Suchterkrankungen: Wie viel ist zu viel?

Laut dem Europäischen Drogenbericht konsumierten 50 Millionen Männer und 32 Millionen Frauen, entspricht 28,9 % der EU-Einwohner mindestens einmal in ihrem Leben eine illegale Droge.

Illegale Drogen

Am häufigsten wurde Cannabis konsumiert – etwa 5-mal so oft wie andere Drogen. Die Prävalenzzahlen für Kokain, Amphetamine, MDMA und Opioide sind deutlich niederer. Bei allen Drogen, sowohl bei der Lebenszeitprävalenz als auch bei der Prävalenz des vergangenen Jahres, finden sich deutliche Geschlechtsunterschiede. Insgesamt berichten 2-mal so viele Männer über eine Drogenerfahrung als Frauen. Drei Viertel der Behandlungsfälle wegen Drogenabhängigkeit sind Männer. Der Einsatz von Hochrisikoopioiden wird auf 0,35 % der Bevölkerung geschätzt. Das entspricht 1 Million Opioidkonsumenten mit riskantem Konsum. Opioide waren an 76 % der tödlich verlaufenden Überdosierungen beteiligt. Mehr als drei Viertel der Todesfälle durch Überdosierung traten bei Männern auf.

Alkohol

Der jährliche Pro-Kopf-Konsum an Reinalkohol beträgt in Österreich 11,9 Liter. Männer und Frauen unterscheiden sich sowohl in der Trinkhäufigkeit als auch in der Trinkmenge. Der tägliche Alkoholkonsum wird von Männern 4-mal so häufig angegeben, der mehrmalige Alkoholkonsum pro Woche wird bei Männern im Vergleich zu Frauen immer noch doppelt so häufig angegeben. Bei sehr geringem Alkoholkonsum und abstinentem Verhalten in den letzten 12 Monaten sind Frauen 2-mal so oft zu finden. Die Alkoholabhängigkeit ist eine chronisch rezidivierende Erkrankung mit deutlicher Lebensqualitätseinschränkung und Lebenszeitverkürzung. Wie alle Abhängigkeitserkrankungen ist auch die Alkoholabhängigkeit vorwiegend eine Erkrankung der Männer. Im Laufe ihres Lebens erkranken 14 % der Männer und 6 % der Frauen an einer Alkoholsucht. Ging man vor einigen Jahren noch von einem Verhältnis 4 : 1 aus, konnte man seit längerer Zeit eine Verschiebung hin zu den Frauen beobachten. Heute geht man von 5 % Alkoholismus in der österreichischen Bevölkerung aus, davon 7,5 % Männer und 2,5 % Frauen.

Unterschiedliche Grenzmengen bei Frauen und Männern

Auf Grund der unterschiedlichen Körperfett- und Körperwasserverteilung steigt der Blutalkoholspiegel bei Frauen bei gleicher Trinkmenge deutlich höher als bei Männern an. So liegt die Harmlosigkeitsgrenze bei Frauen bei 16, bei Männern bei 24 Gramm Alkohol am Tag. Die Gefährdungsgrenze am Übergang zum Hochrisikobereich wird bei Frauen mit 40 und bei Männern mit 60 Gramm am Tag angegeben. 0,25 Liter Wein oder 0,5 Liter Bier enthalten ca. 20 Gramm Alkohol.

Leberzirrhose

Laut einer Studie von Jonel Trebicka, im Lancet publiziert, ist die Leberzirrhose in Mitteleuropa die vierthäufigste Todesursache. In dieser deutschen Studie wurden 250 Millionen Krankenhausaufenthalte über einen Zeitraum von 14 Jahren untersucht. Die Sterblichkeit bei Leberzirrhose im Krankenhaus wurde mit ca. 10 % angegeben. Somit ist die Leberzirrhose die tödlichste chronische Erkrankung bei Spitalsaufenthalten. Als Hauptursache dominiert der Alkoholmissbrauch. Zwei Drittel der Todesfälle waren Männer. Es sterben mehr Männer an alkoholbedingter Leberzirrhose wegen der höheren Prävalenz der Alkoholabhängigkeit, aber bei Frauen dürfte der Alkohol eine höhere Lebertoxizität haben, und die Zirrhose entwickelt sich schneller. Die Gründe dafür liegen neben dem bereits erwähnten Unterschied von Körperfett und Wasser auch in der Wirkung der Sexualhormone und in einer etwas anderen Alkoholdehydrogenase.

Schwangerschaft

Alkohol: Kleine Alkoholmengen – Anomalien an Kopf und Gesicht, Missbildungen der inneren Organe; fetales Alkoholsyndrom – Risikofaktor für die Entwicklung von Impulskontrollstörungen, Aufmerksamkeitsdefizits-/Hyperaktivitätsstörungen, Suchtentwicklung im Erwachsenenalter; Alkoholembryopathie – körperliche und geistige Retardierung, keine Behandlungsmöglichkeit; von Alkoholkonsum während der Schwangerschaft muss generell abgeraten werden.
Nikotin: Frühgeburten, geringes Geburtsgewicht, Entzugssymptomatik, Risikofaktoren Verhaltensauffälligkeiten und ADHS.
Cannabis: geringes Geburtsgewicht, Ruhelosigkeit mit Tremor
Kokain: evtl. Früh- und Fehlgeburten, Vermutung von teratogener Wirkung; Fehlbildungen betreffen oft Herz und Urogenitaltrakt.
Benzodiazepine: mehrwöchiges Entzugssyndrom („floppy infant syndrome“) des Neugeborenen, teratogene Wirkung nicht geklärt, evtl. Auslöser für Miss-bildungen im Gesicht (Lippen-Kiefer-Gaumen-Saumenspalten)
Opioide: kein teratogener Effekt; rasche Blutspiegelschwankungen wie beim intravenösen Heroinkonsum bergen ein erhöhtes Risiko für Früh- und Fehlgeburten. Am 2. bis 3. postpartalen Tag kann sich ein neonatales Abstinenzsyndrom (NAS) entwickeln und mehrere Wochen anhalten. Behandlung durch Morphintropfen, wichtig – Einleitung psychosozialer Begleitmaßnahmen vor der Geburt; bei Opioidabhängigkeit (Heroin, Opium, Morphium) ist die Opioidsubstitutionstherapie Therapie der Wahl. Die Entzugsbehandlung von Opioiden ist kontraindiziert.

Traumatisierung

Die Suchterkrankung ist häufig mit einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) verbunden. Hier kann die PTBS als Ursache für die Suchterkrankung fungieren und das Suchtmittel im Sinne einer Selbstmedikation verstanden werden. In der Anamnese von Sucht-erkrankten finden sich überdurchschnittlich häufig Traumatisierungen, wobei Frauen deutlich öfter von sexueller Gewalt betroffen waren. Die Abhängigkeitserkrankung und die mit ihr einhergehende Lebenssituation ist selbst wieder mit einer erhöhten Gefahr der Traumatisierung verbunden. Die erhöhte Gewaltbereitschaft und Enthemmung in alkoholisierten Gruppen sind eine hinlänglich bekannte Erklärung. Im Bereich der illegalen Drogen führen die Beschaffungskriminalität und ihre Folgen zu wiederholten traumatischen Erfahrungen, wobei Männer mehr Eigentumsdelikte begehen und Frauen häufiger als Sexarbeiterinnen ihren Drogenkonsum zu finanzieren versuchen. Diese Komorbidität erfordert eine integrativen Behandlungsansatz.

Zukunft

Im Rahmen der suchtmedizinischen Behandlung sind unterschiedliche Bedürfnisse von Männern und Frauen zu beachten. In Zukunft ist ein vermehrt genderorientiertes Hilfsangebot wünschenswert und anzustreben. Weitere Forschungsergebnisse werden dazu beitragen, die Therapieangebote punktgenauer anbieten zu können.