SVA: Bonussystem ist nun fix

Das Ergebnis der ersten SVA-Urbefragung liegt vor und mit ihm entscheidende Festlegungen über den künftigen Weg der SVA. „Wir haben die Versicherten der SVA zur Mitgestaltung eingeladen, und ich bin sehr stolz, dass so viele dieses Angebot angenommen haben“, so SVA-Obmann Dr. Christoph Leitl.
Die Versicherten deponierten bei der Urbefragung ihre Meinungen zu den Themen Prävention und Eigenverantwortung, zum Selbstbehaltsystem, zur Zukunft des solidarischen, einkommensabhängigen Beitragssystems und zu den Wünschen an die SVA.
„Für uns war auch von der ersten Sekunde an klar, dass das Ergebnis der Urbefragung – egal wie es aussieht – für uns ein Umsetzungsauftrag sein wird“, betonte Leitl: „Wir haben nun fast 120.000 Versicherte hinter uns, wenn wir ab sofort in die Verhandlungen mit Gesundheits-, Sozial- und Wirtschaftsminister gehen, und wir werden mit aller Kraft für die Anliegen unserer Versichertengemeinschaft kämpfen.“
Das Präventionsprogramm „Selbständig gesund“ wird nicht nur akzeptiert, sondern mit 58,3% an erster Stelle der Themenpriorisierung gereiht. Damit wird das Pilotprojekt nun in den Regelbetrieb übergeführt und als fixe Leistung der SVA angeboten – unverändert wie bisher, basierend auf Freiwilligkeit und mit einem attraktiven Bonussystem.
Ein sehr klares Votum gibt es beim Thema Eigenverantwortung: 82,9% sind für die Beibehaltung des Selbstbehaltes und gegen eine Beitragserhöhung. Auch bei der Frage nach einer stärkeren Umverteilung ist das Ergebnis eindeutig: 79,5% sind für Versicherungsbeiträge, die nach dem Einkommen gestaffelt sind. „Das ist ein klares Bekenntnis zur bestehenden Form der Beitragsaufbringung durch unsere Versicherten. Sie stehen eindeutig zu einem einkommensabhängigen Beitrag und einem Selbstbehalt bei Inanspruchnahme von Leistungen“, so Leitl. Er meint zur Beteiligung bei der Urbefragung: „Fast 22% Beteiligung – 118.600 retournierte Fragebögen! Dieses Ergebnis ist ein großer Erfolg, sogar nach den Maßstäben der Kritiker, die diesen Weg der direkten Einbindung unserer Versichertengemeinschaft von Anfang an schlechtgeredet haben.“
Der Stv. SVA-Obmann Peter McDonald präsentierte die wichtigsten Ergebnisse der Auswertung:

  • 543.798 versandte Fragebögen
  • 118.600 abgegebene Fragebögen
  • 21,8% Beteiligung
  • 99,1% gültige Stimmen
  • 
82,9% für Beibehaltung des Selbstbehaltes
  • 79,5% für Beibehaltung einkommensorientierte Beitragsentrichtung
  • 
Beteiligung nach Geschlecht: 37,8% Frauen, 62,2% Männer (entspricht der Versichertenstruktur)
  • Beteiligung nach Alter: 61,2% zwischen 40 und 65 Jahre, 21,2% über 65, 17,6% unter 40


Top-3-Wünsche der Versicherten:


  1. 58,3% für geringere Beiträge/Selbstbehalte für gesunden Lebensstil
  2. 29% für Vereinfachung von Ausnahmemöglichkeiten von der Pflichtversicherung bei geringen Einkünften und bei den Mehrfachversicherungen
  3. 25,4% bzw. 23,3% für schrittweise Senkung der Mindestbeiträge und einengrößeren gesetzlichen Spielraum für Hilfe bei individuellen Zahlungsschwierigkeiten

„Einen ersten großen Erfolg können wir bereits bei einer weiteren zentralen Forderung unserer Versicherten verbuchen“, so McDonald. „Bei der Frage nach Krankengeld für Selbständige und Verbesserung bei Wochen- und Kinderbetreuungsgeld spricht sich mit 48,4% der Frauen eine große Zahl direkt Betroffener für Verbesserungen aus. Und genau in diesem Bereich konnten wir schon einen großen Schritt machen und eine völlig neue Unterstützungsleistung bei längerer Krankheit auf den Weg bringen. Diese finanzielle Absicherung ist nicht nur eine wichtige Sozialmaßnahme für Unternehmer und ihre Familien, sondern auch ein wichtiges Sicherungsnetz für die heimische Wirtschaft und ihre Arbeitnehmer.“
Obmann-Stellvertreter Wilhelm Turecek berichtete von den drei wichtigsten Servicethemen, auf die sich die Befragten bei der Urbefragung festlegten: „Mehr Transparenz bei der Beitragsvorschreibung (50,8%), Ausbau individueller Beratung (33,4%), Informationsausbau im Internet (23,6%). Die SVA ist in einem kontinuierlichen Reformprozess und konnte schon wichtige Schritte auf dem Weg zum kundenorientierten Dienstleistungsunternehmen machen. Dennoch gibt es immer etwas zu tun – die Urbefragung hat hier wichtige Arbeitsaufträge für uns geliefert –, denn wichtige Punkte funktionieren noch nicht so, wie es die Versicherten gerne hätten.“ Hier ist die SVA aufgerufen, notwendige Schritte in den Bereichen Beitragszahlung, Bürokratie und Onlineservices zu setzen.

 

Kommentar von Dr. Kurt Roitner: „Gesundheitskasse SVA – eine Erfolgsgeschichte oder der höchst zweifelhafte PR-Versuch der Gesundheitspolitik?“

 

Juli 2010 – ein Rückblick:

Nach wenigen vertragslosen Tagen einigten sich vor über zwei Jahren WK-Präsident Dr. Christoph Leitl und Ärztekammerpräsident Dr. Walter Dorner beim Heurigen auf zwei wesentliche zukunftsweisende Punkte:

  1. Die VA der gewerblichen Wirtschaft führt das Vertrauensarztmodell ein.
  2. Die VA der gewerblichen Wirtschaft entwickelt sich zu einer Gesundheitskasse. Echte Prävention, d.h. Unterstützung beim Gesundbleiben anstelle von teuren Behandlungen und für den Patienten oft leidvollen Erkrankungen sollte das Maß der Dinge werden.

Die Voraussetzungen waren für beide Bereiche bestens.
Das Vertrauensarztmodell war innerhalb der Ärztekammer abgesegnet. Den freiwillig daran teilnehmenden SVA-Versicherten sollte mit einer Ermäßigung des Selbstbehaltes der Umstieg erleichtert werden.
Auch die gewerbliche Wirtschaft hatte über Jahre schon vorbildhafte, patientenfreundliche Angebote geschaffen: Wochenendseminare zur Raucherentwöhnung, Bewegungsförderung oder Gewichtsabnahme wurden zwar nur von wenigen Versicherten in Anspruch genommen, diese waren jedoch davon meist begeistert.
In einem Pilotversuch hätte nach einer Vorsorgeuntersuchung der Arzt des Vertrauens als Motivator den Versicherten mit Lebensstilproblemen diese Angebote ans Herz legen können.
Gekommen ist leider eine aus vielen Gründen höchst bedenkliche PR-Aktion. Zwei grundsätzliche Kritiken seien hier angeführt:

  1. Die VU neu aus dem Jahr 2005 hatte bei der Evaluierung inzwischen viele Schwächen aufgezeigt. Auch diesbezügliche ÖGAM-Vorschläge wurden nicht berücksichtigt.
  2. Im Wesentlichen geht es um die folgenden fünf Gesundheitsziele:

Ziel 1: Blutdruck

Realistisch und nach Leitlinien ist eine einzelne Messung für eine Diagnosestellung nicht ausreichend, eine 24-Stunden-Blutdruckmessung wird im Honorarkatalog von der SVA weiterhin verwehrt.

Ziel 2: Gewicht


Das starre Schema „BMI 20–25“ entspricht nicht den WHO-Kriterien; eine große deutsche Studie hatte vielmehr der Relation „Körpergröße zu Taillenumfang“ als Indikator eine bessere Vorhersagekraft bestätigt. Bei vielen chronischen Krankheiten ist auch ein leichtes Übergewicht mit einer verbesserten Überlebenswahrscheinlichkeit verbunden.

Ziele 3–5 (die drei „Glaubensfragen“): Bewegung, Alkohol und Nikotin


Hatte man schon bisher im geschützten Bereich der Arztordination oft Schwierigkeiten, eine ehrliche Antwort zu bekommen, so werden mit der Koppelung an die Selbstbehaltsreduktion diese Gesundheitsziele völlig ad absurdum geführt. Patienten werden vermehrt versuchen, die Antwort auf das gewünschte Ergebnis hinzutrimmen. Es kann nicht die Aufgabe des betreuenden Arztes sein, die Rolle eines Detektivs zu übernehmen. Damit würde langfristig der Arzt-Patienten-Beziehung ein großer Schaden zugefügt.
Manche Kollegen lassen daher diese Fragen bewusst – und ohne näher auf sie einzugehen – vom Patienten ausfüllen.
Wie viele Raucher werden wegen dieser geringen Selbstbehaltsreduktion ihre Suchtkrankheit aufgeben? Wie viele Alkoholiker haben es bisher wegen einer Einzelintervention geschafft, dauerhaft das Trinken zu lassen? Warum führen fast alle Diätprogramme nur zu einem kurzzeitigen Erfolg und langfristige eher zu einer Gewichtszunahme?
Alles ernste Fragen, für die die Verantwortlichen der SVA allzu leichte Antworten wissen.
Es bestehen auch Bedenken zum Datenschutz:
Sensible Daten wie übermäßiger Alkoholkonsum werden nun von der Versicherung über die Bonustür eingefordert.

Neuer Beruf: Gesundheitscoach?


Ich möchte hier nicht falsch verstanden werden: Ich halte es für eine faszinierende und lohnenswerte Aufgabe, zusammen mit Patienten, die an Zivilisationserkrankungen leiden, langfristige Lebensstiländerungen zu erzielen. Dazu braucht es jedoch ein entsprechendes Umfeld, ausreichendes Sachwissen, beste kommunikative Voraussetzungen, vor allem viel Zeit und ein Netzwerk im therapeutischen Bereich (Ernährung, Bewegung …).
Da die SVA in einem lapidaren Satz erklärte: „Für diese Leistung ist ein Honorar nicht vorgesehen“, erübrigt sich eine Diskussion über die Ernsthaftigkeit dieser Idee. Welcher Arzt wird auf Dauer ehrenamtlich diese Aufgabe übernehmen?
Das propagierte Bonussystem ist für all jene, die es nicht schaffen, ein Malussystem. Gerade die sozial Schwachen, die es auch bei den SVA-Versicherten in einer beträchtlichen Anzahl gibt, werden häufig alle fünf Ziele nicht erreichen. Dieses System führt uns von einem solidarischen Gesundheitssystem weg.
Lediglich BM Alois Stöger hat diese Gefahr erkannt.
Im Rahmen der diesbezüglichen Urbefragung haben sich die Versicherten erwartungsgemäß jedoch für dieses Modell ausgesprochen. Obwohl es weltweit für die Wirksamkeit von Einmalinterventionen keine Evidenz gibt, sich finanzielle Anreize langfristig noch nie bewährt haben und auch das jetzige Programm noch nicht evaluiert wurde, soll es nun in den Regelbetrieb überführt werden – ein Beweis dafür, dass in den gesundheitspolitischen Entscheidungen oft Laienwissen viel höher gewertet wird als Fachwissen und Praxiserfahrung.
Das gescheiterte Pilotprojekt zur e-Medikation hat ja eindrucksvoll bewiesen, dass theoretische Überlegungen in der Praxis oft nicht umsetzbar sind. Nach dessen Evaluierung ist klar geworden, dass das Programm völlig neu – und nun in Zusammenarbeit mit den anwendenden Ärzten – gestaltet werden muss.
Diese Vorgehensweisen könnten auch einen Vorgeschmack auf die anstehende Gesundheitsreform geben. Hier werden Interessenvertreter der Länder und des Bundes ihre Ziele definieren – ohne jegliche Rückkoppelung mit der täglichen Erfahrung in den Praxen.
Hoffentlich bleiben dabei nicht die Patienten auf der Strecke!

 

Dr. Kurt Roitner
Arzt für Allgemein- und Sportmedizin, Bezirksärztevertreter, Braunau

 

Ihre Meinung an:
Dr. Hannelore Nöbauer