Anaphylaktische Reaktion – was tun?

Was versteht man unter anaphylaktischen Reaktionen?
Dr. Mothes-Luksch: Unter Anaphylaxie versteht man eine akute systemische Reaktion, die schlagartig beginnt und den gesamten Organismus erfassen kann. Im Wesentlichen können die Haut, die Atemwege, das kardiovaskuläre System und/oder der Gastrointestinaltrakt betroffen sein. In Abhängigkeit von Intensität und Schwere der Reaktionen wird die Anaphylaxie nach Schweregraden von I bis IV klassifiziert.

Was sind typische Symptome einer beginnenden anaphylaktischen Reaktion?
Juckreiz, Flush, Urtikaria und Angioödem sind typische Symptome an Haut und Schleimhaut. Oft äußert sich eine beginnende anaphylaktische Reaktion lediglich mit einem Juckreiz an Handflächen, Fußsohlen und/oder im Genitalbereich. Hinzu kommen können Globusgefühl, Angstgefühle und Kopfschmerzen. Es kann aber sehr rasch zu einer Verschlechterung der Sym ptomatik und zu lebensbedrohlichen Zuständen kommen. Eine Schwellung des Kehlkopfes kann innerhalb von Minuten zu einer lebensbedrohlichen Hypoxie führen. Ein Frühsymptom dafür ist eine beginnende Heiserkeit. Bronchokonstriktion sowie eine Erhöhung des pulmonalen vaskulären Widerstandes durch Vasokonstriktion führen zu Dyspnoe bis hin zum Lungenödem.

Wie erklären sich die gastrointestinalen Symptome sowie die Wirkung auf das Kreislaufsystem?
Die gastrointestinalen Symptome von Übelkeit bis zu Erbrechen und plötzlichen Durchfällen werden unter anderem durch eine Permeabilitätsstörung und die Stimulation der Histaminrezeptoren verursacht. Dadurch kommt es zu einem massiven Flüssigkeitsverlust ins Gewebe und damit zur Hypovolämie und folglich zur Hypotonie. Histamin und andere Allergiemediatoren wirken außerdem direkt kardiotoxisch und arrhythmogen. Arrhythmie und Tachykardie bis hin zum Schock und Kreislaufstillstand können die Folge sein.

Wie rasch kann es zu so einer lebensbedrohlichen Symptomatik kommen?
Das kann sehr rasch gehen! Bei Nahrungsmittelallergien kann es bereits eine halbe Stunde nach der Nahrungsaufnahme zum Kreislaufversagen und Atemstillstand kommen. Nach Insektenstichen bereits nach 10 bis 15 Minuten! Und bei einer Arzneimittelreaktion auf eine i. v. Verabreichung kann es innerhalb von Minuten zum Kreislaufversagen kommen.

Was sind typische Auslöser?
Hauptauslöser bei Erwachsenen sind Medikamente – vor allem Muskelrelaxanzien, Antibiotika, NSAR sowie Acetylsalicylsäure – und Insektengifte. In letzter Zeit wird auch eine steigende Zahl von Anaphylaxien im Zusammenhang mit Biologikatherapien beobachtet. Bei Kindern hingegen sind zu 90 % Nahrungsmittel für lebensbedrohliche Reaktionen verantwortlich, vor allem Erdnüsse und andere Nüsse, Fisch und Krustentiere, aber auch Kuhmilch, Hühnerei und Weizenmehl.

Wie sollte im Falle einer anaphylaktischen Reaktion reagiert werden?
Als erste Maßnahme muss sofort die Zufuhr des Auslösers beendet werden. Wichtig sind auch die richtige Lagerung sowie das Legen eines intravenösen Zuganges. Ab einer Grad-II-Reaktion sollte sofort intramuskulär Adrenalin gegeben werden – die Dosis liegt bei 0,3–0,5 mg bei Erwachsenen. Bei Kindern gibt man 0,01 mg/kg KG. Die intramuskuläre Gabe ist der subkutanen vorzuziehen, weil die maximale Plasmakonzentration bereits nach 5–10 Minuten erreicht wird. Die heute verfügbaren Autoinjektoren sind besonders für Patienten bei bekannter Anaphylaxie geeignet.

Was ist beim anaphylaktischen Schock zu beachten?
Die Adrenalingabe muss von adäquater Volumensubstitution und Sauerstoffgabe gefolgt werden. Ebenso werden Kortikosteroide und Antihistaminika gegeben. Diese haben zwar in der Akutsituation kaum Bedeutung, werden aber zur Verhinderung der histaminbedingten Vasodilatation und der Spätfolgen empfohlen. Nach der Akuttherapie eines anaphylaktischen Schocks sollte der Patient hospitalisiert werden. Eine Überwachung über 8–24 Stunden wird empfohlen, da bis zu 20 % aller anaphylaktischer Reaktionen biphasisch verlaufen und eine neuerliche Reaktion im Mittel 10 Stunden nach Symptombeginn auftreten kann. Die Antihistaminika- und Steroidtherapie sollte über weitere 3 Tage fortgesetzt und Patienten müssen instruiert werden, beim neuerlichen Auftreten von Symptomen sofort wiederzukommen.

Was muss in der Nachbehandlung beachtet werden?
Es geht darum, neuerliche anaphylaktische Reaktionen so weit wie möglich zu vermeiden bzw. sofort adäquat zu reagieren. Bei unbekannten Auslösern muss daher eine allergologische Abklärung erfolgen. Entscheidend sind auch die Verordnung eines Notfallsets (Adrenalinautoinjektor, Antihistaminika und Kortikosteroide) zur Selbstanwendung im Akutfall und die genaue Anleitung zur Handhabung, um sofort richtig reagieren zu können. Bei Kindern muss auch das Umfeld einbezogen und instruiert werden.

Das Gespräch führte Susanne Hinger