18. Seggauer Fortbildungstage, 11.–12. Oktober 2014 : Arzneimitteltherapie – maßgeschneidert!

Das übergeordnete Thema der diesjährigen Seggauer Fortbildungstage lautete „Personalisierte Medizin – individuelle Therapie“. In zahlreichen Vorträgen wurde gezeigt, dass dies keine Zukunftsmusik, sondern bereits gelebter medizinischer bzw. pharmazeutischer Alltag ist.

Pharmakogenomik als Parameter für den Therapieerfolg

Univ.-Prof. Dr. Matthias Schwab, Universität Tübingen, erläuterte in seinem Vortrag die Bedeutung der Pharmakogenomik im Bereich der Onkologie. Zu beachten ist hierbei, dass für das Ansprechen eines Arzneimittels nicht nur die Genetik des Patienten relevant ist, sondern auch jene des jeweiligen Tumors. Durch pharmakogenomische Tests ist es möglich, potenzielle Non-Responder bereits vor Therapiebeginn zu erkennen. Gezeigt wurde dies anhand des Arzneistoffes Tamoxifen, welcher ein Prodrug darstellt und im Körper mittels CYP2D6 zu Endoxifen meta­bolisiert wird. Fehlt einer Patientin dieses Enzym, so kann die eigentliche Wirkform nicht gebildet werden. Die Pharmakogenomik ist jedoch nicht nur für die Onkologie bedeutend, sondern betrifft auch andere Bereiche, wie die Psychiatrie.

„Frauen sind keine leichteren Männer“

Die geschlechtsspezifischen Unterschiede von Krankheitsbildern und Arzneimittelwirkungen wurden von Univ.-Prof. Dr. Petra Thürmann, Universität Witten/Herdecke, Wuppertal, sehr anschaulich gezeigt. Es gibt deutliche Unterschiede in der Ausprägung, dem Empfinden und dem Verlauf von Erkrankungen zwischen den Geschlechtern. So schildern etwa Frauen teilweise andere Symptome bei einem akuten Herzinfarkt, weshalb die Diagnose vielfach noch zu spät gestellt wird. Auch Arzneimittel können geschlechtsspezifisch unterschiedlich (neben-)wirken. Exemplarisch wurden die Unterschiede anhand von ASS, Digoxin und Zolpidem erläutert. So werden etwa in Deutschland als Dosis für Zolpidem für Frauen nur 5 mg empfohlen. Auch haben weibliche Schmerzpatienten einen deutlich geringeren Opiatbedarf als Männer (ca. –40 %). Die Ursachen für diese Differenzen sind unter anderem im niedrigeren Körpergewicht, im höheren Fettanteil, im (zyklusabhängig) schwankenden Wasseranteil, in der geringeren Muskelmasse sowie in der Nieren- und Leberfunktion begründet. Der Östrogeneinfluss wird auch durch unterschiedliche Arzneimittelwirkungen bei prä- und postmenopausalen Frauen deutlich. In der Praxis wird diesen Fakten teilweise jedoch noch zu wenig Bedeutung beigemessen. In vielen Studien ist der Frauenanteil sehr niedrig, die Aussagekraft dann entsprechend gering.

Schilddrüsenerkrankungen sind weiblich

In kaum einem Bereich zeigen sich die geschlechtsspezifischen Unterschiede so deutlich wie bei Schilddrüsenerkrankungen. Dr. Wolfgang Buchinger, Institut für Schilddrüsendiagnostik und Nuklearmedizin Gleisdorf, zeigte zunächst die Bedeutung hormoneller Einflüsse auf die Schilddrüse. Am häufigsten treten Schilddrüsenerkrankungen bei Frauen zwischen der Pubertät und der Menopause auf. Östrogen scheint bspw. Autoimmunerkrankungen, wie etwa die Hashimoto-Thyreoiditis, zu begünstigen. Hohe Androgenspiegel hingegen haben vermutlich einen protektiven Effekt. Auch das Schilddrüsenkarzinom tritt bei Frauen wesentlich häufiger auf, was ebenfalls auf Einflüsse des Östrogens zurückzuführen ist (Zum Beispiel werden α- und β-Östrogenrezeptoren auch auf Schilddrüsenkarzinomzellen exprimiert). Weiters wurde die individuelle Schilddrüsenhormontherapie in Abhängigkeit von Geschlecht, Lebensalter, Kinderwunsch und Vorerkrankungen erläutert. So sind die TSH-Zielwerte bei jüngeren Personen niedriger als bei Senioren. Bei einer bestehenden Schwangerschaft gelten trimesterabhängig unterschiedliche Normbereiche. Die erforderlichen Thyroxin-Dosierungen bei Substitution sind ebenfalls altersabhängig. Auf Grund der verlängerten Halbwertszeit sind bei Senioren niedrigere Dosen erforderlich. Bei Einstellungen ist auf sinnvolle Kontrollintervalle zu achten. Bei jeder Dosisänderung dauert es ca. 6 Wochen, bis stabile Werte erreicht sind. Weitere Faktoren, welche die Thyroxin-Resorption beeinflussen, sind zum Beispiel gastrointestinale Erkrankungen, fehlender Abstand zwischen Tabletteneinnahme und Frühstück sowie Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln (Abstand zu Colestyramin, PPI, Sucralfat!).

Altersabhängigkeit bei Impfungen

Im Mittelpunkt des Vortrages von Univ.-Prof. Dr. Herwig Kollaritsch, Institut für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin, MedUni Wien, standen die unterschiedlichen Impfschemata bei Kindern, jüngeren Erwachsenen und Senioren. Kinder haben ein unreifes bzw. noch inkomplett maturiertes Immunsystem, was entweder eine differente Antigenkonzentration oder unterschiedliche Impfschemata in Bezug auf Erwachsene erfordert. Dies ist jedoch antigenabhängig, weshalb für jeden Impfstoff eigene Schemata vorliegen. So zeigen Kinder etwa geringe bis keine Antwort auf Kapsel-Polysaccharid-Impfstoffe (Abhilfe: Impfung mit Konjugatimpfstoffen, mehrere Teilimpfungen). Der Einfluss maternaler Antikörper ist namentlich im ersten Lebensjahr relevant, weshalb insbesondere Lebend­impfstoffe erst danach geimpft werden.

Ältere Menschen haben eine veränderte Immunantwort. Das Immunsystem ist einem schleichenden Alterungsprozess (ab dem 40. Lebensjahr) unterworfen. Dies wird häufig von (altersbedingten) Grundkrankheiten zusätzlich beeinflusst. Dies ist vor allem für die Primovakzination relevant, Auffrischungsimpfungen sind hingegen meist problemlos möglich, da die alte Memory erhalten bleibt.