„Viele Systemerkrankungen manifestieren sich an der Haut“

Was macht das Besondere am Fach Dermatologie aus?

Klemens Rappersberger: Das Besondere an der Dermatologie ist die unglaubliche medizinische Breite. Dazu zählen die klassischen, häufigen Hautkrankheiten (Impetigo, Acne vulgaris, Ekzeme et cetera), die große Gruppe der immunologischen Krankheiten (Psoriasis, Neurodermitis, bullöse Autoimmunkrankheiten et cetera) und Infektionen (Erysipel et cetera) und die stetig steigende Zahl onkologischer Krankheiten („weißer Hautkrebs“, Melanom, Merkel-Zell-Karzinom, Weichteiltumoren und Lymphome). Auch degenerative Krankheiten nehmen zu, und alle hier erwähnten Krankheiten können altersassoziiert, aber auch während des gesamten Lebens, vom Säuglings- bis ins Greisenalter, akut und/oder chronisch (rezidivierend) auftreten. Zudem manifestieren sich sehr viele Systemkrankheiten an der Haut und den hautnahen Schleimhäuten, wobei diese Symptome oft wegweisend für die Diagnose sind. Auch zählt kein anderes klinisches Fach so viele seltene Krankheiten, „orphan diseases“, bei manchen kann deren frühzeitige dermatologische Diagnose einen „bösen“ Verlauf verhindern, denken Sie nur an das Birt-Hogg-Dubé-Syndrom.
In unserem Fach vereinen wir besonders viele Subspezialitäten, wie die Venero-logie, die ja Teil der fachspezifischen Bezeichnung ist, Dermatochirurgie, Phlebologie/Angiologie, Allergologie, Photobiologie inklusive der verschiedenen Laserbehandlungen und als besondere Spezifika die lichtmikroskopische (Dermatohistopathologie/Immunmorphologie) und elektronenmikroskopische Diagnostik und – ganz wichtig – die Mikrobiologie. Es gibt für mich kein schöneres Fach.

Das Fach hat in den letzten Jahren auch eine rasante Entwicklung gemacht und war sowohl bei immunologischen als auch onkologischen Therapien mitunter Vorreiter. Was waren für Sie die größten Meilensteine?

Die wesentlichsten Bereicherungen der letzten 2 Jahrzehnte sind die Entwicklungen der Biologika und der „small molecules“ für die Behandlungen entzündlicher und onkologische Krankheiten: Patienten mit schweren Verlaufsformen der Psoriasis, der atopischen Dermatitis, des Pemphigus vulgaris werden erscheinungsfrei; Patienten mit metastasiertem Melanom im Stadium IV werden tumorfrei. Ständig werden neue Medikamente dieser Substanzgruppen für die Behandlung von inoperablen Plattenepithel-, Basalzell- und Merkelzell-Karzinomen, aber auch von Lymphomen zugelassen.

Was bedeuten diese Entwicklungsschritte und Erfolge nun konkret für die Betroffenen, die Patienten? Welche Auswirkungen hat das beispielsweise auf das Überleben beim Melanom?

Mit den neuen Biologika (IL-17- und IL-23-Inhibitoren) kann bei vielen Patienten mit hohem PASI-Score1, das heißt mit schwerer Psoriasis und großflächigem Hautbefall, innerhalb von zwei bis drei Monaten völlige Erscheinungsfreiheit erreicht werden. Patienten, die unter schwerer atopischer Dermatitis leiden, können dank neuer Therapien innerhalb von 2 bis 3 Monaten eine dramatische Verbesserung des EASI-Wertes2 um 70 bis 80 Prozent erreichen.

Die neuen Behandlungen des (metastasierten) Melanoms dürfen als „Erfolgsgeschichte“ bezeichnet werden. Bis zu 50 Prozent der Patienten mit metastasierenden Melanomen sprechen auf die neuen Therapieformen an. Betroffene, die bis vor Kurzem noch innerhalb weniger Monate verstorben wären, entwickeln heute durch die neuen Therapien ein Langzeitüberleben. Das bedeutet, dass die vormals tödliche Tumorerkrankung in eine chronische Erkrankung – mit oft nur unwesentlich beeinträchtigter Lebensqualität – übergeführt werden kann.

Daneben umfasst die Dermatologie aber auch durchaus interdisziplinäre Subfächer – beginnend bei der Allergologie bis hin zur Angiologie/Phlebologie. Wie interdisziplinär ist die Dermatologie?

Ich sehe die Dermatologie in vielen Fällen als das zentrale klinische Fach in der Humanmedizin. Viele entzündliche und onkologische Krankheiten manifestieren sich am Hautorgan, obwohl sie nicht primär Hautkrankheiten sind, oder entwickeln als primäre Hautkrankheiten auch Symptome an anderen Organsystemen. Daher müssen wir Dermatologen eng mit allen internistischen Fächern, Chirurgen, Pädiatern, Radiologen und Radiotherapeuten et cetera interdisziplinär zusammenarbeiten.

Eine ganz besondere Herausforderung ist das Management der vielen unterschiedlichen Nebenwirkungen der neuen onkologischen Therapien.

Und bietet die „sichtbare“ Manifestation einer Erkrankung nicht auch die Chance auf eine möglicherweise schnellere Diagnostik bestimmter Erkrankungen?

Natürlich! Gar nicht selten werden uns Patienten von anderen Fachdisziplinen mit ganz spezifischen kutanen oder mukokutanen Veränderungen (Blutungen, bestimmte Formen des Effluviums oder von Exanthemen) vorgestellt, die uns als Diagnostiker herausfordern. Hier geht es um Krankheiten, bei denen wir entscheidend zur (frühzeitigen) Diagnose beitragen sollten.

Wie würden Sie denn die Schnittstellen einerseits von Zentren mit den niedergelassenen Dermatologen, andererseits von Dermatologen und Allgemeinmedizinern beschreiben? Gibt es genug Dermatologen?

Ich spreche lieber von Zusammenarbeit als von Schnittstellen. Ich glaube, es gibt in Österreich prinzipiell genug Dermatologen. Österreich ist ein Land, in dem Patienten dermatologisch sehr gut versorgt sind. Allerdings sind wir in den Ballungszentren – und hier insbesondere in Wien, wo es fünf dermatologische Abteilungen gibt – mit der Situation konfrontiert, dass viele Patienten mit unkomplizierten Hautkrankheiten, die von niedergelassenen Dermatologen oder von Allgemeinmedizinern genauso gut versorgt werden könnten, primär Spitalsambulanzen aufsuchen.

Diese Situation ist aus meiner Sicht jedoch großstadtspezifisch. Darüber hinaus erfolgt in der Stadt, wo es eben viele Fachärzte gibt, der Zugang zum Facharzt ungesteuert, das heißt, Patienten gehen direkt zum Dermatologen, ohne den Allgemeinmediziner konsultiert zu haben. Im ländlichen Bereich ist die Situation sicher anders. Bis zu 30 Prozent aller Patienten, die im ländlichen Bereich eine allgemeinmedizinische Praxis aufsuchen, kommen mit dermatologischen Problemen. Das heißt, dort werden auch Patienten mit dermatologischen Fragestellungen primär vom Allgemeinmediziner betreut – und sie werden meist gut betreut!

Wo sehen Sie die Rolle der Allgemeinmedizin in der Versorgung von Patienten mit dermatologischen Fragestellungen?

Ich denke, dass Allgemeinmedizinern eine wichtige Rolle in der dermatologischen Versorgung zukommt und dass viele häufige Dermatosen von Allgemeinmedizinern sehr gut behandelt werden können. Das gilt beispielsweise für einfache Formen der Acne vulgaris, für Ekzeme, Varizellen/Herpes Zoster ebenso wie für Erysipele und andere häufige infektiöse Erkrankungen der Haut und vieles mehr. Nicht jeder Abszess bedarf einer fachärztlichen Behandlung. Allgemeinmediziner sind also wesentliche Partner in der dermatologischen Versorgung.
Ich sehe jedoch ein großes Problem auf uns zukommen, weil in der neuen Ausbildungsordnung die Dermatologie nur als „Freifach“ definiert ist, freiwillig und nicht mehr verpflichtend, wie in der „alten Ausbildung der Turnusärzte“.
Ich halte das für eine kontraproduktive und bedenkliche Entwicklung.

Sie sind seit Kurzem ÖGDV-Präsident. Was sind Ihre Ziele?

Ein Ziel ist die bessere Vernetzung der klinischen Abteilungen untereinander und mit dem „niedergelassenen Bereich“. Nur gemeinsam können wir entsprechende Leistungszahlen für unser Fach erheben und publizieren, welche die Wichtigkeit unseres Faches in der medizinischen Versorgung der Bevölkerung darstellen, und unsere Ausgangsposition bei Verhandlungen mit Standesvertretung und Gesundheitspolitikern verbessert.
Das andere Ziel ist die verstärkte Zusammenarbeit mit den Allgemeinmedizinern. Insbesondere geht es mir um entsprechende Angebote zur Fortbildung. Wir haben in unserem Fach ein hervorragendes Fortbildungsprogramm entwickelt, aber eben für uns Dermatologen. Ich glaube, dass wir unseren Allgemeinmedizinern mehr dermatologische Fortbildungen, maßgeschneidert für diese Berufsgruppe, anbieten müssen.

An welche Fortbildung denken Sie hier?

Ich denke an Fortbildung mit Relevanz für die tägliche Praxis. Die Dermatologie sollte in der Fortbildung nicht nur auf die neuesten Entwicklungen und Erfolge fokussieren, sondern auf die Fragestellungen in der Praxis eingehen und wieder zu den grundlegenden Krankheitsbildern zurückkehren, die häufig sind. Ich sage das auch selbstkritisch für unser Fach; es könnte sein, dass die Dermatologie in der Vergangenheit zu sehr auf Fortschritte und Befindlichkeiten des Faches fokussiert war. Das Ziel muss es aber sein, ganz spezifisch Allgemeinmedizinern wieder Diagnose- und Behandlungsstrategien zu vermitteln.

Allgemeinmediziner sind unsere ersten Kollegen in der Zusammenarbeit. So wie wir das Gemeinsame der Dermatologie mit den hochspezialisierten Internisten im Krankenhaus betreiben, müssen wir auch im niedergelassenen Bereich diese Zusammenarbeit zwischen Hautärzten und Allgemeinmedizinern fördern.

Ein besonderer persönlicher Wunsch ist es, die Dermatologie in der allgemeinmedizinischen Ausbildung wieder fix zu verankern – und wenn es nur 4 oder 6 Wochen an einer dermatologischen Abteilung sind. Ich glaube, im Team mitarbeiten zu dürfen und nicht nur als fünftes Rad am Wagen mitzulaufen würden alle, die ihre Ausbildung zum Allgemeinmediziner machen, vermutlich sehr begrüßen. Dermatologie ist natürlich sehr visuell, aber man kann sie nicht ausschließlich aus Büchern und an Bildern im Internet erlernen. In der praktischen Ausbildung sind auch andere Sinne gefragt, olfaktorisch, haptisch et cetera …

 

Vielen Dank für das Gespräch!

 

1 PASI (Psoriasis Area and Severity Index): Index zur Ermittlung des Schweregrades von Psoriasis

2 EASI (Eczema Area and Severity Index) zur Beurteilung des Schweregrades bei atopischer Dermatitis