Telemedizin – quo vadis?

In seiner Begrüßungsrede rief Jan Oliver Huber, Leiter des Gesundheitspolitischen Forums und Vorstandsmitglied der Karl Landsteiner Gesellschaft, Bund, Länder und Gemeinden dazu auf, für die nächsten Schritte in Richtung einer Gesundheitsreform „ganzheitliche Vorschläge zu erarbeiten und das Gesundheitssystem nicht immer nur aus dem eigenen Blickwinkel zu betrachten.
Denn dann können schrittweise Verbesserungen gelingen. Die Telemedizin eröffnet dabei gute Unterstützungsmöglichkeiten.“

Telemedizin kann Ärzt:innen entlasten

Mag. Dr. Anton Dunzendorfer, Head of Competence Unit Digital Health Information Systems am AIT Austrian Institute of Technology GmbH, widmete sich dem Thema Telemedizin aus technischer Sicht und begann mit einer Bestandsaufnahme: „Obwohl wir uns schon seit Jahrzehnten mit Telemedizin beschäftigen, ist diese in Österreich noch immer nur ein zartes Pflänzchen. Dabei stehen für verschiedene chronische Erkrankungen bereits seit mehreren Jahren gute telemedizinische Angebote zur Verfügung.“ Als Beispiele nannte er den Gesundheitsdialog Diabetes der BVAEB (Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau), der seit 2010 im Einsatz ist und an dem bereits über 1.500 Patient:innen teilgenommen haben, und Herzmobil (in Betrieb in Tirol, in der Steiermark und in Kärnten), bei dem Herzinsuffizienz-Patient:innen mit einer mobilen App und einem Blutdruckmessgerät ausgestattet werden. „Mit Herzmobil Tirol erreicht man eine relative Risikoreduktion in 12 Monaten für Tod um 65 % und für Wiederaufnahme ins Krankenhaus in 6 Monaten um 39 %. Dabei ist das Projekt sehr kosteneffektiv: Pro Patient:in können mit Herzmobil Tirol im Mittel 955 Euro eingespart werden.“

Für Dunzendorfer zeigen diese Beispiele, dass Telemedizin verstärkt im österreichischen Gesundheitssystem implementiert werden sollte, um die auf uns zukommenden Herausforderungen – Zunahme der zu betreuenden älteren Menschen bei Abnahme von möglichen Betreuungspersonen, Zunahme chronischer Erkrankungen, fortschreitender Fachkräftemangel, Teuerung, Folgen des Klimawandels etc. – bewältigen zu können. „Doch derzeit denken wir noch immer in Mauern, indem wir den extra- vom intramuralen Bereich trennen“, erklärte Dunzendorfer. Telemedizin könnte dieses Denken und diese Strukturen in seinen Augen aufbrechen: „Damit dies gelingt, braucht es aber ein neues Denken, auch bei der Finanzierung von Telemedizin. Dann hätte digitale Medizin großes Potenzial, auch in der Prävention. Zudem könnten digitale Tools Ärzt:innen bei ihren Entscheidungen unterstützen und so auch hier helfen, Ressourcen einzusparen!“ Als weiteren Punkt, an dem Österreich nachbessern müsste, sieht er die Verknüpfung der Gesundheitsdaten – „dies wäre für die Forschung und in weiterer Folge auch wieder für die Versorgung von großer Bedeutung“, so Dunzendorfer.

Digitale Medizin lehren und lernen

Univ.-Prof.in Dr.in Anita Rieder, Vizerektorin für Lehre und Leiterin vom Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien, berichtete über die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Ausbildungen von Ärzt:innen. „Die digitale Lehre – also Lehrinhalte mit Hilfe digitaler Tools zu vermitteln – ist das eine. Das andere ist die Herausforderung, die Studierenden an die digitale Medizin heranzuführen“, betonte sie.

Um die „future doctors“ in digitaler Medizin auszubilden, gibt es bereits nationale und europäische Strategien. Ein wichtiger Schritt ist laut Rieder, digitale Medizin im Kernkurrikulum zu integrieren. „Wichtig ist, den Studierenden in Bezug auf digitale Medizin mehrere Kompetenzen zu vermitteln. Zum einen die digitalen Kompetenzen, zu denen die Kenntnisse über die neuen technischen Möglichkeiten in der Medizin etc. gehören, zum anderen aber auch agile Kompetenzen, wie z. B. das Verstehen von Organisationen, in denen Telemedizin stattfindet sowie ethische und interprofessionelle Kompetenzen.“

Zudem müssen auch die Auswirkungen der digitalen Transformation des Gesundheitswesens auf die Patient:innen berücksichtigt werden, so Rieder: „Die Telemedizin erfordert von den Patient:innen viel eigenes Management ihrer chronischen Erkrankung. Damit dies gelingt, müssen wir die Digital Literacy, die Data Literacy und die Health Literacy in der Bevölkerung stärken!“

1450: Lotsensystem mit Belohnungsanreiz

DI (FH) Volker Schörghofer, Direktor des Dachverbands der Sozialversicherungsträger, beleuchtete in seinem Vortrag die Bedeutung von 1450 als Telekonsultation mit sehr niedrigschwelligem Zugang: „Seit 2017 steht diese Gesundheitsberatung bereits zur Verfügung und wird von diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegepersonen, unterstützt von einem internationalen Expertensystem, 24 Stunden und 7 Tage die Woche betreut. Das Ziel ist, dass bei jedem Anruf eine Handlungsempfehlung, also ob Selbstbehandlung/Apotheke, Ärzt:in, Spitalsambulanz oder die Rettung angezeigt ist, mitgegeben wird.“ Nachdem es während der Pandemie zu starken Überlastungen von 1450 kam, sind die Zahlen der Anrufer:innen derzeit laut Schörghofer wieder auf niedrigem Niveau, doch eine aktuelle Kampagne, die auf die Gesundheitsberatung 1450 hinweist, soll dies ändern. „Das Zukunftsmodell des österreichischen Gesundheitswesens sieht so aus: digital unterstützt vor ambulant vor stationär. Das heißt, als erster Schritt sollte immer eine Konsultation via 1450 erfolgen; von dort werden die Anrufer:innen in einer Art Lotsensystem weitergeleitet“, erklärte Schörghofer weiter. Dabei ist auch ein Belohnungsanreiz vorstellbar: „Wer von 1450 in die Spitalsambulanz geschickt wird, soll dort bereits angekündigt worden sein und kommt schneller dran als jene, die ohne 1450-Anruf direkt in die Ambulanz gefahren sind.“

Ein derzeit noch offener Diskussionspunkt auf politischer Ebene ist laut Schörghofer, ob nach 1450-Anruf weitere notwendige Telekonsultationen mit Ärzt:innen, z. B. für E-Rezept-Ausstellung über niedergelassene Ärzt:innen, erfolgen soll oder ob eigene Zentren für Telemedizin geschaffen werden.

Ziel: Arbeitserleichterung und Ergebnisverbesserung

Univ.-Prof. Dr. Josef Smolle, ÖVP-Abgeordneter im Nationalrat und Bereichssprecher für Gesundheit, begrüßt den niederschwelligen Zugang zu 1450, wünscht sich aber, dass dort auch medizinische Beratung stattfindet: „Spitalsambulanzbesuche ließen sich – vermehrt – verhindern, wenn 1450 zum/zu der Ärzt:in verbinden könnte. Das wäre der wichtige nächste Schritt. Zudem sollte 1450 nicht nur telefonisch, sondern auch per Videochat erreichbar sein.“

Weitere Bereiche, in denen Telemedizin seiner Ansicht nach in Zukunft eine vermehrte Rolle spielen wird, sind folgende:

  • Telekonsultation, d. h. ein Arzt-Patienten-Gespräch mit räumlicher Distanz
  • Telemonitoring: Hier sieht Smolle Potenzial bei chronischen Erkrankungen wie Herzinsuffizienz, rheumatoide Arthritis etc. „Durch Telemonitoring kann z. B. die Medikamentendosierung individuell angepasst werden“, nennt er einen wesentlichen Benefit.
  • Apps im Bereich Prävention
  • Künstliche Intelligenz: „KI kann riesige Datenmengen viel besser und schneller bearbeiten als ein Mensch, d. h., bei der Datenauswertung von Telemonitoring wird uns KI gute Dienste leisten.“

Und was sind für ihn die Erfolgsfaktoren von telemedizinischen Tools? „Sie müssen die Arbeit der Ärzt:innen erleichtern, und sie müssen die Ergebnisse für die Patient:innen verbessern, dann setzt sie jede:r mit Begeisterung ein“, so Smolle abschließend.