratisierung“

Wie man mit psychischen Erkrankungen umgeht, ist auch ein Seismograf für die Demokratisierung einer Gesellschaft“, sagte Univ.-Prof. Dr. Beate Wimmer-Puchinger.
Immer noch bestehen bei der psychischen Gesundheit in Österreich Defizite: einerseits was die gesellschaftliche Akzeptanz von psychischen Erkrankungen betrifft, andererseits auch was den Zugang zu Behandlung und insbesondere zu deren Finanzierung betrifft. Lücken, die nun endlich geschlossen werden sollen: Gesundheitsminister Rudolf Anschober will die psychische Gesundheit zum zentralen Thema seiner Gesundheitspolitik machen.
Vor kurzem wurden dazu die Ergebnisse einer repräsentativen österreichweiten Umfrage* vorgestellt, die einmal mehr den Handlungsbedarf unterstreichen. 1.000 Personen waren in der ersten Märzhälfte befragt worden – noch vor dem Shut-down. Es ist davon auszugehen, dass sie jetzt zumindest gleich, wenn nicht noch dramatischer ausfallen würde, wie Dr. Sophie Karmasin bei der Präsentation der Daten anmerkte.
4 von 10 der Befragten gaben an, schon einmal von einer psychischen Erkrankung betroffen gewesen zu sein oder aktuell daran zu leiden. Die Ergebnisse offenbaren nicht nur die Lücken in der Versorgungsicherheit, sondern auch die Angst vor Stigmatisierung. Nur 63 % der Befragten würden eine psychische Erkrankung im familiären Umfeld oder Freundeskreis thematisieren. Im Kontext des Berufsalltags sind es noch viel weniger: nur 21 %.
Obwohl die Bereitschaft, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, mit 89 % hoch ist, sind nur 13 % mit der Versorgungssituation sehr zufrieden und 30 % zufrieden. Auffällig ist vor allem die geringe Zufriedenheit mit der Information über Berufsgruppen, Behandlungsangebote und Finanzierung. Nur ein Viertel der Befragten hält die Information über die Finanzierung für ausreichend. Stichwort Finanzierung: Eine selbstfinanzierte Behandlung ist für mindestens 65 % nicht leistbar.

Eine Art „Clearing-Struktur“ im Dschungel der Angebote

Eigentlich schon für den Beginn der Legislaturperiode geplant, will Anschober nun im Herbst einen Arbeitsprozess – mit allen involvierten Berufsgruppen und Betroffenen – starten, der auch im Zugang zur Behandlung eine Gleichstellung von psychischen mit körperlichen Erkrankungen schaffen soll. Dazu bedürfe es eines Gesamtkonzeptes und einer Art „Clearing-Struktur“. Mit anderen Worten: eine Stelle, die jedem/jeder Betroffenen einen finanzierbaren und leistbaren Zugang zu adäquater Behandlung gewährleisten soll. Dabei werde es bei der Frage, wer in welchem Bereich durch wen welche Unterstützung brauche, auch um Effizienz gehen – „nämlich um Effizienz für beide Seiten“, wie Anschober erläutert.
Auf die Frage der Ärzte Krone, durch wen denn dieses Clearing erfolgen sollte, betont er, dass es eine „Clearingstelle durch Spezialisten“ sein müsste. Diese könnte Zeit, Ressourcen und Betroffenen auch Irrwege ersparen.

* Studie des Berufsverbandes Österreichischer PsychologInnen, durchgeführt von Karmasin Research & Identity