Aktiv bis ins Alter

Die Gesellschaft altert, dabei werden wir alle in unserem Verhalten immer jünger: Jede Generation, die aufwächst, verhält sich um 7,4 Jahre „jünger“ als die Vorgängergeneration, beschreibt der Zukunftsforscher Tristan Horx das gesellschaftliche Phänomen des sogenannten „Down Ageing“. Beim großen, vom Bundesministerium organisierten „Pflegegipfel“ Ende März1 widmeten sich Vertreter der verschiedensten Institutionen dem Thema Pflege und Pflegefinanzierung. In seinem erfrischenden Gastvortrag, in dem er unterschiedliche Trends und Biografiemodelle für das Altern skizzierte, lenkte Tristan Horx, 25-jähriger Zukunftsforscher aus Deutschland, die Aufmerksamkeit auf die Frage, „wie“ man eigentlich alt ist und „wie“ man Alter erlebt. Genauso wenig wie es heute den typischen Jugendlichen gibt, gibt es den oder die typischen Alten: An Typologien ist da vom hochaltrigen „Golden Mentor“ bis zum „Grauen Zombie“ alles denkbar.1

Gesellschaft im Wandel

Daran anknüpfend stellt sich natürlich für jeden von uns auch die Frage, wie wir selbst einmal alt werden wollen, wie wir im Falle von Bedürftigkeit betreut werden wollen. Auch wenn wir uns, wie eingangs erwähnt, um mehr als 7 Jahre jünger verhalten als die vorige Generation, altern wir, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht. Beim 2. großen Gipfel der letzten Wochen, dem ersten österreichischen Geriatriegipfel2, veranstaltet von der Ärztekammer für Wien, ging es daher neben geriatrischen Betreuungskonzepten auch um die Frage, was würdevolles Altern bedeuten kann und wie es gelingen kann, Älterwerden als – positiven – Teil des Lebens und nicht als Abweichung von der fiktiven Norm einer „alterlosen Gesellschaft“ zu verstehen.
Befasst man sich mit dem Thema „Alter“, so stößt man auf zwei Kernaussagen, die immer wieder für Verunsicherung sorgen. Die eine betrifft den demografischen Wandel unserer Gesellschaft – Stichwort: „Überalterung“ –, die andere die Zunahme an Demenzkranken in der Gesellschaft: Mit steigender Lebenserwartung nimmt auch der Anteil der Hochaltrigen in der Gesellschaft zu. Die Zahl der Demenzkranken wird sich bis zum Jahr 2050 mehr als verdoppeln. Derzeit sind in Österreich geschätzte 100.000 Menschen an Alzheimer erkrankt, Schätzungen zufolge wird diese Zahl bis zum Jahr 2050 auf mindestens 230.000 ansteigen – andere schätzen die Zahl sogar auf über 300.000.

Die gute Nachricht …

Bei all diesen zum Nachdenken anregenden Zahlen gibt es jedoch auch eine gute Nachricht: Die Zunahme der Anzahl der Demenzbetroffenen liegt ausschließlich daran, dass die Zahl der Alten zunimmt, wie Univ.-Prof. Dr. Christoph Gisinger im Rahmen des Geriatriegipfels erläuterte: denn die Alzheimer-Inzidenz ist in den letzten Jahrzehnten sogar um etwa 20 % gesunken! Darüber hinaus haben neueste Erkenntnisse gezeigt, dass Demenz und Alter nicht unbedingt im konkludenten Zusammenhang zu sehen sind, dass es also nicht zwangsläufig zu Demenz kommt, wenn man ein hohes Alter erreicht hat, sondern das Demenzrisiko auch von sozialen und autonomiebestrebten Bedingungen sowie einer Reihe von gesundheitlichen Faktoren abhängig ist.

Lebensstil und Aktivität entscheidend

Zwar fehlen immer noch die lang erwarteten großen Durchbrüche in der Therapie. Allerdings ist eine Reihe von präventiven und Lebensstilmaßnahmen bekannt, die der Entwicklung einer Demenz vorbeugen können und damit einen günstigen Einfluss auf die Verzögerung der Progression haben.
Neben einer anregenden geistigen Betätigung und regelmäßigem Hirnleistungstraining kommt auch körperlichen Faktoren wie regelmäßiger Bewegung eine entscheidende Rolle im möglichst langen Erhalt der geistigen Kapazitäten zu. Bereits mehrere Studien haben positive Auswirkungen von Bewegung und körperlicher Leistungsfähigkeit gezeigt. So kam eine im Jahr 2017 publizierte Studie zu dem Schluss3, dass aerobes Bewegungstraining nicht nur einen indirekten Effekt hat, der dem aktiveren Lebensstil zuzuschreiben ist, sondern sogar einen unmittelbaren und kurzfristigen Effekt im Gehirnmetabolismus zeigt, der letztlich auch in radiologisch detektierbaren Unterschieden im Volumen der grauen Gehirnsubstanz resultiert.
Auch Musizieren, Singen und Tanzen hat einen positiven Effekt und wird zunehmend auch therapeutisch eingesetzt.

Risikofaktoren: Umgekehrt weiß man um eine Reihe von Risikofaktoren, die mit höherer Demenzwahrscheinlichkeit assoziiert sind. Neben metabolischen Faktoren und Erkrankungen wie Diabetes, Adipositas, aber auch Hypertonie und arteriosklerotischen Gefäßveränderungen, die vor allem als Risikofaktor für vaskuläre Demenzen gelten, ist auch die Schwerhörigkeit ein Faktor, durch den das Demenzrisiko erhöht wird.4 Einerseits werden hier direkte Effekte – das angestrengte Hören bindet alle kognitiven Ressourcen – angenommen, andererseits dürften Hörprobleme darum auch mit einer Abnahme der Gedächtnisleistung assoziiert sein, weil die Möglichkeit der Teilnahme reduziert und oft eine Spirale im sozialen Rückzug in Gang gesetzt wird.

Ein sozial aktives Leben mit anregenden Tätigkeiten, die Freude machen, plus Bewegung und gesunde Ernährung sind daher die Faktoren, die neben der entsprechenden Abklärung von Risikofaktoren und der entsprechenden Behandlung von Begleiterkrankung zur Prävention empfohlen werden, um der Entstehung von kognitiven Defiziten entgegenzuwirken oder sie zumindest zu verzögern.

Auch verschiedene phytotherapeutische Optionen wie Curcuma longa, Ginkgo biloba und auch Sojabohnen (siehe Kasten) sowie Mikronährstoffe, die durch heutige Ernährungsgewohnheiten oft nicht in ausreichendem Ausmaß über die Nahrung aufgenommen werden, können empfohlen werden. Zu Letzteren zählen neben Omega-3-Fettsäuren, Folsäure, die B-Vitamine, auch die antioxidativ wirksamen Vitamine A, C, E und Coenzym Q10.

 

Arzneipflanzen für das Gedächtnis

Curcuma longa, auch Gelbwurzel oder Gelber Ingwer genannt, ist schon länger für seine entzündungshemmenden Effekte bekannt. Neue Studien zeigen nun, dass Curcuma auch ein neuroprotektives Potenzial zukommt. Die Wirkung dürfte über die Bindung des Inhaltsstoffes Curcumin an Beta-Amyloid erreicht werden, wodurch die für Morbus Alzheimer typische Ablagerung von Amyloid-Plaques gebremst und neurodegenerativen Prozessen entgegengewirkt wird. So zeigt eine placebokontrollierte Studie mit einer speziellen Darreichungsform mit verbesserter Bioverfügbarkeit, dass die Denkleistung bereits 1 Stunde nach Einnahme verbessert ist und nach 4 Wochen eine weitere Verbesserung dieses Effekts erzielt wird.1, 2, 3Sowohl zur Prophylaxe als auch zur ergänzenden Behandlung von Morbus Alzheimer und vaskulärer Demenz wird der Extrakt von Ginkgo biloba eingesetzt. Dieser wirkt zentral und peripher durchblutungsfördernd, neuroprotektiv und nootrop, bewirkt eine Reduktion der Thrombozytenaggregation, wodurch verbesserte Fließeigenschaften des Blutes erreicht werden. Sojabohnen wiederum haben einen hohen Anteil an Phospholipiden wie Phosphatidylcholin (Lecithin) und Phosphatidylserin, wodurch Cholin substituiert wird, das als Vorstufe des Neurotransmitters Acetylcholin dient, der wiederum bei Morbus Alzheimer in zu geringer Konzentration vorhanden ist. Phosphatidylserin bietet einen Schutz vor freien Radikalen und beeinflusst auch die Freisetzung von Neurotransmittern und bietet weiters einen Schutz vor freien Radikalen.

1 Cox KH et al., J Psychopharmacol 2015; 29(5):642–51

2 Ono K et al., J Neurosci Res 2004; 75(6):742–50

3 DiSilvestro RA, Nutr J 2012; 11:79

 

1 Forum „PFLEGE.fit für die Zukunft“ veranstaltet vom Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz, 21. 3. 2019, Wien

2 Erster Österreichischer Geriatriegipfel, Ärztekammer für Wien, 27. 3. 2019, Wien

3 Matura et al., Transl Psychiatry 2017; 7(7):e1172, DOI: 10.1038/tp.2017.135

4 Maharani et al., J Am Geriatr Soc 2018; DOI: 10.1111/jgs.15363